24. Nov. 2016 · 
Kommentar

Das doppelte Versäumnis

Darum geht es: Die CDU will Kultusministerin Frauke Heiligenstadt vor dem Staatsgerichtshof anklagen – weil sie nicht gegen eine vollverschleierte Schülerin vorgeht. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum. Das Instrument der „Ministeranklage“ wird alle Jahre mal wieder aus der Schublade gezogen, wenn die Opposition gegen einen in die Kritik geratenen Minister vorgeht. „Ministeranklage“, das klingt dramatisch. Dabei dürfte ein solcher Schritt auch jetzt, wie so oft, wirkungslos verpuffen, denn für die Anklage ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Aber die Koalition steht in schwierigen Situationen wie jetzt geschlossen hinter Heiligenstadt. Die CDU wirft der Ministerin vor, sie dulde fortgesetzten Rechtsbruch. Das geht aber haarscharf am Kern des Problems vorbei. Denn wir haben es hier mit zwei großen Versäumnissen zu tun, die beide auf das Konto der Kultusministerin gehen, auch wenn sie manches davon nur geerbt hat. Erstens steht sie für ein Schulgesetz, das an einer wichtigen Stelle uneindeutig ist und längst schon hätte verschärft werden müssen. Zweitens ist ihr dieses Problem spätestens seit Anfang September bekannt – und sie hat bis heute keinen Weg gefunden, damit angemessen umzugehen. Wenn die CDU behauptet, Heiligenstadt decke einen Gesetzesbruch, dann geht das zu weit. Richtig ist vielmehr, dass die Ministerin einen Zustand der Rechtsunsicherheit duldet. Aber auch das ist ein ernstes Problem. https://soundcloud.com/user-385595761/niqab-schulerin-in-belm-ein-fall-fur-den-staatsgerichtshof Der Fall der vollverschleierten Schülerin im Unterricht berührt einen heiklen Punkt in der rot-grünen Koalition. Auf der einen Seite stehen die, die Dialog und Toleranz predigen, eine Verständigung mit dem Islam suchen und die Vollverschleierung hinnehmen – schließlich gibt es hierzulande nur wenige Frauen, die sich so kleiden. Diese Haltung ist bei den Grünen und am linken Flügel der SPD verbreitet. Auf der anderen Seite sind die, die klare Grenzen ziehen wollen, auch und gerade wegen der vielen Frauen und Männer in Deutschland, die in einer Vollverschleierung einen Angriff auf unsere Werte und Traditionen sehen, eine unzulässige Provokation. In der SPD werden diese Stimmen, die aus der wertkonservativen Ecke kommen, immer lauter. Als Beispiel ist die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder zu nennen. Heiligenstadt steht in der Mitte, und ihr Zögern bei einer Gesetzesänderung lässt darauf schließen, dass das Kräftemessen der beiden Flügel in der rot-grünen Koalition immer noch unentschieden ist. Oder, dass ein wegweisendes Eingreifen des Ministerpräsidenten hier noch nicht stattgefunden hat. Am Ende wirkt die Kultusministerin wie eine unglückliche Figur. Sie muss die ungelösten Konflikte in der Landesregierung und der Koalition ausbaden. Vielleicht wäre ein Befreiungsschlag ratsam, ein Vorpreschen mit einer Änderung des Schulgesetzes, das sie auf ihre eigene Kappe nimmt. Ob die Kultusministerin dazu die Kraft hat? Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #215.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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