Darum geht es: Die niedersächsische Landesregierung sieht Erfolge im Kampf gegen multiresistente Keime. In Kliniken sei die Zahl in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, in der Tierhaltung gehe der Antibiotika-Einsatz deutlich zurück. Ein Kommentar von Martin Brüning:

Insgesamt 26 Antibiotika hat vor einem Jahr eine 70 Jahre alte Patienten in den USA bekommen. Am Ende starb sie im US-Bundesstaat Nevada dennoch an einer bakteriellen Infektion, die sie sich nach einem Bruch zugezogen hatte, weil keines der Medikamente mehr anschlug. Die Frau hatte sich zuvor längere Zeit in Indien aufgehalten. Dort sind multiresistente Keime noch weitaus verbreiteter als in den USA.

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MRSA-Keime machen vielen nicht ohne Grund Angst. Die Vorstellung, an einer profanen Infektion zu sterben, weil übliche Medikamente nicht mehr anschlagen, bereitet auch gesunden Menschen Sorgen. Und die Gefahr lauert an vielen Stellen: Beim Arzt, im Krankenhaus, in der Familie, auf dem Putenschnitzel. Laut Berechnungen des Robert-Koch-Instituts sterben jedes Jahr bis zu 4000 Menschen an einem multiresistenten Erreger.

Wenn manche Experten befürchten, dass wir teilweise bereits in einem post-antibiotischen Zeitalter leben, ist es nicht einmal mehr fünf vor zwölf. Es ist zwölf.

Bevor man aber auf die Tierhaltung schaut, sollte jeder wie so oft bei sich selbst anfangen. 85 Prozent der Antibiotika für Menschen werden ambulant verschrieben, laut dem Robert-Koch-Institut ist etwa jeder dritte Verschreibung unnötig. Nicht nur jeder Arzt, auch jeder Patient sollte sich bei der Verschreibung eines Antibiotikums fragen, ob das wirklich nötig ist. Trotz aller Bemühungen um eine bessere Information gibt es hier auf beiden Seiten, sowohl der Ärzte als auch der Patienten, immer noch Nachholbedarf.

Auch in den Kliniken gibt es noch erhebliches Verbesserungspotenzial. „Im Vergleich zu den Niederlanden stehen wir schlechter da“, sagte Sozialministerin Cornelia Rundt gestern. Das liegt daran, dass die Niederlande das Thema von Beginn an wesentlich energischer angegangen sind. Generelle MRSA-Schnelltests, schärfere Hygienevorschriften: Unser Nachbar im Westen ist im Kampf gegen die im schlimmsten Fall tödlichen Keime wesentlich weiter. „Search and Destroy“ lautet die Strategie seit 1989: Suchen und zerstören. In den Kliniken kommen Patienten mit MRSA-Verdacht sofort in Quarantäne. Auch hier könnten alle Bundesländer, nicht nur Niedersachsen, das Tempo erhöhen und Maßnahmen verschärfen. Für das Gesundheitssystem rechnet sich der Schnelltest übrigens. Er kostet zwar rund 15 Euro. Daten aus den Niederlanden und Skandinavien belegen allerdings, dass das immer noch günstiger ist als die Folgekosten, die durch Infektionen entstehen.

Zufrieden kann man auch mit den Ergebnisse in den Tierställen nicht sein. Eine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab kürzlich, dass in Hähnchen- und Putenfleisch aus Supermärkten laut amtlichen Untersuchungen immer noch viele antibiotikaresistente Keime zu finden sind. Das zeigt, dass noch viel Arbeit vor den Veterinären liegt. Landwirte beklagen sich häufig und auch oftmals berechtigt  über zu viel Bürokratie. An dieser Stelle ist sie allerdings gerechtfertigt. Und Reserveantibiotika, da hat Agrarminister Christian Meyer vollkommen recht, haben im Stall erst recht nichts zu suchen.

Es ist nicht nur ein Umdenken nötig, sondern eine schnelle Umkehr. Wie in vielen Bereichen ist in der Behandlung mit der Wunderwaffe Antibiotikum in den vergangenen Jahrzehnten ein wenig Maß und Mitte verloren gegangen. Wenn manche Experten befürchten, dass wir teilweise bereits in einem post-antibiotischen Zeitalter leben, ist es nicht einmal mehr fünf vor zwölf. Es ist zwölf.