Reaktivierung von sieben Bahnstrecken in Niedersachsen nimmt Gestalt an
Der Siegeszug des Automobils hat vielerorts das Ende der Regionalbahnen markiert. Sinkende Nutzerzahlen führten dazu, dass auch in Niedersachsen dutzende Strecken aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurden. Nachdem der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) jahrzehntelang schrumpfte, ist mittlerweile jedoch eine Trendwende eingetreten. Landtag und Landesregierung in Hannover arbeiten an dem bisher größten Bahnstreckenreaktivierungsprogramm, um möglichst viele Fahrgäste zurück auf die Schiene zu bringen.
21 von 61 untersuchten Strecken befinden sich derzeit in der engeren Auswahl für eine Wiederbelebung. „Es ist unsere erklärte Absicht, die Schiene und die Infrastruktur zu stärken, denn das macht die Mobilitätswende sichtbar. Wir wollen mehr Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen überzeugen: Das ist auf der einen Seite gut für das Klima und auf der anderen Seite gerade durch das D-Ticket eine günstige Alternative. Aber dazu brauchen wir auch gute Angebote“, sagt Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD).
Diese Erkenntnis ist zum Glück nicht ganz neu, denn wer stillgelegte Bahnstrecken wiederbeleben will, braucht einen langen Atem, wie sich gezeigt hat. „Das Land Niedersachsen hat sich mit der seit 2013 begonnenen Reaktivierungsinitiative frühzeitig auf den Weg gemacht, den SPNV zukunftsgerecht aufzustellen. Ich freue mich, dass wir mittlerweile auf einigen Strecken einen konkreten Fahrplan zur Inbetriebnahme haben“, sagt Lies. Nach der erfolgreichen Reaktivierung der Bahnstrecken Einbeck-Mitte – Einbeck-Salzderhelden (2018), Bad Bentheim – Neuenhaus (2019) und Einbeck-Mitte – Einbeck-BBS/PS-Speicher (Probebetrieb seit 2022) steht für drei weitere Regionalverbindungen bereits eine Inbetriebnahme in Aussicht. Bei vier weiteren Strecken sind die Signale so positiv, dass eine Reaktivierung als wahrscheinlich gilt.
Das sind die Regionalverbindungen, die bereits außerhalb des Parlamentarischen Lenkungskreises zum Reaktivierungsprogramm des Landes Niedersachsen diskutiert werden, weil sie schon viel weiter in der Planung sind:
Neuenhaus – Coevorden (Niederlande)
Über 40 Jahre lang war Nordhorn als die größte Kreisstadt in Deutschland bekannt, die Reisende nicht mit dem Zug erreichen konnten. Seit der Inbetriebnahme der Bahnstrecke zwischen Bad Bentheim und Neuenhaus ist das vorbei. Heute gilt die Rückkehr zum Schienennahverkehr als Vorzeigeprojekt der bisherigen Reaktivierungsbemühungen in Niedersachsen. Sogar am Wochenende verkehren die Züge der Bentheimer Eisenbahn AG im Stundentakt durch die Grafschaft Bentheim und halten an drei Bahnhöfen sowie drei Stationen.
Demnächst sollen die blau-weißen Triebwagen bis in die niederländische Grenzstadt Coevorden pendeln, womit dann auch der nördliche Landkreis an den Personen-Schienenverkehr angeschlossen wird. „Wir hoffen, dass die Strecke Ende 2026 in Betrieb genommen wird“, sagt Lies. Die Bundesförderung und der vorzeitige Maßnahmenbeginn sind bereits bewilligt. Auf deutscher Seite liegt der Investitionsbedarf für die Streckenverlängerung nach Coevorden bei 34 Millionen Euro, wovon 2,2 Millionen Euro vom Land und die restliche Summe vom Bund bezahlt werden. Auf niederländischer Seite werden die Kosten auf 20 Millionen Euro geschätzt.
Lüneburg – Soltau
Die Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Soltau wird zwar noch für den Güterverkehr genutzt, reguläre Personenzüge rollten hier aber zuletzt 1977 über die Gleise. Über eine Renaissance wird seit Jahren diskutiert, nun rückt sie in greifbare Nähe. Der Lüneburger Kreistag steht mit deutlicher Mehrheit hinter dem Projekt, die Wirtschaftlichkeit ist per Gutachten bewiesen und die Fachleute der Schieneninfrastruktur Ost-Niedersachsen GmbH (Sinon) haben sogar schon ein Konzept: Ab Lüneburg-West sind fünf Haltepunkte geplant, sodass Amelinghausen innerhalb von 21 Minuten und Soltau in 49 Minuten erreichbar wäre.
Landrat Jens Böther sieht nur Vorteile für die Region. „Die neuen Bahnverbindungen zwischen Heide und Elbe können für viele Menschen im Landkreis vorteilhaft sein – Berufspendler, Schüler, Touristen und Unternehmen, die ihre Güter umweltfreundlich auf der Schiene transportieren können“, sagt er. Die Politik in Hannover ist ebenfalls überzeugt. Für 2024 sind die Aufnahme der Entwurfsplanung und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgesehen. Die Inbetriebnahme ist für spätestens 2029 vorgesehen, wenn der Umbau des Lüneburger Bahnhofs abgeschlossen ist.
Stade – Bremervörde
Wenn die Landräte Kai Seefried (Stade) und Marco Prietz (Rotenburg/Wümme) aufeinandertreffen, geht es fast immer auch um die Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Stade und Bremervörde. Bei ihrem Januar-Spaziergang tauschten sich die beiden CDU-Politiker selbst im dichten Schneetreiben darüber aus. „Es vergeht keine Sitzung des Aufsichtsrates der Eisenbahn- und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB), bei der das Thema nicht ganz oben auf der Agenda steht“, sagte Seefried anschließend. „Viele Berufspendler aus dem Raum Bremervörde würden gerne vom Auto auf die Bahn umsteigen und die Verbindung nach Stade nutzen – und umgekehrt“, wirbt Prietz für die Rückkehr des „Moorexpress“.
Wenn es nach den beiden Landräten geht, sollen nicht nur alle Haltepunkte entlang der Strecke angeschlossen werden, sondern auch das Elbe-Klinikum in Stade und die Gemeinde Himmelpforten, die durch ihr Christkind-Postamt bundesweit Berühmtheit erlangt hat. „Das Vorhaben wird in Abstimmung mit dem Lenkungskreis zügig zwischen Vorhaben- und Aufgabenträger weiter beplant“, sagt Ministeriumssprecher Florian Mosig. Die Einbindung in das DB-Netz in Stade sei zwar herausfordernd gewesen, inzwischen habe man sich jedoch auf eine Variante geeinigt. Die Inbetriebnahme der Strecke ist im Jahr 2027 geplant.
Buchholz – Hamburg-Harburg
In der Gemeinde Jesteburg (Landkreis Harburg) träumt man seit der Stilllegung 1981 bereits davon, dass die Güterverkehrsstrecke durch den Ort wieder für den Personenverkehr geöffnet wird. Neben den grundsätzlich schwierigen Voraussetzungen für eine Reaktivierung kommt bei der Strecke Buchholz/Nordheide – Jesteburg – Hamburg-Harburg jedoch erschwerend hinzu, dass es sich um ein länderübergreifendes Projekt in einer verkehrsreichen Gegend handelt.
„Insbesondere die Einbindung in den Bahnhof Harburg ist technisch anspruchsvoll“, weiß Florian Mosig aus dem Verkehrsministerium. Nachdem die Wirtschaftlichkeit der Strecke längst per Gutachten nachgewiesen wurde, scheinen sich die bisherigen Widerstände, die vor allem von der Deutschen Bahn ausgingen, nun endlich aufzulösen. „Aus Hamburg wurde kürzlich der Einstieg in die gemeinsamen Planungen in Aussicht gestellt“, sagt der Ministeriumssprecher.
Helmstedt – Schöningen
Wegen des Braunkohleabbaus schien die Wiederherstellung der SPNV-Verbindung zwischen Helmstedt und Schöningen lange Zeit als unmöglich. Inzwischen sieht das anders aus: Um die 11.000-Einwohner-Stadt Schöningen wieder ans Schienennetz anzuschließen, sind laut der Stadt Helmstedt nur noch etwa drei Kilometer Neubaustrecke erforderlich. Der Regionalverband Großraum Braunschweig will nun einen Gutachter beauftragen, der die für die Bundesförderung erforderliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchführt.
Braunschweig-Gliesmarode – Harvesse
Im Landkreis Peine und vor allem in der 10.000-Einwohner-Gemeinde Wendeburg drängt man schon seit 2018 sehr intensiv auf die Wiederbelebung des sogenannten „Spargelexpress“. Inzwischen sieht es so aus, als ob die Strecke von Harvesse nach Braunschweig-Gliesmarode vor einem Comeback steht. Eine vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung liegt bereits mit positivem Ergebnis vor.
Salzgitter-Lebenstedt – Salzgitter-Lichtenberg
Um das Forschungs- und Entwicklungszentrum „Wasserstoff Campus Salzgitter“ an das Schienennetz anzuschließen, müssen 3,4 Kilometer Bahnstrecke reaktiviert werden. Der ÖPNV-Dienstleister KVG Braunschweig rechnet mit einem Investitionsbedarf von rund 18 Millionen Euro, in denen allerdings auch ein neuer Kreuzungsbahnhof für Salzgitter-Watenstedt enthalten ist. Dieser sei notwendig, um die Strecke im Halbstundentakt zu befahren. Auch für diese Strecke liegt schon eine positive vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vor.
Dieser Artikel erschien am 27.03.2024 in der Ausgabe #058.
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