Aufbruch, Proteste der Jungen gegen die Alten, Wirtschaftskrise und autofreie Sonntage – außerdem staatlicher Kampf gegen den Terrorismus. In der Rückschau sind die siebziger Jahre in der Bundesrepublik ein sehr lebhaftes, konfliktreiches und überaus politisiertes Jahrzehnt. Bekenntnisse behielt man nicht für sich, man rief sie förmlich in die Welt hinaus. In dieser Zeit waren die Autos, mit denen die Menschen fuhren, viel farbenfroher und poppiger als heute. Und es gehörte damals zum guten Ton, dass man die politischen Einstellungen der Fahrer als Aufkleber auf dem Heck vorführte. „Willy wählen“ in orange für die SPD, „Kanzler für Deutschland – Helmut Kohl“ für die CDU. Oder die FDP mit drei Punkten in blau auf gelbem Grund.

Ernst Albrecht will im Wendland ein nationales Endlager für hochradioaktiven Atommüll errichten. | Foto: picture alliance / dpa / Wolfgang Weihs

Was Niedersachsen angeht, kann man die siebziger in der Rückschau in zwei Etappen einteilen: Vor dem Februar 1976 und nach dem Februar 1976. Es gab im Machtgefüge der Parteien und in der Gesellschaft erhebliche Umbrüche, die sich in den sechziger Jahren teilweise schon angedeutet und entwickelt hatten. All das wurde begleitet von der Gebiets- und Verwaltungsreform, die aus vielen ehrenamtlichen Gemeindebüros und wenig professionellen Kreisverwaltungen größere, damit weniger Einheiten schaffen wollte. Lokale Identitäten und Empfindlichkeiten waren für die Landespolitiker kein Hindernis, der Leitspruch der siebziger Jahre war Modernität und Effizienz. Reformen hier, Machtkämpfe dort, diese Mischung begünstigte Intrigen, die auf der Basis verletzter Eitelkeiten umso besser gedeihen können. Im Februar 1976 wurde der CDU-Kandidat Ernst Albrecht in der geheimen Wahl im Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt – obwohl SPD und FDP seit 1974 in einer Koalition gebunden und sich die Treue versprochen hatten. Die SPD-Bewerber Helmut Kasimier und Karl Ravens verloren, und mit der Ära Albrecht erlebte die CDU eine 14 Jahre dauernde Machtperiode. Bis heute sind die Vorgänge von 1976 ein Trauma für die Landespolitik.



Der Rundblick und vor allem Helmut Rieger waren sehr nah dran an den Ereignissen damals. Rieger hat noch kurz vor seinem Tod immer wieder erklärt, manches zu wissen und über vieles schweigen zu müssen. Die Rundblick-Berichte beginnen mit der vorgezogenen Landtagswahl, die für die CDU in einem Fiasko endet (trotz der Tatsache, dass sie 4 Prozent zulegte, die siegreiche SPD aber nur 3,2 Prozent). Dann wird das Hin und Her der Kreisreform gestreift, es geht um die Rückwirkungen des Bundestagswahlkampfs 1972 auf die Politik in Niedersachsen, um den sehr knappen Ausgang der Landtagswahl und die Ablösung der SPD-Alleinregierung zugunsten eines sozialliberalen Bündnisses. Es geht um die Volksabstimmungen in Oldenburg und Schaumburg-Lippe zur Selbstständigkeit dieser Länder. Zwar wollten die Menschen die Abkopplung von Niedersachsen, doch auf Bundesebene folgte die Politik diesen Forderungen nicht. 1977 tritt das Thema Gorleben in die politische Debatte, es sollte dort über Jahrzehnte bleiben. Die Landtagswahl 1978 bringt die absolute Mehrheit für die CDU, da die FDP aus dem Landtag fliegt. Eine „Grüne Liste Umweltschutz“ landet bei damals beachtlichen 3,9 Prozent. 1979 wird Albrecht als Kanzlerkandidat der Union gehandelt, unterliegt dann aber gegenüber Franz Josef Strauß. Doch die Niederlage sollte noch lange nicht das Ende der Ära Albrecht sein.