An der Wende zum zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends wurde in der niedersächsischen Landespolitik viel über die Zukunft von Christian Wulff spekuliert. Würde der niedersächsische Ministerpräsident vielleicht irgendwann zum Sprung in die Bundespolitik ansetzen? Den CDU-Landesvorsitz hatte er schon an David McAllister abgegeben. Und in der Bundespolitik arbeitete Ursula von der Leyen als erfolgreiche Bundesministerin, eine Frau, die einst im ersten Kabinett von Wulff ihre politische Laufbahn begonnen hatte. Was war mit Wulff selbst? Als Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied gelang ihm ein Coup – er konnte die geplante Übernahme von VW durch Porsche abwenden und leitete stattdessen die Übernahme von Porsche durch VW ein. Dieses erfolgreich absolvierte Pokerspiel machte Wulff in den Augen vieler Beobachter reif für eine höhere politische Stufe.

Keine guten Aussichten: Christian Wulff verlässt Bellevue. | Foto: picture alliance / dpa / Michael Kappeler

Die Entscheidung sollte nicht lange warten, als Horst Köhler Ende Mai 2010 als Bundespräsident zurücktrat. Zunächst wurde von der Leyen als Nachfolgerin gehandelt – doch im Hintergrund war schon Wulff in Stellung gebracht worden. Tatsächlich entwickelten sich die Dinge wie von ihm geplant, er wurde im Juli 2010 neues Staatsoberhaupt. In Hannover übernahm David McAllister die Geschäfte als Ministerpräsident. McAllisters Vertrauter Philipp Rösler von der FDP war zu dem Zeitpunkt schon in die Bundespolitik gewechselt, er war nur ein halbes Jahr lang niedersächsischer Wirtschaftsminister (von Februar bis Oktober 2009). Für beide, für Wulff wie McAllister, war das keine lange und erfolgreiche Phase in ihren neuen Ämtern.

Wulff geriet wegen verschiedener Vorwürfe, ungerechtfertigt Vorteile angenommen zu haben, in Bedrängnis. Als die Staatsanwaltschaft Hannover Ermittlungen gegen in aufnahm, trat Wulff im Februar 2012 zurück – nicht ohne den fahlen Beigeschmack, monatelang einem medialen Dauerfeuer ausgesetzt gewesen zu sein. McAllister setzte im Wesentlichen die Politik seines Vorgängers als Ministerpräsident fort, debattierte über eine Schulreform und die Vereinigung von Haupt- und Realschule zur Oberschule. Im Streit um Studiengebühren, deren Abschaffung in diesem Jahrzehnt vehement gefordert wurde, plädierte er für die Beibehaltung. Die Landtagswahlen vom 20. Januar 2013 brachte ein äußerst knappes Ergebnis für Rot-Grün, der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil wurde neuer Ministerpräsident.



Das neue Kabinett brachte einige Reformen auf den Weg, die allesamt jedoch – anders als in der ersten Phase von Wulff – keine Kürzungen, Vereinfachungen und Beschleunigungen zum Ziel hatten. So wurden „Landesbeauftragte für regionale Entwicklung“ als politische Beamte geschaffen, der Verdacht einer geplanten Rückkehr zu den alten Bezirksregierungen wurde laut. Dazu jedoch kam es in der Folgezeit dann nicht. Die Bürgermeister- und Landräte-Amtszeit wurde von acht auf fünf Jahre verkürzt, das Polizeigesetz entschärft. Eine erste Krise hatte das neue Kabinett zu bestehen, als Agrar-Staatssekretär Udo Paschedag (Grüne) wegen eines zu großen Dienstwagens in die Kritik geriet – und entlassen wurde. Die Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 erforderte die Kräfte des Krisenmanagements, der Messer-Angriff einer radikalen Islamistin warf Fragen nach der Effektivität der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz auf. Das mündete in einen Untersuchungsausschuss, der Innenminister Boris Pistorius (SPD) allerdings nicht wirklich zusetzen konnte.

Im August 2017 trat die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten aus der Partei und Fraktion aus – und schloss sich der CDU an. Damit war die rot-grüne Mehrheit im Landtag vorüber, die Parteien einigten sich auf vorgezogene Neuwahlen im Oktober 2017 – damit drei Monate vor dem regulären Neuwahltermin. Die Hoffnungen von CDU und FDP, Rot-Grün ablösen zu können, erfüllten sich nicht. Aber die bisherige Regierung konnte nicht weitermachen, folglich gab es – das erste Mal seit 1970 – wieder eine Große Koalition von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann. Sie beschlossen die Beitragsfreiheit für Kindergärten, schafften eine Rückführung der Staatsverschuldung und retteten die in schwere See geratene Norddeutsche Landesbank. Die Grundlagen für eine effektive Reform der Krankenhauslandschaft wurden beschlossen. Zum Ende des Jahrzehnts sah es nach einer geordneten und zielstrebigen Landesentwicklung aus. Das, was kurz darauf kommen sollte, ahnte noch niemand.