IHK Niedersachsen will Flüchtlinge schneller in Arbeit bekommen
Monika Scherf ist seit März die neue Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen und komplettiert damit die Geschäftsführung um Maike Bielfeldt und Max-Martin Deinhard. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erläutert sie, warum entschlossene Reformen heute so wichtig sind. In der Arbeitswelt und in der Verwaltung müssten die Dinge schneller vorangehen als bisher. Dazu brauche es einen gemeinsamen Kraftakt.
Rundblick: Frau Scherf, warum können Geflüchtete bei uns nicht schneller eine sinnvolle Tätigkeit ausüben? Warum ist die Bürokratie so schwerfällig?
Scherf: Wir sind in Deutschland bisher einfach zu langsam. In der Praxis läuft es häufig so, dass ein Unternehmen sich an die untere Ausländerbehörde beim zuständigen Landkreis wendet und sagt, eine bestimmte Person gern als qualifizierte Arbeitskraft übernehmen zu wollen. Dann wird eine Maschinerie in Gang gesetzt. Die Bundesagentur für Arbeit prüft, ob die betroffene Person einen angemessenen Arbeitsvertrag angeboten bekommt. Und die IHK schaut nach, wie die berufliche Qualifikation ausgeprägt ist. Nur wenige IHKs (wie etwa Hannover) machen dies erfolgreich selbst. In Hannover, wo deutlich mehr als die Hälfte der niedersächsischen Anträge bearbeitet werden, kann der Prozess, wenn alle erforderlichen Unterlagen vorliegen, in acht Wochen abgeschlossen sein. Die meisten IHKs nutzen aber das IHK-eigene Kompetenzzentrum FOSA (Foreign Skills Approval) in Nürnberg. Bei der Prüfung einer Anerkennung des Berufes muss sogar gelegentlich im Ursprungsland in Archiven nachgeschaut und recherchiert werden, um letzte Gewissheit zu erhalten. Dafür wird häufig sehr viel Zeit beansprucht, und das ist ja einerseits auch verständlich. Kein Unternehmen möchte Mitarbeiter einstellen, ohne geprüft zu haben, dass diese Person die ausgeschriebenen Tätigkeiten auch beherrscht. Zuweilen dauert die Prüfung länger als die für ein Anerkennungsverfahren gesetzlich vorgesehenen Fristen – mit der schon erwähnten Ausnahme Hannover. Kürzere Fristen sollten künftig überall möglich sein, wir müssen bei solchen Untersuchungen mehr standardisieren und dürfen nicht päpstlicher als der Papst vorgehen.
Rundblick: Vielleicht ist die Überprüfung ja auch deshalb so intensiv, weil daran das tradierte System der deutschen Ausbildungsregeln hängt. Übertreiben wir es nicht mit diesen Vorgaben?
Scherf: Das mag an der einen oder anderen Stelle so sein. Grundsätzlich gilt: Wir müssen unsere eigenen Prozesse und Anforderungen immer wieder hinterfragen und über Vereinfachungen nachdenken. Wir brauchen in vielen Punkten mehr Leichtigkeit, Flexibilität und Standardisierung, weil die Umstände uns dazu zwingen. Dabei ist ein wichtiger Punkt, dass es uns gelingen muss, mehr Zuwanderer schneller in einen Job zu bringen. Aufgaben gibt es genug zu erledigen, und die Integration kann dann am besten gelingen, wenn die zu uns Kommenden eine berufliche Herausforderung haben.
Rundblick: Was können denn die Kammern tun, um das zu erleichtern?
Scherf: Wir müssen mit der Zeit gehen. Ein Beispiel ist die Flexibilität bei den anerkannten Berufstypen. So haben wir vor Jahren, als wir den Wandel im Handel abbilden wollten, den Beruf „Kauffrau/-mann im E-Commerce“ entwickelt. Das geschah auch in dem Bewusstsein, dass sich die Arbeitsformen dieser Tätigkeit doch von denen der herkömmlichen Handelskaufleute unterscheiden.
Rundblick: Meinen Sie denn, dass der Reformdruck in diesem Bereich mittlerweile stark genug ist, damit sich in der Politik und in der Verwaltung tatsächlich etwas bewegt?
Scherf: Doch, das spüre ich. In vielen Gesprächskreisen, an denen ich teilnehme, merke ich gerade eine gewisse Aufbruch- und Reformstimmung. Aus Sorge davor, dass wir mit einer Wirtschaftskrise in eine depressive Stimmung rutschen, wird die Notwendigkeit einer zügigen Veränderung immer stärker unterstrichen – auch von Leuten, die hier bisher zögerlich waren. Wir brauchen jetzt schnell Belege dafür, dass unser politisches System zu Reformen in der Lage ist. Vorzeigbare Beispiele werden gebraucht, und wenn sie noch so klein sind. Wir müssen Veränderungen, Erfolge und Fortschritte zeigen.
Rundblick: Schauen wir mal auf die Landes- und Kommunalverwaltung. Ist dort nicht der Reformprozess mehr als überfällig?
Scherf: Tatsächlich ist der Fachkräftemangel in den Behörden mindestens so drastisch wie in der freien Wirtschaft. Ein Weg zur Vereinfachung der Abläufe besteht auch hier in den bundesgesetzlichen Regeln, die angepasst werden müssen. Zum Beispiel die Baugenehmigung in den Kommunen. Bisher ist es doch so, dass die Behörde noch auf das letzte ungeklärte Detail wartet, bevor das Okay gegeben wird. Wir müssen uns fragen, ob das immer richtig ist. Möglich wäre es doch etwa auch, dass bei einem fehlenden Gutachten dem Bauherrn folgendes erklärt wird: Du kannst anfangen mit dem Bau – aber mit dem Risiko, dass Du nachbessern musst, Auflagen erhältst oder schlimmstenfalls das Begonnene am Ende wieder abreißen musst, wenn die Anforderungen nicht erfüllt werden. Die Haftung läge dann beim Bauherrn selbst – und wir würden vermutlich endlich die lange ersehnte Beschleunigung der Prozesse erleben. Ich wünsche mir in diesem Sinne mehr Flexibilität der Abläufe.
Rundblick: Und die Verwaltung selbst? Was sollte dort geschehen?
Scherf: Das A und O ist natürlich die Digitalisierung. Man darf das nur nicht falsch verstehen in der Weise, dass man die alten analogen Verfahren eins zu eins in die digitale Form übersetzt und glaubt, damit schon ausreichend gehandelt zu haben. Die echte Digitalisierung ist in erster Linie Prozessorganisation. Es geht um die Überprüfung eingefahrener Abläufe und um deren Verschlankung und Beschleunigung. Wir müssen die Schrittfolge der nötigen Entscheidungen verändern und überlegen, welche Schritte entbehrlich sind. Technik und IT spielen dabei eine Rolle, sicher. Aber noch wichtiger ist die Organisationsentwicklung. Dafür sind gute Profis nötig, und die Umsetzung wird nicht einfach – denn sie wird auch mit Veränderung und ggf. Wegfall von Arbeitsplätzen in der Verwaltung verbunden sein.
Rundblick: Trotzdem werben Sie dafür?
Scherf: Ja. Ich bin Jahrgang 1964. Wenn die Leute in meiner Altersklasse in den Ruhestand gehen, kommt nur noch die Hälfte derer nach, die gegangen sind. Dagegen helfen im Grunde drei Schritte: Erstens die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, zweitens die Digitalisierung der Abläufe im Sinne einer Vereinfachung und Verschlankung. Und drittens, das gehört auch dazu, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI).
„Einige Förderanträge könnten von KI geprüft und vielleicht sogar entschieden werden.“
Rundblick: Wo sehen Sie dann die Chancen für die KI?
Scherf: Zum Beispiel könnten so einige Förderanträge von KI geprüft und vielleicht sogar entschieden werden. Man kann ja hinterher noch jemanden darüber schauen lassen, ob wirklich alles einwandfrei ist. Aber die wichtigsten und aufwendigsten Schritte lassen sich doch längst automatisch steuern. Jede Krankenkasse macht das heute schon so – warum sollte der Staat es in seinem Bereich nicht auch tun?
Rundblick: Sind wir nicht schon auf dem Weg dahin?
Scherf: Ja und nein, es gibt Rückschläge. Zum Beispiel bei der Breitbandförderung. Damit die KI wirklich im ganzen Land verfügbar ist, brauchen wir den Ausbau des Breitbandnetzes auch in Regionen, die dünn besiedelt und bisher nicht berücksichtigt worden sind. In dieser Situation aber stellt das Land seine Förderung ein, und das ist verhängnisvoll. Selbst wenn es in diesem Jahr noch klappen sollte, einige Mittel für den Landesanteil zusammenzukratzen, brauchen wir doch in Wirklichkeit viel mehr, nämlich eine Ausbauoffensive des Landes. Das zeichnet sich aber nicht ab.
Dieser Artikel erschien am 25.10.2023 in der Ausgabe #185.
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