Seit Wochen köchelt der Fall im niedersächsischen Politikbetrieb, nun könnte die allgemeine Aufmerksamkeit steigen. Der Vorwurf der CDU, Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) habe im vergangenen Jahr für seine Büroleiterin Aynur C. (33) eine Sonder-Regelung durchgesetzt, damit C.s Beförderung auf B2 ermöglicht und dies dann zur Basis einer allgemeinen Neuregelung genutzt, bekommt neue Nahrung. Es liegen Abschriften der Auszüge aus bislang streng vertraulichen E-Mails vor, die Zweifel an der bisherigen Darstellung der Staatskanzlei wecken.

So hat sich Weil in dem Fall offenbar mehrfach persönlich eingemischt. Es gibt sogar Hinweise, dass er Druck ausgeübt haben könnte. Das für Besoldungsfragen zuständige Finanzministerium weigerte sich lange, musste am Ende (nach einem Gespräch von Minister und Ministerpräsident) aber einknicken. Dies alles liest sich in den bisherigen öffentlichen Stellungnahmen der Staatskanzlei ganz anders, dort ist nämlich von einer angeblichen „Einigkeit“ von Staatskanzlei und Finanzministerium in dieser Frage die Rede. Doch ein solches Einvernehmen war offenbar über lange Zeit gar nicht vorhanden. Der Untersuchungsausschuss, den die CDU nun zügig einsetzen lassen will, hat viel Stoff für Aufklärung.
„Der Ministerpräsident möchte am Wochenende am Rande der Haushaltsklausur mit uns über die Personalie sprechen.“
Aynur C. ist eine gelernte Steuerfachangestellte, hat an der Fachhochschule für Ökonomie und Management erst ihren Bachelor- und dann ihren Masterabschluss mit Schwerpunkt Steuerrecht erzielt. Sie ist seit November 2021 ehrenamtliche Bürgermeisterin in Buchholz (Aller) und seit 2020 Co-Vorsitzende des Unterbezirks der SPD im Heidekreis. 2021 leistete sie hauptamtlich Zuarbeit für den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft, dann ging sie als Persönliche Referentin zum Hamburger Finanzsenator. Im Februar 2023 kam der berufliche Wechsel nach Hannover als neue Büroleiterin von Weil und Nachfolgerin von Lars Wegner.
Dort ist sie zunächst als Angestellte nach E15 eingestuft worden. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen, denn die bis Dezember 2023 geltende niedersächsische Regelung sah vor, dass Angestellte zwar auf B2-Positionen kommen können – doch dafür müsste fiktiv nachgezeichnet werden, was Beamte in vergleichbaren Fällen mit welcher Zeitdauer hätten absolvieren müssen. Für jemanden mit recht frischem Masterabschluss hätte das bedeutet, dass er bis zu zehn Jahre auf eine Beförderung zur Position B2 hätte warten müssen. C. wurde aber vom Kabinett am 20. November 2023 mit einer AT-Zulage auf das B2-Niveau gehoben. Wie es dazu kam, zeichnet sich nun etwas deutlicher als bisher ab.
„Für heute konnte ich das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten abmoderieren, aber nächste Woche müssen wir einen Weg finden.“
Aufregung rund um Haushaltsklausur: Ende 2022 übermittelt die Staatskanzlei den Lebenslauf von C. an das Finanzministerium, doch dort passiert offenbar zunächst nichts. Ein halbes Jahr später dann hakt Ministerpräsident Weil offenbar persönlich nach. Finanz-Staatssekretärin Sabine Tegtmeyer-Dette schreibt am 30. Juni 2023 an ihre Abteilungsleiterin: „Der Ministerpräsident möchte am Wochenende am Rande der Haushaltsklausur mit uns über die Personalie sprechen.“ Im Fachreferat des Finanzressorts, das von Corinna Kuhny geleitet wird, verlautet am gleichen Tag heftige Kritik an der Idee einer möglichen Höherstufung – mit Blick auf die Tatsache, dass C. eine Berufsanfängerin ist. Kuhny warnt vor „ungeregelter Einstellungspraxis“, „Bezahlung nach Gutdünken“ und einem „haushalterischen Verstoß und unzulässigem Umgang mit Staatsgeldern“. Sie verweist auf haftungsrechtliche Prüfungen und erwähnt dabei, diese könnten „bis zur Prüfung des Vorliegens von Untreue“ gegen die für eine solche Entscheidung maßgeblichen Beamten gehen. Die deutliche interne Warnung von Kuhny beendet die Debatte aber nicht. Tegtmeyer-Dette schreibt am 2. Juli, während der Haushaltsklausur: „Für heute konnte ich das Gespräch mit dem Ministerpräsidenten abmoderieren, aber nächste Woche müssen wir einen Weg finden.“ Zwei Wochen später untermauert das Fachreferat die Bedenken: Es gebe „keinen Raum für eine Einwilligung des Finanzministeriums“.
„Ich habe mittlerweile den Minister in das Thema eingebunden, da möglicherweise der Ministerpräsident den Minister direkt hierzu ansprechen wird.“
Staatskanzlei erhöht die Erwartungen: Am 24. Juli 2023 schreibt Tegtmeyer-Dette an ihr Fachreferat: „Ich habe mittlerweile den Minister in das Thema eingebunden, da möglicherweise der Ministerpräsident den Minister direkt hierzu ansprechen wird.“ Zwei Tage später berichtet sie dann, dass es das Gespräch zwischen Weil und Minister Gerald Heere gegeben hat – und dass Weil einen Prozess angestoßen habe, „um für die Zukunft eine neue Regelung zu entwickeln“. Dann fügt Tegtmeyer-Dette noch hinzu, der Ministerpräsident habe dem Finanzministerium dazu „eine Frist von einem Monat gesetzt“. Daraufhin fragt das Finanzressort in anderen Ländern nach und erfährt, dass dort einige Regeln weit weniger streng sind. Der Gedanke wird laut, man könne C. ja befristet für die Zeit ihrer aktuellen Tätigkeit die AT-Zulage geben, sodass sie später wieder auf einen niedrigeren Status zurückfallen würde. Doch dieser Hinweis wird am 10. Oktober 2023 von Staatskanzleichef Jörg Mielke als „arbeitsrechtswidrig“ zurückgewiesen. Schon einen Monat vorher, am 13. September 2023, teilt Tegtmeyer-Dette in ihrem Haus mit: „Der Ministerpräsident bittet um Vorlage eines Zeitplans für die gewünschte Neuregelung in Sachen AT-Verträge für Tarifbeschäftigte.“ Geprüft wird dann noch, ob man C. verbeamten könne. Gleichzeitig beharrt Kuhny auf ihrer Position, eine AT-Besoldung müsse befristet werden, „um finanzielle Nachteile für den Landeshaushalt zu begrenzen“.
Überstürzte Entscheidung Ende November: Das lange Drängeln der Staatskanzlei trägt dann doch Früchte. Der Entwurf eines neuen Verfahrens liegt vor, in dem die AT-Vergütung auch ohne bisher nötige „fiktive Nachzeichnung“ möglich wird – und die Zustimmungspflicht des Finanzministeriums sollte entfallen, sofern die betroffene Person die erforderliche Qualifikation hat. Am 13. November schreibt Tegtmeyer-Dette, in diesem Fall werde „aus dem politischen Umfeld nachgefragt“, konkreter wird sie nicht. Am 20. November 2023 gibt Heere um 18.37 Uhr die Zustimmung zu dem neuen Verfahren und verzichtet damit gleichzeitig auf den bisher üblichen Genehmigungsvorbehalt seines Ministeriums in Fällen solcher AT-Verträge. Dieses Signal von Heere dürfte nach dem Ende der Staatssekretärsrunde gekommen sein, die am gleichen Tag nachmittags zusammenkommt und das Kabinett des nächsten Tages vorbereitet. Schon am nächsten Morgen des 21. November 2023 entscheidet das Kabinett dann, C. ein AT-Gehalt nach B2 zu gewähren. Dass dies rückwirkend zum 1. August geschieht, geht aus den Kabinettsunterlagen offenbar nicht hervor. Erst Tage später wird die Kabinettsentscheidung im Finanzministerium bekannt, sodass Kuhny noch am 30. November bei ihrer Abteilungsleiterin nachhakt und wissen will, ob die Neuregelung denn nun eigentlich schon gilt oder nicht. Sie zeigt sich hier irritiert über die Formulierungsvorschläge aus der Staatskanzlei zu einer Kommunikation über die Angelegenheit.
Aufregung um Rundblick-Anfrage: Das Politikjournal Rundblick erfährt wenige Tage nach der Entscheidung für C.s AT-Vertrag aus dem Kabinett von diesem Vorgang. Wir richten eine Anfrage an die Staatskanzlei. In der Folge gibt es einen längeren Austausch zwischen Staatskanzlei und Finanzministerium zu der Frage, was man dem Rundblick mitteilen soll und was nicht. Das Fachreferat des Ministeriums wehrt sich gegen einen ersten Entwurf eines Antwortschreibens aus der Staatskanzlei, in dem der Eindruck erweckt wird, das Ministerium trage die AT-Vergütung für C. mit. Am 1. Dezember erhält die Rundblick-Redaktion dann eine Stellungnahme der Staatskanzlei. Am gleichen Tag übermittelt das Finanzministerium die neue Praxis zur AT-Gewährung an die obersten Landesbehörden. Später behaupten Finanzministerium und Staatskanzlei im Haushaltsausschuss und im Landtag mehrfach, dieser „Erlass“ vom 1. Dezember sei gar nicht nötig gewesen – als Grundlage der neuen Praxis reiche die Entscheidung des Ministers vom 20. November.

Wiederholte Befragung im Landtag: Zweimal äußern sich im Dezember 2023 und im Januar und Februar 2024 Heere, Tegtmeyer-Dette und Mielke im Haushaltsausschuss des Landtags zu dem Fall, einmal Heere direkt im Landtagsplenum. Dabei wird von ihnen immer wieder betont, dass es um eine allgemeine Neuregelung der Beförderungspraxis mit dem Ziel gegangen sei, die Chancen für Quereinsteiger zu verbessern. Aus den Akten, soweit sie jetzt in Bruchstücken öffentlich wurden, verstärkt sich aber ein anderer Eindruck: Demnach ging es zuerst ganz wesentlich um die Frage, wie C. in eine bessere Position kommen kann. Es wird ein nachdrückliches Einwirken der Staatskanzlei, offenbar auch des Ministerpräsidenten persönlich, auf das Finanzministerium erkennbar. Die Äußerungen von Heere, Mielke und Tegtmeyer-Dette vor den Landtagsgremien sind deshalb besonders wichtig, da die Landesregierung ihre Aussagen gegenüber dem Parlament laut Verfassung „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ treffen muss. Weil selbst hat sich am 9. Februar im Landtag in der Ministerpräsidenten-Befragung zu dem Vorgang geäußert. Auf eine Frage von Carina Hermann (CDU) sagt er, es sei um eine neue Praxis gegangen, die den Quereinstieg von Angestellten habe erleichtern sollen. Hermann habe die Akten-Inhalte und den Beratungsverlauf „ins Gegenteil verkehrt“. Dann fügt er noch hinzu, diese neue Verwaltungspraxis sei „in Übereinstimmung von Finanzministerium und Staatskanzlei geändert worden“. Dies mag für die Situation Ende November 2023 gegolten haben, vermutlich nicht aber für die Lage, wie sie Wochen und Monate zuvor bestand. Weil stellt die Vorgänge so dar, dass der Fall C. nur ein Beispiel gewesen sei für eine allgemeine Praxis, die zu negativ für Berufseinsteiger sei und daher habe geändert werden müssen – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.