Die Bundesregierung und viele Landesregierungen pochen auf eine Trendwende in der Asylpolitik. Die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, die kein Bleiberecht haben, soll intensiviert werden – das hat jüngst auch Kanzler Olaf Scholz in markigen Worten verkündet und damit offenbar die Bundesländer gemeint. Außerdem mehren sich bei Politikern von CDU/CSU und SPD, aber vereinzelt auch bei Grünen die Rufe nach einer Umstellung des Leistungssystems. Asylbewerber sollen in Zukunft stärker als bisher die ihnen zustehenden Zuweisungen des deutschen Staates in Form von Sachmitteln erhalten und nicht mehr als Bargeld. Im Gespräch ist eine „Geldkarte“, von der man nur begrenzt oder auch gar nicht Bargeld abheben kann. Am Mittwoch hat nun Regierungssprecherin Anke Pörksen (SPD) davor gewarnt, die Hoffnungen auf die schnelle Umstellung des Systems und Erwartungen an nachhaltige Veränderungen zu hoch zu hängen. „Das wird in der Praxis noch sehr schwierig werden“, sagte Pörksen. Wichtig sei, dass Neuerungen „auch umsetzbar und praktikabel sind“.
In Niedersachsen hatte sich CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner vor drei Wochen für die Einführung einer „Geldkarte“ für Asylbewerber eingesetzt. Auch der Präsident des Niedersächsischen Städtetages, Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU), argumentierte in diese Richtung. Ein Sprecher von Innenministerin Daniela Behrens (SPD) erklärte seinerzeit, die Ministerin sei offen für Veränderungen. Betont skeptisch reagierte allerdings Grünen-Fraktionschef Detlev Schulz-Hendel. Die Umstellungskosten für die Kommunen könnten ausufern, warnte er. Pörksen sagte am Mittwoch, nach ihrer Kenntnis habe bisher noch kein Bundesland „ein wirklich anwendbares System entwickelt“. FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr setzt sich seit langem für die Systemumstellung zugunsten der Sachleistungen ein. Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am Mittwoch vor, sie sei in dieser Frage „zu langsam“ und hätte längst Ergebnisse vorlegen müssen. Die nächste MPK ist am 6. November. Die Befürworter einer Umstellung von Geld- auf Sachleistungen vertreten vor allem zwei Argumente. Zum einen bestehe der Verdacht, die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Asylbewerber, die noch auf ihre Anerkennung warten, würden ihr „Taschengeld“ (164 Euro monatlich für einen Erwachsenen bei Gewährung einer kostenfreien Unterkunft und Verpflegung in den Heimen) an die Angehörigen in ihrer Heimat überweisen und damit weitere Anreize für Schleuser-Finanzierung schaffen. Zum anderen spreche sich die großzügige Unterstützung für Asylbewerber, die Deutschland biete, in fernen Ländern herum und erhöhe den Anreiz für Flüchtlinge, sich die Bundesrepublik als Ziel auszusuchen.
Laut Pörksen ergeben sich bei der „Bezahlkarte“ mehrere Probleme. So müssten die Banken sich beteiligen und ein federführendes System entwickeln. Die Stadt Hamburg habe hier immerhin schon eine Ausschreibung gestartet, andere seien längst nicht so weit, auch Bayern nicht, „trotz der markigen Worte von Ministerpräsident Markus Söder“. Das System müsse auch mit der Rechtsprechung zusammenpassen. Es gebe Urteile, die den Vorrang von Geldleistungen betonen. CDU-Chef Lechner hatte jüngst darauf hingewiesen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes mit Blick auf die Leistungen für anerkannte Asylbewerber geändert werden solle – dort sei nämlich bisher der Vorrang von Geldleistungen verankert. Pörksen sieht ein weiteres Problem darin, dass einige Länder ja verhindern wollten, mit einer Geldkarte mit EC-Bezahlsystem beispielsweise auch Bierflaschen erwerben zu können. Die Frage sei, ob man derartige Beschränkungen überhaupt vorgeben könne und dürfe. Das gelte auch für Überlegungen, ob man Asylbewerbern verbieten darf, von einer Geldkarte Bargeld abzubuchen oder von dort Geld auf Konten im Ausland zu überweisen.