Der tiergerechte Umbau braucht ein Konzept und keine Flickschusterei
Man könnte meinen, die Platte hätte einen Sprung. Bereits in den vergangenen beiden Jahren habe ich den Platz, der mir in dieser letzten Ausgabe des Politikjournals Rundblick vor Jahresende gegeben wurde, dafür genutzt, um auf die Situation in der Nutztierhaltung hinzuweisen. Zwei Jahre in Folge appellierte ich, die Ergebnisse der sogenannten Borchert-Kommission endlich umzusetzen. Und nun wiederhole ich diese Erwartung ein drittes Mal. Worum geht es dabei? Die Nutztierhaltung steht vor einem großen Dilemma: Die Verbraucher haben zwar gesteigerte Erwartungen an das Tierwohl, sind aber selten genug bereit, dafür auch etwas zu zahlen. Die politischen Vorgaben ändern sich und zwingen schließlich gerade jene kleineren Betriebe in die Knie, die der Verbraucher doch lieber behalten hätte. Stattdessen gibt es noch mehr Massentierhaltung, die der Verbraucher nicht will.
Verlässliche Finanzierung, klare Kennzeichnung: Bisher wurde wenig umgesetzt
Was soll nun helfen? Eigentlich liegen die notwendigen Pläne und Informationen längst auf dem Tisch. Nach zweijähriger Beratung hat bereits 2020 eine vom Bundesagrarministerium eingesetzte Expertenkommission unter Vorsitz des früheren Bundesagrarministers Jochen Borchert Pläne dazu vorgelegt, wie das Tierwohl in der deutschen Nutztierhaltung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auf ein höheres Niveau gehoben werden kann. Es geht dabei um bau- und emissionsrechtliche Bestimmungen, die angepasst werden müssen. Es geht um eine klare Kennzeichnung. Und es geht um eine verlässliche Finanzierung, die den Landwirten Sicherheit bei Investitionen gibt. Zudem ließ das Bundesagrarministerium eine Machbarkeitsstudie mit drei verschiedenen Finanzierungsmodellen und eine Folgenabschätzung erarbeiten. Umgesetzt wurde davon aber so gut wie nichts. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat nun mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz, das sich zunächst nur auf unverarbeitetes Schweinefleisch bezieht, lediglich einen Teilaspekt eines Teilaspektes in das Gesetzgebungsverfahren gegeben.
Woran hapert es? Zunächst fehlte der CDU-geführten Großen Koalition im Bund der Mut, die notwendigen Entscheidungen noch vor der Bundestagswahl 2021 herbeizuführen. Es ist anzunehmen, dass man in der Union nicht im Wahlkampfsommer dafür verantwortlich gemacht werden wollte, dass die Bratwurst womöglich etwas teurer wird. Die neue Ampel-Koalition hat sich nun zwar vorgenommen, dort weiterzumachen, wo CDU und SPD aufgehört hatten. Doch der große Wurf, das Gesamtkonzept, das die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat und das schließlich notwendig wäre, um etwas so Umfassendes in Bewegung zu setzen wie den Umbau der Nutztierhaltung, blieb bislang leider aus. Das wird auch daran liegen, dass Mehrkosten etwa durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Lebensmittel, wie es vorgeschlagen wird, in diesem Krisenjahr 2022 wohl nicht zu vermitteln gewesen wären.
Trend geht zu geringerem Fleischkonsum
Dass nichts passiert, ist aber auch keine Lösung. Die Nutztierzahlen in Niedersachsen sind rückläufig. Der Trend ist klar erkennbar: Es wird in Zukunft weniger Fleisch gegessen, vielleicht insgesamt weniger tierische Produkte konsumiert. Aber noch geschieht dieser Wandel unkontrolliert. Das kann man wollen und man könnte die Marktkräfte sich frei entfalten lassen. Doch das dürfte am Wähler- und Bürgerwillen vorbeigehen. Ein Ausbluten des Agrarsektors in Niedersachsen bedeutete auch einen massiven Einschnitt in den vor- und nachgelagerten Bereich, Arbeitsplatzverluste sowie erhebliche Veränderungen im ländlichen Raum. Ein Mehr an Tierwohl wäre zudem nicht zu erwarten, denn die Lebensmittelproduktion verlagert sich in den allermeisten Fällen bloß ins Ausland. Nicht nur Tierschützer, sondern auch die Landwirte wollen jetzt gesteuerte Veränderung. Das niedersächsische Landvolk und sein Nachbar, der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV), haben kürzlich eine Unterstützer-Plattform ins Leben gerufen, auf der ein entsprechender Aufruf mitgezeichnet werden kann. Auch die rot-grüne Landesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu diesen Zielen bekannt. Es wäre jetzt an der Zeit, dass hier endlich etwas passiert.
Dieser Artikel erschien am 23.12.2022 in der Ausgabe #230.
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