Wie die SPD über radikale Schritte in der Energiewende diskutiert
Was die allgemeine Wirtschaftskompetenz betrifft, hat die niedersächsische SPD schon kräftig aufgeholt. Das Vertrauen in die Partei von Stephan Weil ist hier mittlerweile fast genauso groß wie in die Union, wie die aktuelle Niedersachsen-Umfrage der Drei-Quellen-Mediengruppe zeigt. Erst wenn man die Niedersachsen fragt, welche Partei die bessere Industriepolitik macht, hat die CDU mit 31 Prozent nach wie vor einen komfortablen Vorsprung vor den Sozialdemokraten (24 Prozent). Doch wie lange noch? Neben der Digitalisierung entdeckt die SPD jetzt auch die Dekarbonisierung als zentrale Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Niedersachsen. Welche Ansätze die Partei hierbei verfolgt, wurde beim Regionalen Unternehmerdialog des SPD-Wirtschaftsforums in Kooperation mit dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover deutlich.
Personell lässt sich beim Wirtschaftsforum der SPD, das seine Geschäftsstelle im Berliner Regierungsviertel hat, eine gewisse Niedersachsenlastigkeit feststellen. Mit Präsident Michael Frenzel, der von 1994 bis 2013 den TUI-Konzern leitete, und der früheren niedersächsischen Wirtschaftsministerin Susanne Knorre sind gleich zwei von neun Präsidiumsmitgliedern eng mit der Region Hannover verbunden. „Auch wenn ich als TUI-Chef aus dem Servicebereich komme, war uns immer klar: Niedersachsen ist ein Industrieland“, stellte Frenzel in seiner Begrüßungsrede vor etwa 50 Teilnehmer klar. Als zentrales Handlungsfeld machte der „Manager des Jahres 2000“ deswegen auch die Energieversorgung aus. „Die Industrie braucht grünen Strom – das sagt sich leicht. Es fehlen die Netze, es fehlen die Leitungen und es fehlen die Produktionskapazitäten“, betonte der 74-Jährige, der schon vor 50 Jahren für die SPD in Duisburger Stadtrat saß. Zudem forderte Frenzel dringend einen Bürokratieabbau. „Gelingt das nicht, wir mir wirklich bange, um den Standort“, sagte er.
„Saubere Energie ist das Fundament für nachhaltiges Wachstum. Der Energiewende wir in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle in der Wirtschaftspolitik zukommen“, sagte auch Hanna Naber, Generalsekretärin der SPD Niedersachsen. „Es lohnt sich, heute Geld in die Hand zu nehmen, um die Qualität des Standorts Niedersachsen langfristig zu erhalten“, sagte die 50-Jährige. Als Ziel nannte sie einen soliden Energiemix, der Kohlestrom überflüssig macht. Dieser Ausstieg müsse für die Regionen, die bislang wirtschaftlich stark von der Kohle abhängig sind, aber auch sozialverträglich gestaltet werden. „Es wäre hochgradig unfair, diesen Regionen keine Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten“, meinte Naber.
Enercity-Vorstand Hansmann fordert „Wärmewende“
Im Oberbürgermeisterwahlkampf 2019 waren Marc Hansmann und Belit Onay noch erbitterte Konkurrenten. Bei der Versorgung der Landeshauptstadt mit klimaneutraler Fernwärme ziehen das Enercity-Vorstandsmitglied und der den Grünen angehörende Oberbürgermeister mittlerweile jedoch am selben Strang. „Die Energiewende haben wir in den vergangenen Jahren schon erfolgreich gestaltet, aber die Energiewende ist bislang vor allem eine Stromwende“, sagte Hansmann am Montag. Raumwärme, Warmwasser, Prozesswärme für die Industrie und Kältetechnik würden zwar zusammen rund 56,5 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs ausmachen. Doch die Energie dafür stamme aktuell nur zu 15 Prozent aus erneuerbaren Quellen.
Dass die Wärmewende in der Politik bis dato eher ein Schattendasein fristet, wundert Hansmann nicht: „Da müssen wir an alle Heizungen ran und an alle Unternehmen.“ Insgesamt 40,6 Millionen deutsche Privatwohnungen gebe es derzeit, von denen 47 Prozent mit Gas und 25,6 Prozent mit Öl geheizt werden. Die umweltfreundliche Fernwärme komme momentan nur bei 13,9 Prozent an. Und mit dem Austausch der Heizungen sei es nicht getan. „Die Häuser müssen auch energieeffizienter werden“, sagte Hansmann. Die Finanzierung werde jedoch problematisch. Der früherer Stadtkämmerer von Hannover verwies auf eine KfW-Studie, die den kommunalen Investitionsstau derzeit auf 149 Milliarden Euro beziffert. „Die ganze Wärmewende ist hier noch gar nicht drin“, merkte Hansmann an und forderte: „Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, zusätzlich mindestens 20 Milliarden Euro mehr zu investieren.“
VW setzt auf flexible Energiespeicher
Nach Angaben der Bundesnetzagentur sind 2019 in Deutschland insgesamt 6482 Gigawattstunden erneuerbarer Strom „abgeregelt“ worden. Sie wurden nicht ins Netz eingespeist, weil sie es ansonsten überlastet hätten. „Von dieser Energie könnten 2,7 Millionen Euro Batterie-Elektrofahrzeuge ein Jahr lang fahren“, rechnete Elke Temme vor, die bei der Volkswagen AG das Geschäftsfeld „Laden & Energie“ leitet. Der Automobilkonzern will sich die Schwankungen beim „grünen Strom“ zunutze machen. „Das Auto wird auf einmal ein mobiler Energiespeicher“, erläuterte Temme.
Ab 2022 sollen die VW-Elektroautos den Strom nicht nur laden, sondern auch wieder ans Netz zurückgeben können. Bidirektionales Laden heißt die Technologie, mit der nicht die Energie aus der heimischen Photovoltaik-Anlage und auch aus dem gesamten Stromnetz besser genutzt werden soll. Bevor das bi-direktionale Laden zur Zukunft wird, muss aber zunächst noch dem Elektroauto der Durchbruch gelingen. Für die meisten Menschen sei die unzureichende Ladeinfrastruktur noch immer der Haupthinderungsgrund, ein E-Auto zu kaufen. Durch das Schnellladegesetz, das der Bundestag im Mai verabschiedet hat, passiere zwar schon einiges an den Autobahnen. Temme kritisierte jedoch: „Die Genehmigungsprozesse sind extrem langwierig und verhindern, dass schnell genug die benötigte Ladeinfrastruktur aufgebaut werden kann.“ Für die kommunale Ebene gab die VW-Managerin das Ziel aus: „Hier müssen wir für den Bürger erlebbar machen: Egal, wo du bist, du kannst auch immer schnell laden.“
„Energiewende ist kein Entweder-Oder“
Dass die SPD trotz aller klimafreundlichen Tendenzen nicht zur neuen Ökopartei werden will, machte die Anwesenheit von Oneo-CEO Felix Lerch deutlich. Das Unternehmen, das 2016 aus der österreichischen Rohöl-Aufsuchungs AG (RAG Austria AG) ausgegründet wurde und bis vor Kurzem noch RDG hieß, will auch weiterhin noch fossile Brennstoffe in Umlauf bringen. „Wir fördern Öl und Gas, solange es sinnvoll ist, und zugleich entwickeln wir unsere Standorte weiter für eine nachhaltige Energieerzeugung“, beschreibt sich das Unternehmen selbst. „Es geht bei der Energiewende nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch“, meinte Oneo-Chef Lerch und sagte: „Wir setzen momentan sehr stark auf ,grünen Wasserstoff‘, auf ,grünen Strom‘. Ich wünsche mir mehr Technologieoffenheit und Flexibilität.“ Ansonsten könne es zu „Kollateralschäden“ bei Bürgern und Unternehmen kommen.
„Es bringt mir nichts, wenn ich mir auf der einen Seite wünsche, dass alles grün und ökologisch ist, auf die anderen Seite aber der Aufbau dieser die Technologie nicht Schritt hält mit dem Bedarf, den wir als Industriegesellschaft haben“, sagte Lerch. Auch Oneo arbeite auf die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft hin, will aber zum Beispiel schon bestehende Bohrungen zur Storm- und Wärmeerzeugung aus Geothermie nachnutzen. „Viele von den Bohrungen produzieren Wasser. Das ist kein Trinkwasser, das ist Lagerstättenwasser, das eine Wärme hat, die für Wärmenetze gut geeignet wäre“, erläuterte Lerch. Außerdem könne man auf Anlagen, die für die Gasproduktion erschlossen sind, auch Windenergie produzieren. Diese Fläche seien nicht nur bereits erschlossen, sondern hätten auch schon einen Stromanschluss. Lerch: „Und wenn ich jetzt die Energiewende zügig umsetzen möchte, habe ich somit die Voraussetzungen nach Ende der konventionellen Produktion umzustellen auf nachhaltige, grüne Energieerzeugung.“
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