Neue Untersuchung enthüllt braune Flecken auf der Weste der Klosterkammer Hannover
Jedes runde Jubiläum gibt Anlass zu einem kritischen Blick zurück, und besonders gilt das auch für die altehrwürdige Klosterkammer Hannover, die in diesem Jahr 200 Jahre alt wird. 18 Klostergüter, 25.000 Hektar Wald, 12.000 Kunstgegenstände und mehr als 800 Grundstücke werden von dieser Einrichtung heute betreut. Es ist der alte säkularisierte Kirchenbesitz des Königreichs Hannover, der auch in der Zeit des Nationalsozialismus in der Kammer verblieb und nicht wesentlich geschmälert oder gar beschlagnahmt wurde. Wie konnte das geschehen?
Die bisherige Lesart fußte auf einer Erinnerungsnotiz, die der frühere Präsident Albrecht Stalmann nach 1945 verfasst hat. Sein Credo lautete: Die Kammer habe die Zugriffsversuche der Nazis auf den Besitz abgewehrt, das Eigentum gesichert und damit in die Bundesrepublik hinübergerettet. Ist das die Wahrheit? Der heutige Klosterkammerpräsident Hans-Christian Biallas und sein Kammerdirektor Andreas Hesse wollten diese seit rund 70 Jahren kaum hinterfrage Darstellung nicht so stehen lassen – und schoben eine historische Untersuchung an. Das Ergebnis ist ernüchternd: Auch in der Klosterkammer hat es Belastungen gegeben, die sogar noch nach dem Krieg fortwirkten.
Zahlreiche Dokumente im Keller der Klosterkammer
Die Studie, die in den nächsten Wochen als Buch vorliegen soll, wahrt einen unabhängigen Charakter. Die Klosterkammer und die Volkswagenstiftung teilen sich je rund die Hälfte der Kosten von 427.000 Euro – ein Beirat unter dem hannoverschen Historiker Prof. Carl-Hans Hauptmeyer wacht über die inhaltliche Seriosität und ein Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Detlef Schmiechen-Ackermann vertiefte sich in die Akten. Im Keller der Klosterkammer in der Eichstraße in Hannover fanden sich nämlich doch noch zahlreiche Dokumente, außerdem in vielen anderen Behörden. Dabei hatte Präsident Stalmann 1945 noch versichert, die allermeisten Akten seien beim Bombenangriff auf Hannover im Oktober 1943 vernichtet wurden, weil ein Feuer im Keller der Kammer ausgebrochen sei. An dieser Version rührte man lange, lange nicht. Vielleicht, weil viele leitende Personen in der Nachkriegszeit selbst belastet waren?
Das fängt an mit Stalmann selbst, der 1931 in Weimarer Republik zum Präsidenten berufen wurde und dies bis 1955 blieb. Er muss Kontakt zu Bernhard Rust gehabt haben, der zeitweise in einer Doppelfunktion für die Kammer wichtig war – als NSDAP-Gauleiter für Süd-Hannover und als preußischer Kultusminister, später als Reichsminister für Erziehung. Dieses Ministerium hatte die Aufsicht über die Kammer. Rust sei ein mächtiger Unterstützer dieser Einrichtung gewesen, meint Schmiechen-Ackermann. Die Kammer sei „keine Agentur des Terrors“ gewesen und habe niemanden verfolgt, aber sie habe dabei geholfen, das NS-Regime zu stabilisieren. Aus den hohen Überschüssen seien auch NS-Schulungsstätten und „Nationalpolitische Erziehungsanstalten“ finanziert worden. Man versuchte erst eine entsprechende Umwidmung der Klosterschule in Ilfeld am Harz (heute Thüringen) zur Napola, später dann Neugründungen in Hagenburg und Wunstorf am Steinhuder Meer.
Die Umsetzung scheiterte, weil der Krieg ausbrach und das Vermögen der Kammer dafür als Beitrag Preußens abgeschöpft werden musste. In der Kammer seien fast alle Beschäftigten zum Schluss NSDAP-Mitglieder gewesen, allerdings keine herausragenden Funktionsträger. Bei der Entnazifizierung sei nur der Kammerdirektor Rudolf Huhn abgelöst worden, der schon seit 1932 der Hitler-Partei angehört hatte. Der leitende Mitarbeiter Waldemar Rilke, der nach 1945 sogar zum Kammerdirektor aufsteigen konnte, sei ungeschoren davongekommen, obwohl er im Kriegseinsatz in der Ukraine tätig war, und zwar womöglich in Bereichen, in denen es auch um Enteignung jüdischen Vermögens ging. Rilke habe aber in seinem Verfahren zwei starke Fürsprecher gehabt – den einstigen hannoverschen OB Arthur Menge und den evangelischen Landesbischof August Marahrens.
Gewaltiges Interesse an den Forschungsergebnissen
Die Kammer hatte in der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt und mehr als 1000 Kriegsgefangene für Arbeiten im Wald eingesetzt, auch dieser Teil sei in den vielen Jahren danach lange unerforscht geblieben. Das gelte auch für die personellen Kontinuitäten. Fragwürdig sind nach den Worten von Schmiechen-Ackermann die Karrieren von drei Kammerpräsidenten, die 1955 auf Stalmann gefolgt waren. Helmut Bojunga (1955 bis 1958) war zur NS-Zeit hoher Beamter im Reichserziehungsministerium, er führte auch die Aufsicht über die Uni Göttingen, war 1953 sogar für ein Jahr Staatssekretär im Kultusministerium in Hannover.
Theodor Parisius (1959 bis 1961) war während des Krieges unter anderem im griechischen Thessaloniki eingesetzt, dort war ein Schwerpunkt der Judenverfolgung. Inwieweit Parisius selbst zum Täter wurde, lässt sich nach Ansicht von Schmiechen-Ackermann nur schwer erforschen. Das gilt auch für Hans-Helmut zur Nedden (1961 bis 1968), der in Norwegen für die deutschen Besatzer gearbeitet hatte. „Alle drei waren jedenfalls nach 1945 sehr erfolgreich gewesen“, meint der Historiker.
Die Klosterkammer, sagt Biallas, nehme heute großen Anteil an der Erforschung der eigenen Geschichte. In mehreren Workshops sind Teilergebnisse der Untersuchung, die in den nächsten Wochen öffentlich werden soll, vorgestellt worden. „Das Interesse war gewaltig“, sagt der aktuelle Präsident. (kw)
„Die Klosterkammer Hannover 1931-1955. Eine Mittelbehörde zwischen wirtschaftlicher Rationalität und Politisierung“, 800 Seiten, Wallstein-Verlag, ca. 30 Euro.