29. Apr. 2025 · 
InterviewSoziales

Sozialverbände fordern: Auch wir wollen von den Angeboten der N-Bank profitieren

Vor achtzig Jahren haben sich die Sozialverbände im Land zur Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege (LAG FW) zusammengetan. Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, und Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, sind derzeit ihre Stimme nach außen. Im Rundblick-Interview mit Niklas Kleinwächter und Anne Beelte-Altwig sprechen sie über ihre Erwartungen an die neue Bundesregierung und den niedersächsischen Wirtschaftsminister, über Lärmschutz im Kindergarten und wie man ohne Geld ein Jubiläum feiert.

Hans-Joachim Lenke (Mitte) und Kerstin Tack (r.) im Rundblick-Interview mit Niklas Kleinwächter (l.) und Anne Beelte-Altwig. | Foto: Link

Rundblick: Das Infrastrukturpaket des Bundes verspricht einen Geldsegen. Auch für Soziales?

Tack: Wir kommunizieren deutlich, dass wir uns hier auch wiederfinden müssen. Ohne soziale Infrastruktur gibt es keine andere! Menschen können nur arbeiten, wenn wir ihre Kinder betreuen und ihre Angehörigen pflegen. Wenigstens für die Kindertagesstätten ist schriftlich festgehalten, dass sie zur Definition von Infrastruktur hinzugezählt werden. Wir sind übrigens zweimal aufmerksam geworden, als es um Geld für Infrastruktur ging…

Rundblick: Sie meinen das Kommunalinvestitionsprogramm der Landesregierung. Sie hatten den Kommunen öffentlich Unterstützung dabei angeboten, die Mittel vom Land effektiv und nachhaltig einzusetzen. Wird das angenommen?

Tack: Bisher wagen sich die Kommunen noch nicht aus der Deckung.

Lenke: Es kann nicht sein, dass Kindergärten schließen müssen wegen ihres desolaten Bauzustandes, und Kommunen sagen: „Wir haben nichts!“ Die kirchlichen Träger haben auch viele eigene Gebäude, die jetzt baufällig werden. Man muss das aus der Sicht von denen sehen, die darin arbeiten. Lärmschutz trägt dazu bei, Arbeitsplätze im Kindergarten attraktiver zu machen.

Rundblick: Der alte Bundestag hat noch die Krankenhausreform beschlossen. Sind Sie zufrieden?

Lenke: Tja, war das richtig? Beides ist irgendwie schlecht. Wann wird die Reform greifen? 2028? Für unsere Häuser, die bis dahin durchhalten müssen, ist das eine lange Zeit. Wir haben traditionell gelernt, gut zu wirtschaften und sparsam zu sein, aber wir haben seit drei Jahren erhebliche Betriebskostensteigerungen. Mit den aufgelaufenen Defiziten ist es schwierig, nach vorne zu denken und sich für die Zuteilung der Fallgruppen gut aufzustellen. Der Bund müsste sich jetzt an seine Zusage erinnern, die Liquiditätslücke aus 2022/2023 zu schließen. Herr Lauterbach konnte sich in letzter Zeit leider nicht mehr daran erinnern.

Tack: Die Bundesländer haben andere Brücken gefunden. In Niedersachsen hat man den Kommunen erlaubt, bis 2026 neue Schulden für ihre Kliniken aufzunehmen.

Lenke: Das ist eine Wettbewerbsverzerrung. Als freigemeinnützige Träger haben wir keinen Zugang. Drei freigemeinnützige Träger bundesweit klagen derzeit gegen diese Ungleichbehandlung. Andere versuchen, sich mit der Kommune zu einer neuen Gesellschaft zusammenzutun, um aus dieser schwierigen Wettbewerbslage herauszukommen.

Kerstin Tack | Foto: Link

Rundblick: Die Frage, wie man die Sozialversicherungen für den demografischen Wandel fit macht, wollen die Koalitionspartner an eine Expertenkommission outsourcen. Ähnlich bei der Pflegeversicherung. Hätte man nicht einfach mal zuhören sollen, was Sie als Experten schon lange sagen?

Tack: Das ist schon ziemlich peinlich! Ich glaube, es gibt elf Kommissionen. Kommissionen werden immer gebildet, wenn man sich nicht einigen kann. Es gibt kein Erkenntnisdefizit. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Als Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege haben wir zwar keine einheitliche Haltung dazu, wie man die Pflege finanzieren kann. Aber jeder Verband hat für sein Modell mehrfach Gutachten vorgelegt.

Lenke: Wir sind uns so weit einig, dass es eine Verbreiterung der Beitragsbemessung braucht. Auch andere Einkünfte als das Arbeitseinkommen müssen herangezogen werden, zum Beispiel Kapitalerträge. Ich mache mir aber große Sorgen, dass wir wieder keine Pflegereform hinbekommen – wie schon in den letzten drei Legislaturperioden.

Rundblick: Setzen Sie Hoffnung in die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken?

Tack: Die hat einen sehr undankbaren Job! In dem Amt kann man keinen Blumentopf gewinnen. Entscheidend ist nicht, wer Ministerin ist, sondern, wie mutig die Mehrheit im Parlament ist.

Lenke: In Niedersachsen haben wir das Glück, dass die Unternehmerverbände sehen: Pflege ist nicht „Gedöns“, sondern ein für die Wirtschaft relevantes Thema. Das gelingt auf Bundesebene gar nicht. Alle reden mit Inbrunst über die Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Erwerbsarbeit, aber das bleibt ein Lippenbekenntnis. Wir brauchen auch das Wirtschaftsministerium als Partner.

Tack: Wir scheitern in Niedersachsen seit Jahren an den Wirtschaftsministern! Jeder andere darf sich an den Fördertöpfen der N-Bank bedienen, nur die Sozialwirtschaft nicht. Aber wir sind auch Wirtschaft. In manchen Kommunen sind wir der größte Arbeitgeber.

Rundblick: Ist das ein Appell an den neuen Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne?

Tack: Auf jeden Fall!

Rundblick: Jetzt gibt es ja immerhin KiSs, die Kooperationsvereinbarung mit dem Umweltministerium für eine nachhaltige Transformation in der Sozialwirtschaft…

Tack: Naja, wir kriegen Beratung, aber kein Geld. Es ist gut, dass unsere Einrichtungen fortgebildet werden. Aber wir drängen darauf, dass wir parallel eine eigene Förderkulisse bekommen.

Hans-Joachim Lenke und Kerstin Tack im Rundblick-Interview. | Foto: Link

Rundblick: Noch einmal zurück zur Bundespolitik: Das Bürgergeld wird jetzt wieder zurückgedreht. Wie schätzen Sie die geplante „Grundsicherung“ ein?

Tack: Ich fand es immer richtig, dass Leute, die keinen Schulabschluss oder keine Ausbildung haben, zuerst qualifiziert und dann erst in Arbeit vermittelt werden. Das wird jetzt wieder umgedreht. Aber ohne Abschluss fallen sie schnell zurück ins System. Sie werden noch in der Rente Grundsicherung brauchen. Ich finde die Kritik aber auch unredlich, dass Menschen jetzt auf Null zurückfallen würden. Das gibt es in Deutschland nicht. Das Existenzminimum steht jedem zu.

Lenke: Es gab die Diskurslage im Wahlkampf, Bürgergeld-Empfänger seien faule Säcke. Nein, viele sind Aufstocker. Sie arbeiten und das Einkommen reicht trotzdem nicht. Man macht ganze Gruppen verächtlich, genau wie in der Einwanderungsdebatte. Dieser politische Stil ist verheerend. Ich wünsche mir eine sachlichere Diskussion, damit wir Lösungen für die Menschen finden.

Rundblick: Die LAG FW wird in diesem Jahr 80…

Tack: Wir sind älter als Niedersachsen! Unsere Anfänge liegen in der Nachkriegszeit. Wir haben Hunger und Obdachlosigkeit bekämpft, uns um Kriegsversehrte gekümmert. Ein „freier Liebesdienst“, sagte man damals.

Rundblick: Wird das Jubiläum groß gefeiert?

Tack (lacht): Wir haben ja kein Geld! Die Landesregierung organisiert uns im Mai einen Empfang. Zusammen mit den UVN und dem Wirtschaftsminister werden wir zudem im September einen Sozialpreis vergeben.

Lenke: Seit 80 Jahren gilt: Wir arbeiten am Gemeinwohl orientiert. Es geht uns nicht um Gewinnmaximierung. Wir brauchen keine acht Prozent Rendite, wir kommen auch mit vier oder zwei Prozent zurecht. Die braucht es aber, um in die Zukunft investieren zu können, sei es in IT-Struktur oder auch um Rücklagen bilden zu können.

Dieser Artikel erschien am 30.4.2025 in Ausgabe #081.
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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