6. März 2024 · Inneres

Interview: „Es ist an der Zeit, über die Reform der Kommunalstrukturen zu reden“

Der 1. März war ein wichtiges Jubiläum: Der erste große Schwung an gesetzlichen Änderungen für die Gemeinde- und Kreisreform in Niedersachsen trat an diesem Tag vor genau 50 Jahren in Kraft. Ein halbes Jahrhundert danach stellt sich die Frage, ob wir eine neue Kreisreform brauchen. Vor ein paar Tagen hat der geplante Wechsel der Samtgemeinde Bodenwerder-Polle vom Kreis Holzminden zum Kreis Hameln-Pyrmont die Diskussion bereichert. Einer, der offen eine neue Kreisreform anspricht, ist der Landrat von Peine, Henning Heiß. Der SPD-Politiker äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick zu dieser Frage.

Henning Heiß, Landrat von Peine. | Foto: Wallbaum

Rundblick: Sie gelten als Befürworter einer neuen Kreis- und Gemeindereform. Warum?

Heiß: Ich bin überzeugt davon, dass die Leistungsfähigkeit einer Verwaltung auch immer etwas mit ihrer Größe sowohl auf Kreisebene aber natürlich auch auf Gemeindeebene zu tun hat. Unsere Aufgaben werden immer vielfältiger und diffiziler. Darüber hinaus macht uns der Fachkräftemangel erheblich zu schaffen. Gerade die Anforderungen, die insbesondere die Digitalisierung an uns stellt, aber natürlich auch Themenbereiche wie das Vergaberecht, der Datenschutz oder das Steuerrecht machen deutlich, dass wir hier gut geschultes Personal brauchen. Durch das Zusammenlegen von Kommunen wird man in der Lage sein, über Personaleinsparungen, insbesondere im Bereich der Innenverwaltung, Synergien zu erwirtschaften. Diese können es ermöglichen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Auch sind größere Einheiten eher in der Lage, sich mit den speziellen Fragestellungen, etwa bei der Daten- und bei Informationssicherheit, auseinanderzusetzen. Aber das sind nicht meine eigenen Erkenntnisse. Diese Zusammenhänge sind in der Verwaltungswissenschaft allgemein anerkannt und haben bekanntermaßen bei den in Niedersachsen vorgenommenen Fusionen ihre Wirkung entfaltet. Auch in der Sparkassenwelt hat die Kenntnis hierüber bereits zu zahlreichen Zusammenschlüssen geführt.

Rundblick: Ist Ihr Kreis Peine auf Dauer lebensfähig? Welche Entwicklungen könnten die Lebensfähigkeit des Kreises Peine bedrohen?

Heiß: Mit Verlaub, ich glaube die Frage ist falsch gestellt. Es kann nicht darum gehen, über neue Strukturen im kommunalen Bereich nachzudenken, wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist. Es macht vielmehr Sinn, über die Änderung kommunaler Strukturen nachzudenken, wenn leistungsfähige Einheiten sich auf Augenhöhe begegnen. Die Not ist immer ein schlechter Ratgeber. Der Landkreis Peine steht alles in allem, wenn ich mal von der negativen finanziellen Entwicklung in 2023 und 2024 absehe, solide dar. Dies war bereits seinerzeit schon der Fall, als wir Fusionsverhandlungen mit Hildesheim führten. Ein Zwang zur Fusion bestand weder damals noch heute.

Rundblick: Wie sollte ein Neuzuschnitt der Landkreise und Gemeinden aus Ihrer Sicht – grob umrissen – aussehen? Sind anstelle von bisher 37 Kreisen künftig vielleicht 20 sinnvoller? Was wären die Vorteile?

„Es kann nicht darum gehen, über neue Strukturen im kommunalen Bereich nachzudenken, wenn das Kind erst in den Brunnen gefallen ist.“

Heiß: Sehen Sie es mir nach, dass ich Ihnen hier keine konkrete Zahl nennen werde. Sicherlich ist die Größe der Bevölkerung ein wichtiges Kriterium. Aber man muss letztlich jeden Fall individuell betrachten. Prägende Besonderheiten im Einzelfall werden immer einer pauschalen Betrachtungsweise vorzuziehen sein.

Rundblick: Ist eine Kreisreform auch ohne Gemeindereform denkbar? Wenn nein – welches Leitbild (Anzahl Gemeinden je Kreis) wäre aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Heiß: Das wird am Ende von der Größe des neuen Landkreises abhängen. Er muss administrierbar bleiben. Bei der seinerzeit angedachten Region Braunschweig wäre eine Gemeindereform wohl erforderlich gewesen. Bei der Fusion der Kreise Göttingen und Osterode konnte man meines Wissens darauf verzichten. Die Fusion von Landkreisen ist schon herausfordernd genug, mit einer zusätzlichen Gemeindereform bestünde die Gefahr, dass man sich überhebt, zumal die Identifikation der Bevölkerung mit der Gemeinde in aller Regel höher sein dürfte, als die Verbundenheit mit dem Landkreis.

Rundblick: Vor nicht mal zehn Jahren hat Ihr Vorgänger Franz Einhaus versucht, die Fusion der Kreise Hildesheim und Peine auf den Weg zu bringen. Es ist nichts daraus geworden – weshalb eigentlich nicht? Spielte beim Scheitern dieses Konzepts auch die Frage der Machtgewichte in der SPD eine Rolle?

„Ich sehe keinen Grund, warum etwas Gutes nicht noch besser, effizienter und schlagkräftiger aufgestellt werden könnte.“

Heiß: Die Fusion zwischen dem Landkreis Peine und dem Landkreis Hildesheim ist seinerzeit nicht zustande gekommen, weil die verantwortlichen politischen Gremien ihr nicht zugestimmt haben. Diese demokratisch legitimierte Entscheidung gilt es zu respektieren. Das galt damals so wie heute. Welche Gründe bei dem Für und Wider der seinerzeitigen Fusion noch eine Rolle gespielt haben mögen, ist reine Spekulation, an der ich mich nicht beteiligen möchte.

Rundblick: Wie könnte aus Ihrer Sicht ein Neustart der Bemühungen um eine Kreisreform aussehen? Brauchen wir ein neues Gutachten? Was raten Sie der Landesregierung und dem Landtag?

Heiß: Sicherlich ist es Aufgabe der Landesregierung, hier voranzugehen und mit der Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände eine sachgerechte Maßstäblichkeit zu entwickeln. Ob es hierfür eines neuen Gutachtens bedarf, mag dahinstehen. Aus der Vergangenheit liegt hier sicherlich noch genügend Material vor, das auch erst einmal verwendet werden kann. Ich glaube, dass vom Grundsatz her die seinerzeit gültigen fachlichen Aussagen – hierzu Stichwort „Hesse-Gutachten“ – auch heute noch nicht veraltet sind.

Rundblick: Falls eine Kreis- und Gemeindereform unterbliebe – welche Gefahren sehen Sie dann mittelfristig auf die Organisation der Kommunalverwaltung in Niedersachsen zukommen?

Heiß: Ich bin weit davon entfernt, derzeit festzustellen, dass die Landkreisebene, die Ebene der Gemeinden und der Städte nicht leistungsfähig seien. Gerade die Krisen der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, wie stark und kraftvoll die kommunale Ebene agieren kann. Nichtsdestotrotz halte ich es angesichts der genannten Herausforderungen der kommunalen Ebene für sinnvoll und es für wert, sich darüber Gedanken zu machen, ob die kommunale Ebene richtig aufgestellt ist. Ich sehe keinen Grund, warum etwas Gutes nicht noch besser, effizienter und schlagkräftiger aufgestellt werden könnte.

Dieser Artikel erschien am 7.3.2024 in Ausgabe #044.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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