5. Dez. 2023 · 
Landwirtschaft

Heute Hähnchen, morgen Insekten: Wie sich die Ernährungsbranche auf die Zukunft einstellt

Insekten als Proteinquelle, Fleisch aus dem Labor, Käse aus Präzisionsfermentation und Weizen aus dem Gewächshaus: Bei der „Innovate! Convention“ in Osnabrück zeichnet Kathrin Gegner vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) ein geradezu futuristisches Bild von der Agrar- und Lebensmittelindustrie der Zukunft. „Dahinter stehen die Mega-Trends Globalisierung, Digitalisierung und Urbanisierung. Ziel ist es, zehn Milliarden Menschen zu ernähren und gleichzeitig innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften“, sagt die Zukunftsforscherin.

Die Vertreter der Agro-Food-Branche, die im Osnabrücker Land durch Startups und Unternehmen so stark vertreten ist wie nirgendwo anders in der Bundesrepublik, überrascht Gegner mit ihrem Ausblick indes nicht. „Die Wachstums- und Umsatzpotenziale sind durch verschiedene Studien ja schon belegt, ich kann mir das aber nicht schon 2030, sondern eher erst ab 2050 vorstellen“, kommentiert Forschungsingenieur Thilo Steckel vom Landmaschinenhersteller Claas den Trend zum „Vertical Farming“.

Diskutieren über die Transformation des Agri-Food-Sektors (von rechts): Burkhard Voss, Kathrin Gegner, Lothar Riesenbeck und Thilo Steckel. | Foto: Link


In Dissen am Teutoburger Wald erforscht Steckel, welche elektronischen Systems die Landwirte von morgen brauchen und geht unter anderem davon aus, dass auf den Feldern zukünftig weniger Futtermittel angebaut werden. Mais und Getreide werden voraussichtlich seltener, die künstlich zusammengefügten Ackerflächen wieder kleinteiliger. „Wenn das so kommt, hat es für die Landwirte und auch für die Landtechnik riesige Auswirkungen“, sagt der Ingenieur.

Alarmiert ist er deswegen nicht. „Die Landwirte werden in die Fußstapfen anderer Lieferanten treten und hochwertige Rohstoffe liefern“, prophezeit Steckel. Dass die Maschinenfabriken sich an die veränderte Nutzung anpassen werden, steht für ihn außer Frage. Die Herstellung von Pflück- und Ernteautomaten fürs „Indoor Farming“ sieht er jedoch eher bei Industrieroboter-Spezialisten wie Kuka oder ABB. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Roboter dieser Art aus den traditionellen Landtechnikunternehmen hervorgehen“, sagt der Forschungsingenieur.

Landtechnikhersteller Krone rechnet mit Umwälzungen

„Landwirtschaft verändert sich immer und ist sehr innovativ. Es gibt sogar noch ein Bild davon, wie ich vor 50 Jahren auf einem Ackergaul gesessen habe“, sagt Krone-Produktionsleiter Lothar Riesenbeck und lacht. Auch beim Landmaschinenproduzenten aus Spelle stellt man sich in den nächsten Jahrzehnten auf gravierende Veränderungen ein. „Wir beobachten die Studien sehr genau und so schwarz sehen wir das als Landtechnikhersteller auch nicht. Da entstehen ganz sicher neue Geschäftsfelder für uns, die wir jetzt noch nicht anbieten“, meint Riesenbeck.

Seine Expertise liegt zwar eher in der Agrartechnik als in der Zukunftsforschung. Wenn es um Trends in der Ernährungsbranche geht, ist für ihn jedoch klar: „Es muss bezahlbar sein und es muss schmecken. Das sind die zwei Dinge, die entscheiden, was sich am Ende durchsetzen wird.“

Lupinen-Falafel verkaufen sich besser als Insekten-Burger

Landwirt Burkhard Voss hat bereits seit längerem das Ohr am Puls der Zeit. Der Rapsbauer und Sauenhalter aus dem Münsterland bietet in seinem Hofladen inzwischen auch Falafel, Hummus und Nudeln aus Lupinen eigener Herstellung an. „Man muss schauen, was der Verbraucher will. Will er wirklich Insekten essen? Will er den Fisch, der eigentlich in der Nordsee schwimmen sollte, hier aus Aquakulturen?“, fragt Voss.

Um vom Wandel der Lebensmittelbranche nicht überrollt zu werden, gibt er für die Landwirte folgende Devise aus: „Wir müssen schnell und flexibel reagieren können und dürfen uns nicht mehr so langfristig an Dinge binden, wie wir das bisher getan haben.“ Investitionen in der Landwirtschaft müssten künftig so geplant werden, dass sie schneller abbezahlt sind. Vielleicht seien sogar Investoren erforderlich. Nur eins darf laut Voss nicht passieren: „Wir Landwirte dürfen die Herstellung von Nahrungsmitteln nicht allein den großen Unternehmen überlassen, denn dann sind wir nur noch die Landschaftspfleger.“

Ein Großunternehmen, das den Landwirten auch in unsicheren Zeiten Verlässlichkeit verspricht, ist der Geflügelzüchter Wiesenhof. Deutschlands bekannteste Hähnchenmarke, die zur PHW-Gruppe mit Sitz in Visbek-Rechterfeld (Kreis Vechta) gehört, kann seinen Lieferanten nicht nur stabilere Preise als in der Schweinehaltung bieten, sondern auch eine Abnahmegarantie. „Die Landwirte werden ihre Ware immer los, egal wie der Markt ist“, sagt Konzernchef Peter Wesjohann im Gespräch mit Moderatorin Alina Wegner. Um den deutschen Hunger nach Geflügel zu stillen, hat Wiesenhof ein Netz mit 1000 Landwirten aufgebaut.

Hähnchen-Exporte aus Deutschland lohnen nicht

„Der Nachteil ist, dass so eine Kette intensiv beäugt wird. Wir werden für jeden Fehler in der Kette verantwortlich gemacht“, berichtet der Wiesenhof-Chef. Die Kritik sei jedoch meistens unfair. Im Verhältnis zu den aufgezogenen Tieren liege die Fehlerquote im Promillebereich. Außerdem sei die deutsche Geflügelbranche in Sachen Tierwohl viel weiter als die Schweinezucht und gerade im internationalen Vergleich vorbildlich.

„Beim deutschen Hähnchenfleisch ist es deswegen auch schwierig mit dem Export, weil wir aufgrund der hohen Standards nicht wettbewerbsfähig sind“, sagt Wesjohann. Er gibt zu bedenken, dass bei weiteren Verschärfungen der Haltungsbedingungen in Deutschland noch mehr Hähnchenfleisch aus dem Ausland eingeführt werde. Schon jetzt liege die Importquote bei 25 Prozent. Sein Konzern exportiere zwar Geflügelfleisch in 40 Länder der Erde – allerdings aus Polen, Bulgarien und den Niederlanden.

Tierwohl gewinnt immer mehr Marktanteile

„Hohe Standards müssen sich erstmal am Markt etablieren. Das heißt: Am Ende des Tages muss der Verbraucher bereit sein, die höheren Preise zu zahlen“, betont der Familienunternehmer, der die PHW-Gruppe in dritter Generation leitet. Fast die gesamte deutsche Produktion laufe zwar schon unter einem Tierwohl-Label. Die Mehrkosten für die dazugehörige Haltungsstufe 3 beziffert Wesjohann jedoch auf 80 bis 200 Prozent. Die Aufzucht von Bio-Geflügel sei sogar drei- bis viermal so teuer wie die konventionelle Haltung.

Grund dafür seien die höheren Kosten für ökologisch erzeugtes Futter und die längeren Aufzuchtzeiten für langsam wachsende Rassen. Allmählich seien die Deutschen jedoch bereit, für Geflügelfleisch etwas tiefer in die Tasche zu greifen. „In Baden-Württemberg und Bayern ist die Kaufkraft höher, da funktioniert das besser“, verrät Wesjohann. Klare Worte richtet er auch an die Politik: „Wir brauchen kein staatliches Tierwohl-Label. Alles, was der Staat macht, ist am Ende ein Rohrkrepierer und geht zu Lasten der ganzen Kette.“

„Ich bin kein Freund von Schwarz-Weiß-Denken. Wenn wir in Zukunft zehn Milliarden Menschen ernähren wollen, brauchen wir jede Form der Proteinherstellung“, sagt PHW-Chef Peter Wesjohann. | Foto: Anton Hirschle

Natürlich beobachtet auch der Marktführer im deutschen Geflügelsektor sehr aufmerksam den Wandel der Lebensmittelindustrie. „In Deutschland wird der Fleischkonsum ein Stück weit zurückgehen, weltweit wird er eher zunehmen“, sagt Wesjohann. Auch PHW hat über seine Tochterfirma „Green Legend“ bereits vegane Geflügelbratwurst, Hähnchenschnitzel oder Chicken Nuggets im Angebot. Fleischalternativen seien aber immer noch „relativ hochpreisig“ in der Herstellung. „Wir müssen eigentlich dahin kommen, dass wir die veganen Produkte in einer gleichwertigen Struktur anbieten und eine Preisgleichheit herstellen, damit sie aus der Nische herauskommen. Wir können das aber nur hinkriegen, wenn wir eine integrierte Kette herstellen“, sagt der PHW-Chef.

Deutschland hängt bei Labor-Fleisch hinterher

Wenn es um „Cultured Meat“ (In-vitro-Fleisch) geht, sieht Wesjohann derzeit wenig Chancen für deutsche Firmen. „In der Forschung sind Israel, die Niederlande oder die USA vor Deutschland. Ob das noch eingeholt werden kann, weiß ich nicht“, sagt er. Zunächst einmal müsse die Fleischalternative aus dem Labor in der EU zugelassen werden, dann werde es noch mindestens fünf Jahre dauern, bis die Produktion hochgefahren und konkurrenzfähig gemacht werden könne. Abgeschrieben hat Wesjohann den „Cultured Meat“-Markt noch nicht. „Wir werden uns in Europa umschauen und unser Portfolio an Beteiligungen erweitern“, kündigt er an.

Auch andere Zukunftsthemen und Herausforderungen der Ernährungsbranche werden auf der „Innovate! Convention“ von den mehr als 700 Teilnehmern in Osnabrück intensiv diskutiert. Neben Nachhaltigkeitsthemen wie etwa dem Einsatz alternativer Treibstoffe in der Landwirtschaft stehen vor allem die Automatisierung und Transformation der Agrar- und Food-Branche im Fokus. Startups und Studenten treffen hier auf Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft. Mit Agravis, Apetito, Bedford, Berentzen, Coppenrath und Wiese, der Landmaschinenfabrik Grimme, Heristo, Krone und der PHW-Gruppe hat sich das Who-is-Who der regionalen Agro-Food-Branche versammelt.

Olaf Lies will KI-Förderung umstellen

Auch Wirtschaftsminister Olaf Lies ist mit von der Partie. In einer Podiumsdiskussion zu Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung in der Ernährungswirtschaft kündigt der SPD-Politiker sogar nicht weniger als eine Abkehr von der bisherigen Förderpolitik des Landes an. Um die Betriebe in Niedersachsen bei der KI-Nutzung zu unterstützen, will er nicht auf Einzelförderungen, sondern auf die Förderung von Plattformen setzen. Lies: „Wir müssen Strukturen schaffen, die nicht nur einzelnen Projekten helfen, sondern in die Breite gehen. Wir schaffen es nicht, allen Unternehmen einzeln zu helfen.“

Sprechen in Osnabrück über KI und Automatisierung (von links): Christian Kirchner von der Landesinitiative Ernährungswirtschaft (LI Food), Wirtschaftsminister Olaf Lies, Henning Müller vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Jörg Brezl vom Softwareunternehmen SLA aus Quakenbrück und Florian Stöhr, Seedhouse-Geschäftsführer sowie Veranstalter der „Innovate! Convention“. | Foto: Anton Hirschle
Dieser Artikel erschien am 6.12.2023 in Ausgabe #213.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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