Hat das Innenministerium den Wahlkampf von Oliver Junk sabotiert?
Eine der wirkungsvollsten Waffen im Wahlkampf ist die, die Glaubwürdigkeit des politischen Gegners zu erschüttern. Als bewährtes Mittel kommt in solchen Fällen oft auch die Justiz zum Einsatz. Nun hegt der bisherige Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU) den Verdacht, das Innenministerium habe ihm in der Schlussphase vor der entscheidenden Stichwahl am 26. September Knüppel zwischen die Beine geworfen – und das, obwohl die offiziell eingeräumten Fristen noch gar nicht abgelaufen gewesen waren. Es geht um ein Disziplinarverfahren, das vom Innenministerium als Aufsichtsbehörde gegen den Verwaltungschef Junk in Gang gesetzt wurde. Die „Goslarsche Zeitung“ berichtete darüber am 17. September, also gut eine Woche vor dem Wahltermin. Junk wurde neun Tage später abgewählt, er bekam nur 37,2 Prozent, seine Herausforderin Urte Schwerdtner (SPD) landete bei 62,8 Prozent.
Ging hier alles mit rechten Dingen zu? Bevor die Umstände in Goslar näher beleuchtet werden, lohnt der Hinweis auf zwei andere Fälle. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hatte im Oktober 2012, drei Monate vor der Landtagswahl, ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Kommunalpolitiker von SPD und CDU eingeleitet, auch gegen den damaligen Osnabrücker OB Boris Pistorius, der von der SPD schon als Innenministerkandidat ausgeguckt worden war. Der Vorwurf lautete, Pistorius habe Zulagen an Beamte nicht leistungsbezogen, sondern pauschal ausgezahlt, was rechtswidrig gewesen wäre. Später wurde das Verfahren allerdings eingestellt.
Agierte die Justiz also in erkennbarer Absicht, den Ruf des Politikers zu schädigen? In diesem Jahr nun war es wieder die Staatsanwaltschaft Osnabrück, die im Zusammenhang mit Geldwäsche-Ermittlungen Durchsuchungen im Bundesfinanzministerium anordnete – also im Umfeld des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, und das nun wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Pistorius, seit seinen eigenen Erfahrungen 2012 leidgeprüft, reagierte auf diesen Vorgang mit den Worten, er sei „sprachlos“. Der Verdacht entstand, die Justiz mische sich mit überzogenen Schritten in den Wahlkampf ein.
Im Goslarer Fall nun ist es keine Staatsanwaltschaft, sondern die von Pistorius vertretene Behörde, das niedersächsische Innenministerium, das die Aufmerksamkeit der Kritiker erregt. Im Mittelpunkt steht der seit zehn Jahren amtierende Goslarer OB Oliver Junk (45), der lange als moderner und unkonventioneller Politiker galt, als ein Hoffnungsträger der Christdemokraten. Ein fünf Jahre alter Fall, bei dem es um die Bebauung eines mit Altlasten versehenen Innenstadt-Grundstücks ging, kochte im Kommunalwahlkampf plötzlich hoch – und wurde vermutlich Junk zum Verhängnis. Die Frage ist nun, ob das Innenministerium hier mit unangemessenen Schritten in die Debatte eingegriffen hat.
Die Stadt wollte 2016 die Fläche der ehemaligen, 1948 abgebrannten „Reichsbauernhalle“ verkaufen, in einem Interessenbekundungsverfahren meldeten sich zwei Interessenten – die Klosterkammer Hannover und das Team Tessner/Bruns, zwei gutbetuchte Bürger aus der Region. Der Rat entschied 2016, der Klosterkammer den Zuschlag zu geben – wusste aber angeblich offiziell nichts davon, dass Tessner und Bruns sich vorher bei Junk beschwert und um ein Gespräch nachgesucht hatten. Das entsprechende Schriftstück nämlich, ein Schreiben an die Stadt, fehlte in den Akten. Junk hatte es dort nicht eingefügt.
Die beiden Ratsherren Stefan Eble (SPD) und Stephan Kahl (FDP) wühlten im Juni dieses Jahres den Fall noch einmal auf – und machten ihm zum Gegenstand einer Ratssitzung. Der Vorwurf gegen Junk lautete, er habe dem Rat wichtige Informationen vorenthalten. Aus den Unterlagen, die sich nicht in den Akten befanden, gehe nämlich hervor, dass die Stadt die Vertragsbedingungen noch einmal änderte und anbot, selbst für die Altlastensanierung aufzukommen – damit wurde das Projekt für den Erwerber erschwinglicher. Haben nun weder Tessner und Bruns, noch die Ratsmitglieder vor ihrer Entscheidung 2016 gewusst, dass die Stadt die Vertragsbedingungen nachgebessert hat? Wollte Junk so der Klosterkammer, die vom früheren CDU-Politiker Hans-Christian Biallas als Präsident geführt wird, ein lohnendes Geschäft zuschieben?
Innenministerium startete Disziplinarverfahren vor Fristablauf
So sieht es die eine Seite, die der Junk-Kritiker. Aus Junks Umfeld heißt es, das Schreiben von Tessner und Bruns sei zwar an die Stadt gerichtet gewesen, aber als Anhang der privaten Mail-Adresse von Junk zugeleitet worden – damit habe er es als privates Schreiben eingestuft und das Recht gehabt, dieses den Akten vorzuenthalten. Im Juni dieses Jahres, als die beiden Ratsherren den Fall im Rat angesprochen hatten, meldete sich das Innenministerium im Goslarer Rathaus und bat um eine Stellungnahme – mit Frist vom 30. Juni.
Die Antwort von Junk stellte die Kommunalaufsicht nicht zufrieden, das Ministerium wollte noch mehr Angaben zu der Investorensuche und zum Gespräch mit den beiden abgewiesenen Interessenten. Da die Mitarbeiter, die Junk seinerzeit in dem Fall begleiteten, teilweise im Ruhestand und teilweise im Urlaub waren, bat Junk um Fristverlängerung bis zum 20. September. Das wurde ihm gewährt. Am 10. September allerdings, zehn Tage vor Fristablauf, leitete das Ministerium bereits das Disziplinarverfahren ein. Und am 17. September, neun Tage vor dem Wahltag, meldete die „Goslarsche Zeitung“ auf der Titelseite: „Kracher vor der Stichwahl: Disziplinarverfahren gegen Junk“.
Was nun im Goslarer Rathaus irritierend aufgenommen wird, ist folgender Umstand: Wenn das Innenministerium schon bereit war, die Fristen für die Stellungnahmen der Stadtverwaltung zu verlängern (was in der Urlaubszeit verständlich ist), warum wurde das Disziplinarverfahren dann nicht erst nach Eingang und Prüfung von Junks Antworten gestartet, sondern schon zehn Tage vorher? Warum verbreitet sich die Nachricht über das Verfahren dann so, dass in der heißen Phase des OB-Wahlkampfs die Lokalzeitung davon erfährt? Sinn eines Disziplinarverfahrens ist es im Übrigen, den Sachverhalt komplett aufzuklären – und alle be- und entlastenden Momente zusammenzutragen. Mit der öffentlich verbreiteten Nachricht „Disziplinarverfahren gegen Junk“ ist dann aber der Betreffende schon an den Pranger gestellt worden.
Diese Merkwürdigkeiten könnten sich noch zur Belastung für die SPD/CDU-Koalition im niedersächsischen Landtag ausweiten – aber nur eventuell. Denn der Braunschweiger CDU-Landesvorsitzende Frank Oesterhelweg trägt sich mit dem Gedanken, mit einer Landtagsanfrage Licht in den Fall zu bringen und die Abläufe im Innenministerium in dieser Sache zu erforschen. Wenn das so käme, könnte das Sprengstoff für die Koalition bieten, denn dass eine Regierungsfraktion das Verhalten eines vom Koalitionspartner geführten Ministeriums öffentlich in Zweifel zieht und hinterfragt, kommt fast schon einer Misstrauenserklärung gleich. So ist am Ende die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass auch die CDU auf eine umfassende Aufklärung verzichtet und bereit ist, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Das gilt umso mehr, als Junk in der eigenen Partei auch nicht sonderlich gut gelitten ist, da er als Einzelgänger und Solo-Spieler gilt. Eine neue Verwendung für den abgewählten OB in der niedersächsischen Landespolitik erscheint auch höchst unwahrscheinlich.