Ministerin Staudte: „Wir dürfen beim Höfesterben nicht einfach zugucken“
Jahrzehntelang galt Niedersachsen als das Land, in dem es mehr Schweine als Menschen gibt. Das ändert sich gerade – mit teils dramatischen Folgen für die Betriebe. Niedersachsens Landesregierung möchte beim Höfesterben nicht zusehen, sondern den Wandel im Agrarsektor gestalten. Im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erläutert Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne), warum es gut wäre, weniger Fleisch zu essen, und wie den Schweine-haltenden Betrieben dennoch geholfen werden kann. Den Podcast hören Sie hier: Podigee | Spotify | Apple | Deezer u.v.m.
Rundblick: Der Schweine-Branche in Niedersachsen geht es nicht so gut. Corona-bedingte Ausfälle sorgten für einen Schweinestau, die „afrikanische Schweinepest“ hat die Exporte beschränkt, jetzt geben die Verbraucher krisenbedingt noch weniger Geld für Nahrungsmittel aus – und die Zahl der Vegetarier steigt. 2022 gaben rund 12 Prozent der Bevölkerung an, kein Fleisch zu essen. Wie findet das eigentlich die Ernährungsministerin?
Staudte: Die gesundheitspolitischen Empfehlungen der Fachleute sind klar: Wir müssen als Gesellschaft weniger Fleisch essen – aber auch wegen des Klimas. In Niedersachsen haben wir außerdem Regionen, in denen sich die intensive Tierhaltung negativ auf die Böden auswirkt, Stichwort: Gülleproblematik. Insofern ist der Trend, dass weniger Fleisch gegessen wird, vollkommen richtig. Das muss aber immer eine individuelle Entscheidung sein, die Politik wird es nie vorschreiben. Die Entwicklung müssen wir aber flankieren, damit sich die Betriebe darauf einstellen können, sonst kommt es zu starken Strukturbrüchen.
Rundblick: In den vergangenen Jahren wurde häufig das Beispiel der Niederlande bemüht. Dort hat der Staat eine Ausstiegsprämie gezahlt, wenn jemand seinen Schweine-Betrieb aufgegeben hat. Ist das ein Vorbild für Niedersachsen?
Staudte: Man hat in den Niederlanden versucht, mit Zertifikaten die Gesamtmenge an Schweinen zu regulieren und hat dann den Ausstieg vergütet. Das hatte den Haken, dass das Geld auch genutzt wurde, um in anderen Regionen wieder in die Schweinehaltung zu investieren. Uns geht es nun darum, alternative Geschäftsfelder zu fördern. Außerdem geht es nicht nur um die Tierhaltung, sondern auch um Chancen für den vor- und nachgelagerten Bereich, der in der Wertschöpfung eine wichtige Rolle spielt.
„Uns geht es darum, beim Höfesterben nicht zuzugucken, sondern dem etwas entgegenzusetzen.“
Rundblick: Rot-Grün in Niedersachsen legt deshalb ein „Zukunftsprogramm Diversifizierung“ auf. Was steckt dahinter?
Staudte: Diversifizierung soll hier als Gegenteil zur Spezialisierung verstanden werden. Wir haben in vielen Bereichen der Landwirtschaft das Problem – auch bezüglich des Klimawandels –, dass wir unkalkulierbare Risiken und Marktverwerfungen haben. Es ist deshalb besser, mehrere Standbeine zu haben. Uns geht es darum, beim Höfesterben nicht zuzugucken, sondern dem etwas entgegenzusetzen. Wir möchten über Förderprogramme die Möglichkeit geben, sich andere Branchen zu erschließen.
Rundblick: Nennen Sie bitte Beispiele.
Staudte: Ein Betrieb, der zwei Ställe hat, könnte sich nun dazu entschließen, den einen Stall weiter zu betreiben, vielleicht umzubauen mit dem Förderprogramm des Bundes für mehr Tierwohl. Den zweiten Stall könnte er dann ersetzen, in die Verarbeitung und Direktvermarktung einsteigen, Gemüseanbau betreiben oder Ferien auf dem Bauernhof anbieten. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Rundblick: Wer legt fest, was geht? Wird das Ministerium steuern, in welche Richtung sich die Betriebe entwickeln?
Staudte: Es muss wirtschaftlich, aber auch ökologisch nachhaltig sein. Es bringt nichts, wenn wir einen Schweinehaltungsbetrieb gegen eine andere Art der Tierhaltung austauschen, die ebenfalls an einem Nachfragerückgang leidet. Ich bin dafür, dass man Förderprogramme möglichst breit aufstellt, was die Förderfähigkeit angeht, weil man nie genau weiß, wie die Antragslage sein wird. Aber es sollte eine Akzentuierung durch ein Ranking bei der Förderwürdigkeit geben. Wenn das Programm überzeichnet ist, könnte man bestimmte Regionen oder den Umstieg von konventionell auf bio bevorzugen. Denn wir haben vor, den ökologischen Anbau zu verdreifachen. Außerdem wäre es sinnvoll, einen Gesamtüberblick zu behalten, damit nicht drei Dörfer voneinander entfernt dieselben sehr speziellen Konzepte umgesetzt werden und man sich dann dadurch gegenseitig blockiert.
„Es bringt nichts, wenn wir einen Schweinehaltungsbetrieb gegen eine andere Art der Tierhaltung austauschen, die ebenfalls an einem Nachfragerückgang leidet.“
Rundblick: Über wie viel Geld reden wir da und wann kann die Förderung beginnen?
Staudte: Es sind schon Millionenbeträge im zweistelligen Bereich, über die wir reden, weil Investitionen in Umbaumaßnahmen immer mit großen Summen verbunden sind. Mit der Umgestaltung bestehender Förderinstrumente wie dem Agrarinvestitionsförderungsprogramm können wir jetzt schon starten – sodass wir in den nächsten Antragsverfahren beispielsweise Investitionen in Gebäude fördern können, die der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte dienen. Damit könnte dann ein schweinehaltender Betrieb eine Unterstützung zur Schaffung eines anderen Standbeins erhalten.
Rundblick: Das Vorhaben wird vom niedersächsischen Landvolk begrüßt. Es gibt aber auch Kritik: Wenn in Niedersachsen weniger Schweinefleisch hergestellt wird, verlagert sich die Produktion nur an andere Orte, heißt es. Was sagen Sie dazu?
Staudte: Der Konsum geht stärker zurück als die Tierbestände. Deshalb wird es auch nötig sein zu überlegen, wie die Nachfragesituation in zehn Jahren aussieht. Nur festzuhalten und zu sagen, das wird schon, funktioniert einfach nicht. Hier braucht es Mut und Unterstützung.
Rundblick: Landwirte fordern eine vernünftige Herkunftskennzeichnung, damit die Abwanderung der Produktion an der Ladentheke vom Verbraucher erkannt werden könnte.
Staudte: Es ist absolut notwendig, dass es nicht nur eine Haltungskennzeichnung gibt, sondern auch eine Herkunftskennzeichnung. In der EU wird daran gearbeitet. Sollte aus Brüssel aber nichts kommen, müssen wir nationale Modelle finden. Es ist wichtig, die heimische Produktion zu unterstützen.
Rundblick: Wenn wir über Haltungskriterien und den Umbau der Tierhaltung reden, muss auch die „Borchert-Kommission“ genannt werden. Deren Pläne für mehr Tierwohl im Stall liegen auf dem Tisch, wurden aber nicht beschlossen. Die Ampel setzt jetzt Teile davon um, aber was bringt die Milliarde für den Stallumbau, wenn das Baurecht nicht angepasst wird? Braucht es nicht den ganz großen Aufschlag?
Staudte: Die Kommission hat festgehalten, dass der Umbau der Tierhaltung nicht allein durch die Landwirtschaft zu finanzieren ist, sondern dass er gesamtgesellschaftlich getragen werden muss. Bei der Gegenfinanzierung – beispielsweise über den Tierwohl-Cent oder eine Mehrwertsteuererhöhung – kommt man derzeit aber nicht weiter, weil Bundesfinanzminister Christian Lindner in Berlin blockiert. Für die Planungssicherheit wäre es sehr wichtig, dass die Betriebe wissen, dass dauerhaft Geld bereitgestellt wird.
Dieser Artikel erschien am 09.02.2023 in der Ausgabe #024.
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