Der Trend ist schon seit Jahren bemerkbar, nun könnte er sogar für das Wahlrecht relevant werden. Im Westen Niedersachsens, vor allem im Raum Südoldenburg, Emsland und Osnabrück, nimmt die Einwohnerzahl beständig zu. Im Süden und Osten hingegen, so vor allem im Raum Goslar, Northeim und Holzminden, wird eine „Überalterung“ beklagt – der Anteil der Hochbetagten nimmt zu, generell schrumpft die Bevölkerung. Da sich die Entwicklung bisher kaum im Zuschnitt der Landtagswahlkreise abzeichnet, hat sich ein engagierter Bürger aus dem Nordwesten mit einem Wahleinspruch an den Staatsgerichtshof gewandt. Verhandelt wird darüber am 22. Oktober. Hermann Gerdes, einstiger Gemeindedirektor von Bösel (Kreis Cloppenburg) bemängelt Ungleichgewichte in der Repräsentanz. Knapp gesagt: Die Volksvertreter aus dem Süden und Osten des Landes seien im Landtag überrepräsentiert, die aus dem Westen unterrepräsentiert.

Hermann Gerdes kritisiert die Einteilung der Landtagswahlkreise in Niedersachsen. | Foto: privat

Gerdes beklagt nicht das Übergewicht einer bestimmten Partei im Parlament, seine Kritik setzt vielmehr tiefer an und versteht die Repräsentanz der Volksvertreter auch so, dass es eine regional gerechte Verteilung geben müsse. Im Zuge der Bevölkerungsentwicklung gibt es im Süden und Osten Niedersachsens Wahlkreise mit weniger Einwohnern als im Durchschnitt, im Westen hingegen solche mit mehr Einwohnern als im Durchschnitt. Dazu wird in Niedersachsen die Regel angewandt, dass Abweichungen nach oben und unten vom Durchschnitt von bis zu 25 Prozent gestattet sind. Gerdes hält diese 25-Prozent-Klausel für zu hoch, zumal im niedersächsischen Landtagswahlrecht 66 Prozent der Mandate per Erststimme in den Wahlkreisen vergeben werden (87 der gesetzlichen Mindestzahl von 135). Im Bundestag sei das Gewicht der Erststimmen geringer. Hinzu komme, dass Überhangmandate im Landtagswahlrecht nur begrenzt ausgeglichen werden können.

In der Analyse, die Gerdes dem Staatsgerichtshof vorgelegt hat, vergleicht er zwei Räume. Er greift Gebiete heraus in der Region um Göttingen, Northeim, Einbeck bis hoch zu Soltau und Walsrode. Dort lebe die gleiche Anzahl von Wahlberechtigten wie in der Region zwischen Grafschaft Bentheim und Emsland. Im Westen verteilten sich diese Wahlberechtigten aber auf nur vier Wahlkreise, im Süden und Osten auf sechs Wahlkreise. Da jeder Wahlkreissieger sein Mandat sicher hat, entstehe also ein Übergewicht aus dem Gebiet mit kleinen Wahlkreisen. Weser-Ems müsse, wenn man die Wahlberechtigten vergleiche, 28 Wahlkreise haben, tatsächlich seien es nur 26. Noch ein Argument erwähnt Gerdes: Mehrere von denjenigen, die in einem Wahlkreis mit vielen Wahlberechtigten verloren haben, hätten jeweils mehr Stimmen erhalten als die Sieger in Wahlkreisen, die über besonders wenige Wahlberechtigte verfügen. Daraus folge ein Verstoß gegen das Prinzip, dass jede Wählerstimme gleich zähle.

In der Gerichtsverhandlung zu Gerdes‘ Wahleinspruch dürfte auch das neue Konzept von Landeswahlleiterin Ulrike Sachs zur Sprache kommen. Sie hatte tatsächlich vorgeschlagen, zur Landtagswahl 2027 zwei Wahlkreise im Osten zusammenzulegen – Soltau und Walsrode. Dafür solle ein Wahlkreis in der Grafschaft Bentheim im Westen aufgeteilt werden.