Die Sache liegt schon Jahre zurück, aber durch einen jüngst entschiedenen Prozess vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig kam sie wieder hoch. Nun steht auf einmal der wichtigste Mann in dem von Innenministerin Daniela Behrens (SPD) geführten Innenministerium unter Druck – Stephan Manke (SPD), Staatssekretär seit 2013 und wichtiger politischer Kopf des SPD-Bezirks Braunschweig. Nach vertraulichen Unterlagen, die dem Politikjournal Rundblick vorliegen, hat Manke im September 2021 im eigenen Ministerium massiv darauf gedrungen, ein Disziplinarverfahren gegen den damaligen Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU) einzuleiten. Das geschah dann seinerzeit auch. Das Verwaltungsgericht Braunschweig urteilte nun am 18. Januar 2024, also erst vor wenigen Tagen, dass das Innenministerium damals einen Fehler beging. Für eines der Delikte, die Junk vorgeworfen wurden, hätte nach Auffassung der Richter schon damals kein Verfahren gegen ihn eingeleitet werden dürfen.

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Brisant wird die Angelegenheit wegen der zeitlichen Umstände. Als das Innenministerium auf Mankes Drängen entschied, gegen Junk vorzugehen, befand sich der OB gerade im Wahlkampf um seine Wiederwahl. Seine von der SPD aufgestellte Herausforderin Urte Schwerdtner war ihm schon dicht auf den Fersen. Am 17. September 2021, neun Tage vor der entscheidenden Stichwahl um das OB-Amt, titelte die „Goslarsche Zeitung“ mit der Schlagzeile: „Verfahren gegen Oliver Junk“. Am 26. September konnte Schwerdtner in der Stichwahl mit 62,8 Prozent glänzen, Junk bekam lediglich 37,2 Prozent. Einige Tage nach diesen Vorgängen wurde bereits aus CDU-Kreisen der Verdacht geäußert, das Innenministerium habe mit dem Disziplinarverfahren in die Auseinandersetzung der Parteien eingegriffen und Wahlkampf-Unterstützung für Schwerdtner geleistet. Das Ministerium begründete die Entscheidung seinerzeit mit dem Hinweis auf die Verfehlungen von Junk. Doch waren diese tatsächlich so gravierend – und hatten sie überhaupt ein Verfahren gerechtfertigt? Aus einigen Unterlagen, die dem Rundblick vorliegen, werden hier massive Zweifel deutlich.

Welche Vorwürfe gibt es gegen Junk? Die Stadt Goslar wollte 2016 das Grundstück der einstigen „Reichsbauernhalle“ in Goslar verkaufen, zwei Interessenten standen zur Wahl – die Klosterkammer und das Investorenteam Tessner/Bruns. Junk empfahl dem Rat eine Entscheidung zugunsten der Klosterkammer. Im Juni 2021, also fünf Jahre nach der Entscheidung, warfen zwei Ratsherren von SPD und FDP Junk vor, er habe einen Gesprächsvermerk mit Tessner/Bruns nicht in die dem Rat vorgelegte Akte aufgenommen, was er hätte tun müssen. Auch eine Änderung der Vertragsbedingungen habe er dem Rat vorenthalten. Die Kommunalaufsicht schaltete sich im Juni 2021 ein und bat Junk um Auskünfte, der aber bat um Fristverlängerung. Noch vor Ablauf der Fristverlängerung am 20. September 2021 aber fiel die Entscheidung für das Disziplinarverfahren.

Was urteilte jetzt das Verwaltungsgericht? Junk erklärte damals, der Gesprächsvermerk sei ihm privat zugekommen und habe deshalb nicht zwingend in die Akte aufgenommen werden müssen. Er klagte gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens, und nach langer Zeit kam im Januar 2024 das Urteil: Die Junk vorgehaltenen Pflichtverletzungen – es ging um Aktenmanipulation, dann in der Folge auch um die angebliche falsche Information an den Rat und um Verstoß gegen Dienstwagen-Regeln – hätten schon nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Ereignis kein Disziplinarverfahren mehr erlaubt. Hier gelte zumindest für Teile der Vorwürfe ein sogenanntes „Maßnahmeverbot“, das aber vom Ministerium nicht beachtet worden sei.

Was geschah im Innenministerium? Aus internen Unterlagen, die dem Politikjournal Rundblick vorliegen, wird das besondere Interesse von Innen-Staatssekretär Stephan Manke (SPD) an dem Fall deutlich. Manke war, bevor er 2013 Staatssekretär wurde, selbst Landrat in Goslar, er lebt auch heute noch in der Region. Manke hat anscheinend direkten Kontakt gesucht zum Goslarer SPD-Ratsherrn und Anwalt Stefan Eble, der die Sache im Juni 2021 im Rat präsentiert hatte. Anfang September 2021 dann befasste sich das Referat für Kommunalaufsicht im Innenministerium mit der Frage, ob man wegen dieses Grundstücksgeschäfts gegen Junk vorgehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war im Ministerium eine Prüfung des Kaufvertrages schon eingeleitet worden, sie erwies sich aber nach Mitteilung der Beamten als sehr umfangreich und zeitintensiv. Die Prüfung hätte also ziemlich lange gedauert. Am 2. September 2021 schrieb der Sachbearbeiter an seinen Abteilungsleiter Ingo Marek: „Es ist rechtlich derzeit nicht möglich, ein Disziplinarverfahren gegen Herrn Dr. Junk wegen des Vorwurfs der Aktenmanipulation einzuleiten, da aus den genannten Gründen noch keine abschließende Prüfung vorgenommen werden kann.“ Anfang September 2021 kursierte im Innenministerium der Entwurf einer Antwort auf eine Anfrage der Goslarschen Zeitung, in dem es dann überraschend heißt, Junk habe eine „Pflichtverletzung“ begangen, „die zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Oberbürgermeister führen wird“. Aus dem Mailverkehr im Ministerium ergibt sich, dass diese Formulierung offenbar auf Staatssekretär Manke persönlich zurückgeht. Mankes Einschätzung an dieser Stelle widersprach allerdings deutlich den Hinweisen seiner Fachleute. Die Leiterin des Referates Kommunalaufsicht, Maja Kummer, strich daraufhin diese Sätze aus dem Entwurf der Presse-Antwort heraus.

Wie reagieren die Beamten auf den Staatssekretär? Aus internen Vorgängen wird deutlich, dass der Druck in Richtung Disziplinarverfahren eindeutig vom Staatssekretär ausging. So hieß es in einer Gesprächsnotiz von Referatsleiterin Kummer vom 2. September 2021: „Herr Marek (der Abteilungsleiter, d. Red.) teilte mit, dass er mit dem StS über die Angelegenheit und das mögliche weitere Vorgehen gesprochen habe. Entgegen der fachlichen Einschätzung aus dem Referat 32 sähe der StS zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen wegen der möglichen Aktenmanipulation für gegeben.“ Es folgten dann rechtliche Prüfungen zu der Frage, ob man das Prüfverfahren zum Grundstückskauf um ein Disziplinarverfahren wegen der Aktenmanipulation ausdehnen könne. Kummer riet davon ab, denn der Vorwurf gegen Junk sei ja nicht neu, sondern längst Bestandteil der Prüfungen. Kummer und auch einige ihrer Mitarbeiter zeigten sich resistent und beharrten auf ihren Bedenken. Am 7. September schrieb Abteilungsleiter Marek an den Staatssekretär: „Ich weise in diesem Zusammenhang auf die von (…) Frau Kummer geltend gemachten Bedenken gegen eine sofortige Einleitung des Disziplinarverfahrens hin.“ Am gleichen Tag notierte Kummer in einer Mail: „Auch mit Blick auf ein faires Verfahren, die Unschuldsvermutung und die Fürsorgepflicht zugunsten des Beamten darf m.E. bei den bestehenden grundlegenden Zweifeln (noch) kein Disziplinarverfahren eingeleitet werden.“

„Wir haben – entsprechend der transportierten Erwartung – nach einer Möglichkeit gesucht, über diese rechtliche Hürde hinwegzukommen.“

Wie setzt sich Manke gegen seine Untergebenen durch? Am 8. September 2021 bereits wiesen Kummers Mitarbeiter und sie selbst darauf hin, dass die Verjährung der Vorwürfe drohen könnte. Zu dieser Zeit schrieb ein Referent der Kommunalaufsicht in einer Mail an den Abteilungsleiter Marek einen verhängnisvollen Satz: „Wir haben – entsprechend der transportierten Erwartung – nach einer Möglichkeit gesucht, über diese rechtliche Hürde hinwegzukommen.“ Wenig später wurde er noch konkreter: „Nur wegen der transportierten Erwartung, möglichst sofort ein Disziplinarverfahren auch nur zu dem Teilaspekt der Aktenmanipulation einzuleiten, haben wir nach Alternativen gesucht.“ Mit der „transportierten Erwartung“ dürfte die Vorgabe des Staatssekretärs an die Adresse der Kommunalaufsicht gemeint gewesen sein, die rechtlichen Möglichkeiten für ein Disziplinarverfahren gegen den CDU-Politiker Junk zu schaffen – und zwar unbedingt im September 2021, in der Hochphase des OB-Wahlkampfes. Einen Tag später, am 9. September 2021, drei Tage vor der Kommunalwahl, schrieb Kummer dann in einer internen Mail: „Herr Marek hat mich ausdrücklich aufgefordert, die Verfügung an Herrn Dr. Junk zu unterschreiben. Nach seiner Auffassung sei es unüblich und nicht erforderlich, dass er als Abteilungsleiter zeichne. Meine Bedenken hätte ich hinreichend deutlich gemacht.“

Was sagt der Staatssekretär zu den Vorwürfen? Das Innenministerium wurde mit den Vorwürfen gegen Manke konfrontiert – und wies diese zurück. Die Berechtigung der Vorwürfe, Junk habe Pflichtverletzungen begangen, sei jüngst vom Verwaltungsgericht Braunschweig in der Mehrzahl der Vorwürfe sogar bestätigt worden. Nur hinsichtlich der Aktenmanipulation habe das Gericht die Haltung des Innenministeriums nicht bestätigt. Laut Ministerium seien in der eigenen Behörde „verschiedene Rechtsfragen zu klären gewesen“, einen Präzedenzfall habe es nicht gegeben. Man habe das Verfahren gegen Junk eingeleitet, „um dem gesetzlich vorgeschriebenen Beschleunigungsgrundsatz und dem Legalitätsprinzip Genüge zu tun“. Zudem seien die hier behandelten Fragen „rechtlich sehr komplex“. Dann heißt es noch: „Ein – unterstellter – Eingriff seitens des Staatssekretärs wider jeglichen Rechts, nur um den Kläger im Wahlkampf zu schaden, ist jedoch fernliegend und wird erneut ausdrücklich zurückgewiesen.“

Was ist aus den Beteiligten geworden? Junk hat sich nach seiner Wahlniederlage im September 2021 aus der Politik zurückgezogen, er arbeitet als Hochschullehrer und befasst sich intensiv mit kommunalrechtlichen Fragen. In der Goslarer CDU ist er nicht mehr aktiv. Manke arbeitet nach wie vor als Staatssekretär, hat angeblich sogar im Ministerium unter Daniela Behrens mehr Spielraum als unter ihrem Vorgänger Boris Pistorius. Marek führt weiter die Kommunalabteilung im Ministerium. Kummer, die Leiterin der Kommunalaufsicht, ist etwa ein Jahr nach diesen Vorkommnissen innerhalb des Ministeriums gewechselt – in die Flüchtlingspolitik. Inzwischen hat sie das SPD-geführte Innenministerium verlassen und leitet das Referat für Personal und Organisation im Umweltministerium unter Christian Meyer (Grüne). Auf Nachfragen des Politikjournals Rundblick, warum sie nicht mehr die Kommunalaufsicht führt, wurde vom Innenministerium vor Monaten der Hinweis auf etwaige Unstimmigkeiten vehement zurückgewiesen. Es hieß damals, Kummer habe „eine andere Aufgabe wahrnehmen wollen“.