Der Vorsitzende des „Rates für deutsche Rechtschreibung“, Josef Lange, hat an das Kultusministerium in Niedersachsen appelliert: „Wenn in Klassenarbeiten oder Prüfungen von den Schülern ein Gender-Sonderzeichen verwendet wird, dann muss das als Fehler angestrichen werden. Denn diese Sonderzeichen sind nach wie vor nicht Bestandteil des amtlichen Regelwerks der Rechtschreibung“, sagte Lange im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Zwar habe der Rat, in dem Lange als Vorsitzender wirkt, im Juli wieder über die Verwendung von Gender-Sonderzeichen diskutiert, Ende des Jahres solle das noch einmal vertieft werden. „Allerdings ist klar, dass Gender-Sternchen und andere Sonderzeichen auch künftig nicht zum Kern der Rechtschreibung zählen werden – und deshalb auch nicht Teil des Regelwerkes werden“, fügte Lange hinzu. Für den ehemaligen Wissenschafts-Staatssekretär aus Niedersachsen ist damit eindeutig: „Wie man die Auffassung vertreten kann, die Verwendung eines solchen Sonderzeichens wäre nicht als Fehler einzustufen, ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Kultusministerin Julia Hamburg hatte zuletzt im April erklärt, dass sie das „Gendern“ von Lehrern im Unterricht begrüße. Eine „gendergerechte Schreibweise“ werde daher ausdrücklich nicht als Rechtschreibfehler gewertet“. Dem widerspricht nun Lange und verweist auf die Länder Bayern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Diese hätten sich für eine klare Vorschrift entschieden. In Schleswig-Holstein werde vorgegeben, Gender-Sonderzeichen als Fehler anzustreichen. Bayern habe seit Anfang August einen ähnlichen Weg eingeschlagen, Sachsen auch.
In Baden-Württemberg hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu Jahresbeginn ein deutliches Nein gegenüber allen Gender-Absichten verkündet. Es sei schon schlimm genug, dass so viele Grundschüler nicht richtig lesen könnten, meinte Kretschmann. Man müsse ihnen das Erlernen der Sprache in Schrift und Form „nicht noch erschweren, indem man in der Schule Dinge schreibt, die man gar nicht spricht“, fügte der Stuttgarter Regierungschef hinzu.

Lange teilt diese Auffassung. Es gehe bei der Sprache um die Verständlichkeit – gerade angesichts der Tatsache, dass viele Kinder in der Schule heute erst noch Deutsch lernen müssten. Der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der vor einem Jahr ein Gutachten zum Gendern angefertigt hat, liege richtig mit seiner Einschätzung, dass man von einem „Grundrecht auf Verständlichkeit“ ausgehen müsse. Diese Bringschuld habe der Staat gegenüber den Menschen, daher dürfe der Staat das Gendern auch nicht vorgeben – denn das Gendern erschwere die Verständlichkeit gerade dann, wenn es um die Übersetzung deutscher Texte in eine andere Sprache gehe.
Lange geht noch einen Schritt weiter: Die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen nehme bei einer Missachtung von Rechtschreibregeln Schaden – und damit die Glaubwürdigkeit des politischen Systems. Wenn der deutschsprachige Raum ein amtliches Regelwerk für die Sprache festlege, aber Verstöße dagegen von den Politikern einfach tatenlos hingenommen werden, dürfe man sich „über die zunehmende Politikverachtung nicht wundern“. Natürlich könne Niedersachsen, was die Genderstern-Toleranz in Schulprüfungen und die Genderstern-Verwendung in der amtlichen Sprache angeht, eigene Wege gehen und aus der Gemeinschaft aller deutschsprachigen Staaten aussteigen. „Ob der Alleingang aber den Schülern dient, sei dahingestellt“, fügt Lange hinzu.
Ein solcher Schritt, der laut einem rot-grünen Entschließungsantrag im Landtag diskutiert werden sollte, wäre aus Sicht des Vorsitzenden des Rechtschreibrates „ein Rückfall in die Zeit vor 1903“. Damals erschien der Duden, zwei Jahre vorher wurde in einer Sonderkonferenz die gemeinsame deutsche Orthographie für alle deutschsprachigen Länder festgelegt. Die rot-grüne Mehrheit im niedersächsischen Landtag hatte in einem Entschließungsantrag am 23. März dieses Jahres beschlossen, dass „die geschlechtergerechte Sprache in allen Rechts- und Verwaltungsvorschriften angewendet werden muss“. Auch die nicht-binäre Geschlechtsidentität solle berücksichtigt werden, heißt es im Parlamentsbeschluss. Das hieße dann, dass „Lehrerinnen und Lehrer“ – eine vom Rat für Rechtschreibung nicht beanstandete Form - nicht reichen würde.
