Man mag nun über die Neunziger Jahre in der niedersächsischen Landespolitik lästern, weil damit quasi zwangsläufig ein gewisser Personenkult verbunden ist. Schon die CDU hatte es Ende der siebziger und in den achtziger Jahren vermocht, die gesamte Politik der Partei auf den Spitzenmann Ernst Albrecht zuzuschneiden. Sie stellte in den Wahlkämpfen die „Albrecht-Politik“ zur Abstimmung. Aber Albrecht selbst schien nie so stark vom Ehrgeiz zu weiterem Aufstieg getrieben zu sein wie es Schröder war. Immerhin: Bis Ende der neunziger Jahre war die Landespolitik in Niedersachsen, was die handelnden Akteure anging, zuerst und ganz prägend die Person des Ministerpräsidenten. Ihm wurde fast alles untergeordnet, auch in der Niedersachsen-SPD, die immerhin seit 1994 die absolute Mehrheit hatte, hatten es starke Persönlichkeiten schwer, sich mit eigenen oder gar abweichenden Positionen bemerkbar zu machen.

1994: Gerhard Schröder gewinnt deutlich gegen den aufstrebenden Christian Wulff. | Foto: picture alliance / dpa / DB Fender

Dabei beginnt die Schröder-Periode im Sommer 1990, nach dem rot-grünen Sieg bei der Landtagswahl, zunächst mit skeptischen Kommentaren. Ob dem SPD-Mann nicht die FDP lieber als Koalitionspartner gewesen wäre als die unberechenbaren Grünen? Nein, sagt Helmut Rieger, gewonnen habe bei der Wahl ja „das rot-grüne Lebensgefühl“. Dieses wird in der Folge ausgelebt. Es gibt mehr Frauenförderung, mehr Verbandsbeteiligung, ein Stellenaufwuchs in den Behörden und vor allem – ein Ende der Zurückhaltung bei staatlichen Ausgaben. Schröder, wird 1991 verwundert festgestellt, genießt sein Amt als Landesvater auch in dem Sinne, dass er sich als Freund der Wirtschaft präsentiert (während Albrecht von der angeblichen Wirtschafts-Partei CDU stets auf Distanz zu den Wirtschaftsleuten geblieben war). 1992 wird deutlich, dass sich die bundespolitische Lage eintrübt, die starke Zuwanderung wird problematisiert, das Asylrecht wird eingeschränkt. Dann sortiert sich die CDU neu, der junge Osnabrücker Rechtsanwalt Christian Wulff wird zunächst Spitzenkandidat, später Landesvorsitzender.



Doch die Landtagswahl 1994 endet für die CDU enttäuschend (minus 5,6 Prozent), Schröders SPD gewinnt die absolute Mehrheit der Mandate und braucht die Grünen als Koalitionspartner nicht mehr – für den Rest des Jahrzehnts und noch darüber hinaus. Mitte der neunziger Jahre wird Schröder aber zur radikalen Kurswende gezwungen, sein Kabinett muss die Ausgaben bremsen. Nur noch jede zweite Lehrerstelle, die frei wird, bekommt einen Nachfolger. Proteste gegen die Bildungspolitik sind die Folge, auch im eigenen Kabinett gibt es Widerstände. Die Kommunalverfassung wird reformiert. Mit der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte wird die Verwaltungsspitze gestärkt, auch das geschieht gegen starke Widerstände in der SPD, Schröder nutzt dafür sein Gewicht aus und bringt die Gegner zur Räson. Glanzvoll war die landespolitische Bilanz vor der Landtagswahl 1998 nicht. Aber mit einem PR-Coup gelingt es Schröder, das SPD-Ergebnis noch mal um 3,6 Prozentpunkte zu steigern. Er verkündet vor der Wahl, bei einem Verlust von mehr als zwei Prozentpunkten auf seine bundespolitischen Ambitionen verzichten zu wollen. Das hieß indirekt: Nur ein Schröder-Sieg bei der Landtagswahl im März 1998 kann eine Kanzlerkandidatur von Oskar Lafontaine bei der Bundestagswahl im September 1998 verhindern. Das zog, sehr zum Ärger der niedersächsischen CDU.

Zum Ende der Neunziger Jahre geht es dann bergab mit der SPD. Schröders Nachfolger als Ministerpräsident, Gerhard Glogowski, stürzt nach nur elf Monaten Amtszeit über Vorwürfe, er habe ungerechtfertigt Vorteile angenommen. Dessen Nachfolger Sigmar Gabriel verkörpert Aufbruch und Erneuerung, aber auch eine gewisse Ungeduld in den Inhalten. Das sollte sich später für die Sozialdemokraten dann nicht auszahlen.