Endlich wird über den angemessenen Preis für Lebensmittel gestritten! Anders als im vorherigen Bundestagswahlkampf trauen sich die Kandidaten in diesem Jahr schließlich doch übers Essen zu sprechen. Allerdings: Die Debatte verläuft irgendwie anders, als sich der Autor dieses Beitrags das an dieser Stelle Jahr für Jahr immer wieder gewünscht hatte. Die SPD versucht in diesem Winter mit dem Vorschlag aufzutrumpfen, den reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel noch weiter zu senken – von derzeit sieben auf künftig nur noch fünf Prozent. Erreichen möchte man damit natürlich, dass möglichst viele Menschen in Deutschland flächendeckend profitieren und am Ende ein paar Euro mehr im Portemonnaie haben. Ökonomen haben zwar schnell berechnet, dass eine solche Maßnahme beispielsweise bei einem Pfund Butter lediglich zu Preissenkungen um ein paar Cent führen würden. Aber genau jene Teile der Bevölkerung, denen es am Ende des Monats um zehn Euro mehr oder weniger auf dem Konto geht, möchte der Bundeskanzler jetzt gerade ansprechen. Im Deutschen Bundestag wurde diese Idee derweil rasch ins Absurde gedreht: Trüffel, Kaviar und Wachteleier würden dann ja schließlich auch auf Staatskosten verbilligt. Wem das nützt, der braucht es gar nicht wirklich, so das Argument. Es ist schade, wenn die notwendige Debatte über die Kosten von Lebensmitteln derart verballhornt wird.

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Jedoch: So nachvollziehbar der Gedanke zur allgemeinen Entlastung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch ist, so fehlgeleitet scheint die Diskussion über stärker vergünstigte Lebensmittel in einer größeren Betrachtung. Der Grund ist folgender: Die Agrarbranche steht vor gigantischen Veränderungen, getrieben von gesellschaftlichem wie politischem Druck. Die Ansprüche an Klimaschutz und Tierwohl bei der Produktion von Lebensmitteln decken sich nicht mit den Preisen, die die Menschen an der Ladentheke zu zahlen bereit sind. Seit Jahren wird daher über den tierwohlgerechten Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland gesprochen – getan wird unterdessen wenig. Noch während der Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU) hat die sogenannte Borchert-Kommission Pläne entwickelt, wie innerhalb eines bestimmten Zeitraums das Tierwohl-Niveau in deutschen Ställen flächendeckend erhöht werden kann: weniger Tiere, mehr Platz, artgerechte Abwechslung, Frischluft. Die Fachleute haben ein Gesamtpaket entwickelt, das allerdings nur dann seine Wirkung entfalten kann, wenn es komplett umgesetzt wird: Erleichterungen beim Emissionsschutz und bei den Baugenehmigungen sowie eine Garantie auf anhaltend höhere Preise, die mit tierischen Produkten im Handel erzielt werden können. Es gab eine Machbarkeitsstudie und verschiedene Finanzierungsmodelle. Was seit mehr als vier Jahren fehlt, ist der politische Mut, dieses agrarpolitische Großprojekt tatsächlich umzusetzen.

Auch wenn die ursprüngliche Borchert-Kommission inzwischen empört ihre Arbeit eingestellt hat, bleibt das allgemeine Bekenntnis zu den Ergebnissen bestehen. Keine Landvolk-Tagung, keine Bauerndemo, keine Landwirtschafts-Kommission, die nicht auf die Vorschläge aus dem Jahr 2020 Bezug nimmt und deren Umsetzung anmahnt. Niedersachsens Landesregierung hat im Februar dieses Jahres – geprägt von den Eindrücken der massiven Bauernproteste über den Jahreswechsel – im Bundesrat eine Initiative auf den Weg gebracht, mit der unter anderem die Bundesregierung erneut zur Umsetzung der Borchert-Pläne inklusive Finanzierungsmodell aufgefordert wurde. Doch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) scheint von denselben Sorgen geplagt zu sein wie seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU): Wer – zumal im Wahlkampf – die Preise für Lebensmittel erhöht, kann sich die Wiederwahl vermutlich abschminken. Özdemirs Agrarpolitik war zudem von zweierlei geprägt: Zum einen war es kein Herzensanliegen des Realo-Grünen, der wohl hauptsächlich aus innerparteilichen Proporzgründen 2021 seinem bayerischen Parteifreund Anton Hofreiter im Amt des Agrarministers vorgezogen wurde. Özdemir brauchte einen Platz im Kabinett und übriggeblieben ist eben nur dieser, der ihn nicht wirklich kümmerte. Zum anderen schielte Özdemir längst auf einen neuen Posten, nämlich den des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Jede Politik, die jemandem wehtun könnte, galt es deshalb zu vermeiden.

Dass Özdemir durchaus kontroverse Dinge rasch voranbringen kann, wenn er es denn will und es ihm nützt, hat er nun jüngst bewiesen. Nach dem Ampel-Bruch übernahm der Agrarminister zusätzlich noch das Bildungsressort. In Windeseile konnte der Digitalpakt 2, an dem sich Bund und Länder zuvor monatelang festgebissen hatten, doch zu einer einvernehmlichen Einigung geführt werden. Extra Pluspunkte für jemanden, der bald im Ländle näher dran sein wird an den Schulen. So viel politisches Wollen hätte man sich auch beim Umbau der Nutztierhaltung gewünscht. Doch statt über eine auskömmliche Finanzierung dieser Riesenaufgabe ernsthaft zu diskutieren, werden vergünstigte Wachteleier zum Spielball im Winterwahlkampf 2025. Doch wer weiß: Es wurde schließlich schon einmal in einem Bundestagswahlkampf über die Reduzierung der Mehrwertsteuer gestritten – und nach der Wahl hat man sie dann von 16 auf 19 Prozent erhöht.