Wenn das Aktionsbündnis „Wir haben es satt“ in diesem Jahr zu seiner traditionellen Demonstration für eine ökologischere Landwirtschaft aufruft, versammeln sich die Transparentträger und Traktorlenker diesmal nicht in Berlin und fahren dann, wie zuletzt noch, vor das Bundeslandwirtschaftsministerium von Cem Özdemir (Grüne), um ihre Botschaften zu platzieren.

Es scheint, als hätten sogar die ökologisch Bewegten den Glauben daran verloren, dass die rot-grün-gelbe Bundesregierung noch etwas Essentielles im Bereich der Agrarwende voranbringen wird. Nach dem offiziellen Ende der Borchert-Kommission, die vor wenigen Wochen ihre Beratertätigkeit für die Bundesregierung frustriert niedergelegt hat, wendet die Protestformation den Blick wieder ab von der Politik. Die Gruppe, zu der etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), „Brot für die Welt“, Nabu und BUND, sowie Greenpeace, Campact und viele mehr gehören, richtet den Fokus nun auf die Industrie.

„Wiesen und Höfe statt Wiesenhof“, wollen sie an diesem Wochenende bei einem Protestcamp vor den Toren des Schlachthofs in Königs Wusterhausen im brandenburgischen Kreis Dahme-Spreewald skandieren. Dass Großkonzerne weiterwachsen und Tierfabriken immer größer und größer werden, ist den Demonstranten ein Ärgernis – und es ist das Gegenteil von dem, was die Politik mithilfe der Empfehlungen der Borchert-Kommission versprochen hatte, umzusetzen: weniger Tiere, mehr Platz und dadurch auch mehr Tierwohl – dank finanzieller Hilfen und verlässlicher Zusagen vom Bund.
Das Ende der Borchert-Kommission, das am 22. August verkündet wurde, bedeutet eine Zäsur im Ringen um den tierwohlgerechten Umbau der Nutztierhaltung. Dass sich bei den Mitgliedern des „Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung“, wie das Expertengremium offiziell hieß, gehöriger Frust angehäuft hat, ist dabei nachvollziehbar. Nach zweijähriger Beratung hat die vom Bundesagrarministerium eingesetzte Expertenkommission unter Vorsitz des früheren Bundesagrarministers Jochen Borchert bereits 2020 Pläne vorgelegt, wie das Tierwohl in der deutschen Nutztierhaltung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auf ein höheres Niveau gehoben werden kann.

Es ging dabei um bau- und emissionsrechtliche Bestimmungen, die angepasst werden müssten, um eine klare Kennzeichnung und um eine verlässliche Finanzierung, die den Landwirten Sicherheit bei Investitionen geben sollte. Zudem ließ das Bundesagrarministerium, damals noch unter Julia Klöckner (CDU), eine Machbarkeitsstudie mit drei verschiedenen Finanzierungsmodellen sowie eine Folgenabschätzung erarbeiten. Beschlossen und umgesetzt wurde aber nichts.
Die Erwartungen an Klöckners Nachfolger, den Grünen-Politiker Özdemir, waren dann hoch. Doch was folgte, war lediglich Flickschusterei. Zwar gab es Erleichterungen im Baurecht und Angleichungen beim Immissionsschutz, es wurde eine staatlich verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg gebracht und eine Milliarde Euro für den Stallumbau für Schweinehaltungen bereitgestellt, wie Özdemir kürzlich bilanzierte. Doch damit das Konzept der Borchert-Kommission wirkt, reicht das noch nicht aus. Seine Wirkung entfaltet es nur, wenn es in Gänze umgesetzt wird. Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bezeichnete das Ende der Borchert-Kommission deshalb als „schallende Ohrfeige“ für die Politik Özdemirs und kritisiert die Ampel-Regierung dafür, sich nicht auf eine „tragfähige Finanzierung“ und ein „dazugehöriges Gesamtkonzept“ geeinigt zu haben – wie schon die große Koalition zuvor, muss man an dieser Stelle ergänzen.

Özdemir beim Treffen der Borchert-Kommission. | Foto: BMEL
Auch in Niedersachsens Landesregierung bedauert man das Aus der Borchert-Kommission. „Ich kann die Frustration darüber verstehen, dass es seit der Veröffentlichung der Empfehlungen der Borchert-Kommission keinen grundlegenden Beschluss zu einer dauerhaften Gegenfinanzierung des Umbaus der Tierhaltung gegeben hat“, erklärte Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne). „Ich bin überzeugt, dass wir ein Instrument wie die Tierwohlabgabe brauchen, um den notwendigen Umbau gesamtgesellschaftlich zu schultern.“ Was in Berlin bereits umgesetzt wurde, lobte Staudte zwar auf Rundblick-Anfrage, insbesondere die Milliarde für den Schweine-Stallumbau. Diese müsse nun aber verstetigt werden, sagte sie und appellierte an den Bundesfinanzminister.

„Wenn die Tierhaltungskennzeichnung künftig auf weitere Tierarten und andere Vermarktungswege ausgeweitet wird, stellt dies einen Anreiz für viele weitere landwirtschaftliche Betriebe dar, in das Tierwohl in ihrem Stall zu investieren. Dafür benötigen die Landwirte jedoch Planungssicherheit.“ Dass es weitergehen muss, sieht derweil auch Özdemir so: „Es ist klar, dass wir für die weiteren Schritte zusätzliche Mittel brauchen und dafür werde ich mich voll einsetzen.“
Was Özdemir als erste Schritte bezeichnet, nennt Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) lediglich „Schrittchen“ und fordert von Bund und Land, beim Umbau der Tierhaltung nachzubessern. Benning, die bei der DUH für die Landwirtschaft zuständig ist und mit ihrer Organisation dem Protestbündnis „Wir haben es satt“ angehört, sieht neben der Sicherstellung der Finanzierung auch eine große Notwendigkeit darin, klimaschädliche Investitionen zu verbieten. Zudem solle steuerlich stärker gelenkt werden: höhere Steuern auf tierische Produkte, geringere auf pflanzliche Lebensmittel. Dabei verweist Benning auf eine Studie aus dem Mai, die belegen soll, dass sich dadurch ein positiver Saldo im Portemonnaie der Bürger ergebe.

Konkret setzt die DUH nun auf eine Änderung des Agrar-Organisationen-und-Lieferketten-Gesetzes, das seit Juni 2021 in Kraft ist und einen Passus zur Evaluation der eigenen Wirkung enthält. In diesem Gesetz, erläuterte Benning im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, sollte eine Regelung aufgenommen werden, die es verbietet, dass Lebensmittel zu einem Preis unterhalb der Produktionskosten verkauft werden. Noch immer sei die Marktkonzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel auf im Wesentlichen vier große Akteure begrenzt, was den Landwirten zum Nachteil gereiche. Deren Position innerhalb der Wertschöpfungskette müsse gestärkt werden, damit sie auf rechtlich sicherer Basis bessere Verträge abschließen können, so die Agrarexpertin der DUH. „Wir rechnen nicht mit großem Geld vom Staat“, sagt sie und stellt zugleich fest: „Aber wir brauchen dringend mehr Geld im System, damit der Umbau gelingen kann.“

Für einen anderen, teilweise ergänzenden Weg hat man sich unterdessen in Niedersachsen entschieden. Das „Diversifizierungsprogramm“ der Landesregierung soll Schweinehaltern dabei helfen, zumindest teilweise aus der Produktion aus- oder umzusteigen. Die Grundidee, die SPD und Grüne in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben, wird gerade in einem dreigeteilten Verfahren umgesetzt und wird gemeinhin gelobt – sogar vom Landesbauernverband und mit Einschränkungen auch von der CDU. Was hier in Niedersachsen passiert, beobachtet man auch beim Aktionsbündnis „Wir haben es satt“ aufmerksam. Die DUH-Agrarreferentin Reinhild Benning sagte dem Politikjournal Rundblick: „Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“ Allerdings fehlten ihr noch weitere staatliche Maßnahmen, etwa zum Ausbau des Ökolandbaus inklusive einer Stärkung der Nachfrage durch Bio-Verpflegung in öffentlichen Kantinen.

Drei Ansätze, die jetzt weiterverfolgt werden sollten, stellte sie heraus: Erstens müsse die Marktmacht der Bauern verbessert werden, zweitens müsse wettbewerbsrechtlich die wachsende Konzentration im Lebensmittelhandel gestoppt werden und drittens müsse der Umwelt- und Tierschutz notfalls auch ordnungsrechtlich vorangebracht werden. Dann, so glaubt sie, sei es auch möglich, dass es ethisch vertretbares Fleisch zu anständigen Preisen zu kaufen gibt und das Anwachsen der Massentierhaltung, der Tierfabriken und Schlachthöfe gestoppt und kleine Agrarbetriebe und Metzgereien wieder eine Chance haben.