Wenn man die Wertschätzung für den Landespatientenbeauftragten im Sozialministerium am Garderobenschrank ablesen wollte, dann sähe es düster aus. Ein einziger wackeliger Plastikbügel hängt darin. „Hängen Sie ihren Mantel einfach über meinen. Das hält der Bügel aus“, begrüßt mich Peter Wüst und zeigt sich gleich als optimistischer Pragmatiker. Seit rund 100 Tagen ist Wüst inzwischen im Amt und hat bisher über 100 Fälle bearbeitet. Das klingt nach weniger als es in Wirklichkeit ist.

Die Aufgabe ist nicht leicht. Hinter jedem Anruf steckt eine Geschichte. Beim Landespatientenbeauftragten beginnt dann oftmals eine aufwendige Recherche: Literatur prüfen, Akten des Patienten wälzen. Im Januar soll Wüst eine Assistentin bekommen. Und über kurz oder lang soll noch ein Sachbearbeiter hinzukommen, der ihn bei Recherchen unterstützen und die Kontakte zu den Patientenfürsprechern pflegen kann. „Es gibt zu dieser Stelle schon entsprechende Überlegungen im Ministerium. Da bin ich zuversichtlich“, sagt der Optimist Wüst.

In den Kliniken geht es um die Personalsituation

Auch emotional ist die Position des Patientenbeauftragten nicht immer einfach. „Vor kurzem hatte ich am Morgen um 8.30 Uhr einen völlig aufgelösten Mann am Telefon, im Hintergrund hörte man seine aufgeregte Ehefrau“, erzählt Wüst. Der Mann berichtete, dass seine Schwiegermutter nur einen Tag nach einer Bluttransfusion aus dem Krankenhaus entlassen wurde, obwohl sie ein Pflegefall sei. Peter Wüst konnte helfen. „Da musste man erst einmal ein wenig Ruhe hineinbringen“, sagt er und berichtet, wie er dann zusammen mit dem Patientenfürsprecher und dem Krankenhaus eine Lösung fand, um die alte Dame in einem Pflegeheim unterzubringen. Peter Wüst macht nicht den Eindruck, als ob ihn solche Fälle aus der Balance bringen könnten. Und wenn der Stress einmal doch sehr groß wird, dann hat er zuhause gleich die richtige Gesprächspartnerin. Seine Frau, die aus Ostfriesland stammt, ist ehrenamtliche Seelsorgerin.

Oftmals kann Wüst auch nicht weiterhelfen, nur zuhören. Zum Beispiel den Patienten, die einfach einmal ihrem Unmut Luft machen wollen. In rund einem Viertel der bisher 104 Fälle ging es um Situationen in Krankenhäusern. „Ein wesentlicher Punkt ist die Personalsituation“, berichtet Wüst. Patienten hätten häufig den Eindruck, dass Pflegepersonal und Ärzte zu wenig Zeit hätten. „Der Personalmangel in den Krankenhäusern ist nicht nur ein Gefühl. Er ist auch tatsächlich vorhanden.“ Gerade in den Notfallambulanzen gebe es lange Wartezeiten. Viele Patienten wüssten aber gar nicht, dass sie im Notfall oftmals auch die deutschlandweit einheitliche Rufnummer des Kassenärztlichen Notdienstes (116 117) wählen können. Damit ließen sich die Krankenhäuser entlasten.

Niedersächsische Ruhe gepaart mit schwäbischer Bescheidenheit

Der 60-jährige Wüst kennt sich gut aus im Gesundheitssystem. Und er kennt es von innen und von außen. „Ich habe während meiner Laufbahn einen Streifzug durch das gesamte Gesundheitswesen gemacht“, sagt er selbst. Wüsts Leben wiederum ist ein Streifzug durch viele Orte. Er wurde in Freiburg geboren und wuchs in Balingen an der schwäbischen Alb auf, das Abitur machte er in der Nähe von Heidelberg. Dann wurde er Berufssoldat und studierte in Heidelberg Medizin. Zwanzig Jahre Bundeswehr, zwanzig Jahre Ortswechsel: Schwarzwald, Speyer, Hannover, Hamburg. Dort war zuletzt Kommandeur eines Sanitätsbataillons. „Ich fühle mich immer noch als Schwabe“, sagt Wüst. Das erklärt, dass er noch keinen zweiten Kleiderbügel für sein Büro eingefordert hat. Sparsamkeit geht vor.

Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr ging Wüst 1995 zur Bezirksregierung nach Braunschweig als Referatsleiter für das Gesundheitswesen. Zehn Jahre später wurde durch die Auflösung der Bezirksregierungen wieder ein Jobwechsel fällig: Er ging ins Sozialministerium, arbeitete dort zuletzt in der Fachaufsicht für die Psychiatrie. In Braunschweig wohnt er allerdings immer noch. Seit mehr als zehn Jahren pendelt Wüst nun zur Arbeit nach Hannover. Auf dem Schreibtisch steht ein Bild, auf dem Modelle des Chevrolet Impala zu sehen sind – noch als Straßenkreuzer aus den 60er Jahren mit riesigen Heckflossen, wie es damals der Zeit entsprach. „Das war der Traumwagen meiner Kindheit“, berichtet Wüst. Besessen hat er so eine Impala allerdings nie, nur als Spielzeugauto. Und ins Büro fährt er jeden Tag mit dem Zug. Ganz Pragmatiker eben.

Sein „Streifzug durch das Gesundheitswesen“, kommt ihm jetzt häufig zugute – zum Beispiel, wenn es um wirkliche oder vermutete Behandlungsfehler geht. „Ich habe mich immer gut fortgebildet und war ja auch selbst bei Operationen dabei. Wenn ein Patient meint, dass es einen Behandlungsfehler gegeben hat, dann kann ich das oftmals ganz gut beurteilen“, sagt Wüst. Man kann sich gut vorstellen, wie er mit einem aufgeregten Patienten in seiner ruhigen Art am Telefon spricht. Die niedersächsische Ruhe gepaart mit einer schwäbischen Bescheidenheit – ein schwäbischer Niedersachse.

Beruflich hat sich für Wüst mit dem Amt des Landespatientenbeauftragten ein Kreis geschlossen. Seine ersten Patienten lernte er im Medizinstudium in Heidelberg kennen, jetzt kümmert er sich wieder um Patienten. „Durch die Erfahrungen sowohl in der Verwaltung als auch in der praktischen Medizin hat man gerade für so eine Funktion als Vermittler eine gute Ausgangsposition“, stellt Wüst fest und freut sich: „Das finde ich schön, dass ich wieder am Patienten dran bin.“ (MB.)