Was den technischen Fortschritt angeht, muss sich die Landwirtschaft vor der Industrie nicht verstecken. Das machen in dieser Woche rund 2800 Aussteller aus 52 Ländern auf der Landtechnikmesse Agritechnica in Hannover deutlich, wo die Branche ihre Innovationen für den Pflanzenbau der Zukunft zeigt. Digitalisierung, Elektrifizierung und Automation sollen genauso wie in der Fabrik auch auf dem Acker zu weiteren Effizienzgewinnen führen.

Für jeden Prozentpunkt, um den die Produktivität der Landwirtschaft in der EU zusätzlich gesteigert wird, können weitere zehn Millionen Menschen pro Jahr ernährt werden, rechnet der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) vor. Außerdem wachse bei jedem Prozentpunkt das Jahreseinkommen eines durchschnittlichen EU-Landwirts um 500 Euro, während die CO2-Emissionen um 220 Millionen Tonnen sinken. „Eine nachhaltige und effiziente Nutzung von Ressourcen ist nicht nur ökologisch verantwortlich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Indem wir in Innovationen investieren, tragen wir dazu bei, unsere Umwelt zu schützen und gleichzeitig die Produktivität unserer Agrarsysteme zu steigern“, sagt Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), die die Agritechnica veranstaltet.
Obwohl – oder vielmehr gerade weil – sich die Landwirtschaft im Umbruch befindet, zeigen sich die Betriebe ausgabefreudig. „Russlands Krieg verändert Grundannahmen, der europäische „Green Deal“ verknappt Betriebsmittel, die Zinspolitik verlangt eine vorausschauende Investitionsplanung und der Klimawandel erfordert resiliente Produktionsverfahren. Das kann man nur mit leistungsstarken Innovationen stemmen“, sagt DLG-Hauptgeschäftsführer Lothar Hövelmann.

Laut einer DLG-Umfrage unter 1300 europäischen Landwirten wollen 93 Prozent der Betriebe in den nächsten zwei Jahren investieren. Ganz oben auf der Einkaufsliste stehen Traktoren (52 Prozent), dahinter folgen Maschinen zur Bodenbearbeitung und Aussaat (36 Prozent) sowie Erntemaschinen (32 Prozent). Neue Software oder Software-Dienstleistungen stehen bei jedem fünften Landwirt auf dem Einkaufszettel.Trotz einer zunehmenden Regelungsdichte ist die Stimmungslage bei den Ackerbauern am besten, aber auch bei Milchviehhaltern und Schweinezüchtern ist das aktuelle Geschäftsklima tendenziell positiv. Stimmungskiller bei den Tierhaltern ist die Zinsentwicklung, nachdem viele Betriebe nach Erweiterungsinvestitionen nun um die Anschlussfinanzierung bangen müssen.
Die deutsche Landtechnikindustrie ist zur Agritechnica mit einem Spitzenergebnis angereist und bleibt auch für 2024 grundsätzlich positiv gestimmt. Im ersten Halbjahr 2023 verzeichneten die Landmaschinen- und Traktorenhersteller segmentübergreifend einen Umsatz von 6 Milliarden Euro bei Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich. „Nachdem sich die pandemie- und krisenbedingten Lieferengpässe aufgelöst hatten, konnten die bis dato historisch hohen Auftragsbestände sukzessive abgebaut werden“, berichtet Tobias Ehrhard, Geschäftsführer des Branchenverbands VDMA-Landtechnik.

Mit einer Ausfuhrquote von durchschnittlich 75 Prozent seien die deutschen Hersteller erneut Exportweltmeister im internationalen Landtechnikgeschäft. In Niedersachsen sind mit der Krone-Gruppe in Spelle (Kreis Emsland) und der Amazone-Gruppe in Hasbergen (Kreis Osnabrück) gleich zwei international tätige Landmaschinenhersteller ansässig. Während die Landtechnik-Sparte bei Krone (Umsatz: 828 Millionen Euro) eine Exportquote von 73,2 Prozent aufweist, exportiert Amazone (Umsatz: 804 Millionen Euro) sogar rund 80 Prozent seiner Produkte ins Ausland.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beobachtet Ehrhard eine „Neuordnung der Exportgeographie für Landmaschinen und Traktoren“. „Die Ausfuhren europäischer Landtechnik in die Vereinigten Staaten, aber auch in die Länder Südamerikas und Südostasiens haben in jüngster Zeit spürbar an Gewicht gewonnen“, sagt der Branchenexperte.
Der konventionelle Diesel-Traktor bekommt immer mehr Konkurrenz. Nachdem viele Hersteller ihre Motoren bereits für die Verwendung von hydriertem Pflanzenöl (HVO) freigegeben haben, stehen auch andere Antriebstechnologien in der Landtechnik kurz vor dem Durchbruch. Diesen Trend beobachtet Traktortechnik-Experte Roger J. Stirnimann von der Berner Fachhochschule zur Agritechnica 2023. „Bei Traktoren war LNG bisher kaum ein Thema“, sagt Stirnimann und verweist auf Designprobleme und Abdampfverluste. Der US-amerikanischer Hersteller „New Holland“ scheint die Probleme jedoch gelöst zu haben und stellt in Hannover einen Gas-Traktor mit LNG-Tanks vor. „Damit könnten LNG-Gasmotorenkonzepte jetzt auch in der Landwirtschaft zu einer geeigneten Antriebsoption werden, verbunden mit der Chance, eigenes Biogas (Bio-LNG) als Fahrzeugtreibstoff in CO2-neutralen Kreisläufen verwenden zu können.“

Einen batterieelektrischen Traktor haben die Amerikaner ebenfalls im Angebot, wobei aber auch der Schweizer Traktorbauer Rigitrac und der deutsche Marktführer Fendt aus Bayern erste batterieelektrische Kleintraktoren auf den Acker schicken können. Der Brennstoffzellenantrieb stecke indes noch in den Kinderschuhen und sei derzeit nur als Reichweitenverlängerer sinnvoll, sagt Stirnimann. Als Antriebslösung für mittlere und größere Traktoren könnte sich laut Stirnimann der Hybridmotor erweisen. Auf der Agritechnica stößt der Steyr Hybrid CVT, der kurz vor der Serienreife steht, nicht nur wegen seines schicken Designs auf großes Publikumsinteresse.

Besonders große Erwartungen haben die Landwirte an die Industrie, wenn es um zukunftsfähige Verfahren für Düngung und Pflanzenschutz geht. Das sogenannte „Spot Farming“ hat Hochkonjunktur. Modernste Sensor-, Video- und Softwaretechnologie sorgt dafür, dass Pflanzenschutzmittel in Echtzeit und punktgenau am Bedarf der einzelnen Pflanze orientiert ausgebracht werden können. „In der Düngerausbringung geht dank dieser Technologie buchstäblich nichts mehr daneben. Fachleute sprechen vom ‚Grenzstreuen‘. Das spart Geld und schont die Umwelt“, erklärt VDMA-Landtechnik-Geschäftsführer Tobias Ehrhard.

Auch das niedersächsische „Zukunftslabor Agrar“ unter Federführung der Universität Osnabrück hat das punktgenaue Saatkorn-Ausbringen für sich entdeckt. Auf der Agritechnica präsentiert das Forschungs-Kollektiv den Prototyp eines Einzelkorn-Säaggregats, der laut Mitentwickler Phillip Hildner nicht nur weniger Saatgut als die Drillsaat benötigt. „Außerdem steigt die Nährstoffverfügbarkeit pro Korn, sodass auch Düngemittel eingespart werden kann“, sagt der Automatisierungsexperte von der TU Braunschweig. Das Landtechnikunternehmen Amazone präsentiert mit dem „CurveControl“ zudem erstmals eine Software, die Ausstreuen von Dünger außerhalb des Feldes bei Kurvenfahrten verhindert. Das System misst den Kurvenradius, berechnet die entstehenden Radialgeschwindigkeiten und die notwendige Verschiebung des Streufächers.

Landwirtschaft ist traditionell ein eher raumgreifendes Unterfangen. Das „Vertical Farming“ versucht diesen Makel zu beseitigen und auf engstem Raum große Mengen Lebensmittel zu erzeugen. Derzeit werden vor allem Blattgemüse (Salat, Spinat und Rucola) sowie Kräuter (Basilikum, Koriander und Petersilie) und gelegentlich auch Tomaten, Gurken, Paprika und Erdbeeren in den Gewächshäusern der Zukunft gezüchtet. Zukünftig sollen aber auch Hülsenfrüchte oder Weizen „indoor“ heranwachsen.

Beim „Inhouse Farming“, zu dem auch die Fisch- und Algenzucht gehören, spielt die Technik eine ganz zentrale Rolle: Wassermanagement, Klimasteuerung und Energieverwaltung müssen nicht nur effizient, sondern auch miteinander vernetzt und idealerweise automatisiert sein. Ganz wichtig ist zudem die Lichtversorgung. „Verschiedene Wellenlängen des Lichts rufen in Pflanzen unterschiedliche Reaktionen hervor. Die Möglichkeiten, zum Beispiel den Nährstoffgehalt zu beeinflussen,sind faszinierend“, erklärt Johann Waldherr von Würth Elektronik. Die Baden-Württemberger zeigen auf der Agritechnica, wie eine pflanzenoptimierte LED-Beleuchtung mit Sensorik und drahtloser Kommunikation funktionieren kann.
