11. Juli 2023 · Soziales

Ist ein Sonderweg Niedersachsens beim Gendern denkbar? „Das wird schwer“

Mit Spannung erwartet Niedersachsen einen Gesetzentwurf aus dem Haus von Sozialminister Andreas Philippi, der zugleich der „Gleichstellungsminister“ des Landes ist. Geklärt werden soll die Frage, wie die Behörden des Landes und der Kommunen mit der deutschen Sprache umgehen sollen.

Josef Lange | Foto: Deutscher Philologenverband

Gesetzliche Vorgaben dieser Art sind bisher selten, das gängige Regelwerk in Deutschland beruht derzeit vor allem auf den Empfehlungen des „Rates für deutsche Rechtschreibung“, der sich aus Vertretern nicht nur der Bundesrepublik, sondern auch anderer deutschsprachiger Länder zusammensetzt. Nun hat aber die rot-grüne Landtagsmehrheit am 23. März in einem Entschließungsantrag beschlossen, dass in Niedersachsen „die geschlechtergerechte Sprache in allen Rechts- und Verwaltungsvorschriften angewendet werden muss“. Das ist als Handlungsauftrag an die Landesregierung zu verstehen, für den Sprachgebrauch doch gesetzliche Grundlagen zu schaffen.

Benutzung von Gender-Sternchen und Co. ist „nicht empfohlen“

Wie aber bewertet der Vorsitzende des „Rates für deutsche Rechtschreibung“ dieses Vorgehen? Josef Lange, ehemaliger Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, steht seit sechseinhalb Jahren diesem Rat vor, ist damit sozusagen derzeit der oberste Wächter über die deutsche Sprache. Bisher hat dieses Gremium sich zwar für die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache ausgesprochen, aber ausdrücklich die Benutzung von Binnen-I, Gender-Sternchen, Unterstrich- oder Trennstrich-Darstellungen „nicht empfohlen“.

Dieses „nicht empfohlen“ hat der frühere Goslarer Oberbürgermeister Oliver Junk, der sich mit dem Thema eingehend befasst hat, als ein Verbot interpretiert. Aber ist dieser „Rat für deutsche Rechtschreibung“ überhaupt ein Gremium, das für die Sprache maßgeblich ist – seit der Duden 1996 das Monopol in dieser Frage eingebüßt hat? Am 14. Juli, in wenigen Tagen, berät der Rat erneut über die Gender-Frage und andere Rechtschreibregeln. Womöglich wird er sich dann dazu noch deutlicher äußern als bisher.


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Josef Lange erklärt im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, dass die Kompetenz des von ihm geführten Rates auf einer „Wiener Absichtserklärung“ vom Juli 1996 beruhe. Damals hätten sich Deutschland, Österreich, die Schweiz, die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, die Autonome Provinz Bozen-Südtirol, das Fürstentum Liechtenstein, Ungarn und Rumänien auf ein gemeinsames Vorgehen und die Bildung des Rates verständigt.

„Das Land Niedersachsen würde sich mit einer Abweichung nach gegenwärtigem Stand im deutschsprachigen Raum isolieren.“

Josef Lange

Auf deutscher Seite hatten die Kultusministerkonferenz, die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundesregierung dieses Vorgehen abgesegnet – jeweils mit Beschlüssen Ende 1995 und Anfang 1996. Diese Basis ist bisher nicht von Bund und Ländern angezweifelt worden. Lange sagt nun: „Falls das Land Niedersachsen vom amtlichen Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung förmlich abweichen sollte, würde es damit den Konsens zwischen den Ländern und zwischen den Ländern und dem Bund über die amtliche deutsche Rechtschreibung verlassen. Es würde sich damit nach gegenwärtigem Stand innerhalb der Bundesrepublik und im deutschsprachigen Raum isolieren.“

Rat für deutsche Rechtschreibung befürwortet Doppelnennungen

Dabei wendet sich der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ entgegen einem verbreiteten Vorurteil nicht gegen geschlechtergerechte Sprache. Er hält die Doppelnennung („Lehrerinnen und Lehrer“) für möglich, die Verwendung der Form „Lehrende“ oder andere geschlechtsneutrale Formulierungen ebenfalls. Nur Sonderzeichen in den Wörtern oder das Binnen-I sind nicht vorgesehen, und Lange erklärt auch, warum das so ist: „Damit wird die Bildung korrekter grammatischer Sätze erschwert, auch die Verständlichkeit leidet darunter.“ Er fügt hinzu: „Geschlechtergerechte Texte sollen sachlich korrekt, verständlich, lesbar und vorlesbar sein, sie sollen Rechtssicherheit und Eindeutigkeit gewährleisten, sie sollen übertragbar sein in andere Sprachen.“ Lesende und Hörende sollten sich „auf die wesentlichen Sachverhalte konzentrieren können“.

Das alles hatte der Rat im März 2021 empfohlen. Würde Niedersachsen nun in einem Gesetz den amtlichen Sprachgebrauch regeln wollen, so könnten viele Schritte zur Geschlechtergerechtigkeit unternommen werden, ohne dass dies mit den Ratschlägen des von Josef Lange geführten Rates kollidiert. Nur Sonderzeichen in Worten, Gendersternchen, Striche oder Doppelpunkte wären dann nach den bisherigen Festsetzungen des Rates ausdrücklich nicht erlaubt. Der Landtag hatte allerdings Ende März auch beschlossen: „Die nicht-binäre Geschlechtsidentität soll berücksichtigt werden.“ Die Verwirklichung dieser Forderung, die einige Kommunen wie die Stadt Hannover schon vollzogen haben, dürfte indes erheblich an den bisherigen Regeln der Rechtschreibung rütteln.

Dieser Artikel erschien am 12.7.2023 in Ausgabe #128.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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