Christian Meyer will keine „Basta-Trassen“, aber klare Spielregeln für Bürgerbeteiligung
Gegenseitiges Misstrauen, übertriebene Erwartungen und immer wieder neue Formate: Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) sieht Reformbedarf bei der Bürgerbeteiligung zur Energiewende. „Das Beteiligungsverfahren scheint noch nicht das zu leisten, was man gerne hätte“, stellt Prof. Eva Ruffing von der Universität Osnabrück mit Blick auf immer wieder wechselnde Mitmachformate fest. Zusammen mit ihrem Forschungsteam hat sie erstmals die geringe „partizipative Alphabetisierung“ der Deutschen bei der Energiewende wissenschaftlich nachgewiesen.
Anders ausgedrückt: Bei der Planung deutscher Stromtrassen, Windparks oder Umspannwerke haben die Bürger oft keine Vorstellung davon, wie eine Bürgerbeteiligung funktioniert und was sie davon erwarten können. Dass Unternehmen und Behörden stets neue Ideen haben, um die Bevölkerung im Planungsprozess mitzunehmen, sei zwar gut gemeint. „Innovationen kommen aber zu einem Preis, Standardisierung hat auch ihren Wert“, sagte die Expertin für Energiepolitik bei einer FGZ-Podiumsdiskussion in Hannover.
Umwelt- und Energieminister Christian Meyer berichtete von einer aus seiner Sicht offeneren Stimmung im Lande. Früher habe es in Niedersachsen hunderte Protestbewegungen gegen die Stromautobahn Südlink gegeben. „Heute kriege ich jeden Tag einen Anruf, warum der Südlink noch nicht fertig ist“, erzählte Meyer. Bei Bürgerveranstaltungen zum Windkraftausbau würden die Projekte nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt, sondern es werde über Bürgergenossenschaften oder Wertschöpfung diskutiert. „Der wirtschaftliche Faktor ist etwas, das die Meinung dreht“, sagte der Grünen-Politiker. Er setzt dabei auf die geplante Akzeptanzabgabe: Bei der Stromerzeugung sollen 0,2 Cent pro Kilowattstunde an die Gemeinde abgeführt werden, in der die Windkraft- oder Solaranlage steht.
„Wenn die Menschen vor Ort einen Mehrwert haben, ist die Akzeptanz hoch“, bestätigte die Konfliktberaterin Anne Stamm, die Bürgerinitiativen bei Energieprojekten berät. Einen Positivtrend könne sie jedoch nicht beobachten, vielmehr habe die direkte Bürgerbeteiligung seit Corona abgenommen. Auf die Frage, wer sich bei diesen Veranstaltungen üblicherweise einbringt, antwortete Stamm: „Es ist der klassische Mittelstand, der sich beteiligt. Wutbürger? Jein. Wut entsteht, wenn man sich überfahren fühlt.“
Meyer sprach sich dafür aus, dass die Rahmenbedingungen der Energiewende durch den Gesetzgeber bestimmt werden. In welcher Form die Gemeinden die Klimaziele erfüllen oder wo eine Stromtrasse letztlich verlaufe, dürfe jedoch nicht von oben vorgegeben werden, sondern müsse vor Ort ausgehandelt werden. „Damit nicht so viel Frust da ist, müssen vorher die Spielregeln klar sein. Die Bürger müssen wissen, was sie entscheiden können. Und es muss klar sein, dass die Ergebnisse einer Mediation von allen Beteiligten akzeptiert werden“, sagte Meyer.
Dass Unternehmen den Bürgern nur einen einzigen Trassenverlauf präsentieren und die Bürger bestenfalls über die Höhe der Strommasten mitentscheiden lassen, kommt für den Grünen-Politiker nicht infrage. „Das ist keine Beteiligung, das ist Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen“, meinte der Umweltminister. Es dürfe aber keine „Basta-Trassen“ geben, Bürgerbeteiligung müsse immer verschiedene Varianten und Offenheit beinhalten. „Beteiligung muss auch Gestaltungshoheit haben und muss ernst genommen werden“, betonte Meyer. Für die Einbindung von Bürgergremien mit zufällig ausgewählten Teilnehmern zeigte er sich offen – allerdings nur als Ergänzung zu den Fachmeinungen von Wissenschaftlern und Pragmatikern.
Prof. Christian Bauer von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (HS Bund) in Brühl warnte davor, die Zustimmung der betroffenen Bürger jedes Mal teuer zu erkaufen. „Die Kosten für akzeptanzfördernde Maßnahmen werden sozialisiert“, sagte er mit Verweis auf den Südlink. Um den Trassengegnern entgegenzukommen, schwenkte man bei der Planung von Freileitungen auf Erdkabel um – die Mehrkosten in Höhe von sieben Milliarden Euro werden über die Netzentgelte auf alle Stromkunden umgelegt. „Hier stellt sich die Frage, was wir der Gesamtbevölkerung zumuten können“, sagte Bauer.
Der Jurist sieht zudem ein grundlegendes Problem bei der Bürgerbeteiligung: „Die richtige Aktivierung findet erst auf der Ebene des Planfeststellungsverfahrens statt. Der Gestaltungsspielraum ist dann eigentlich gar nicht mehr vorhanden.“ Bauer empfiehlt den Vorhabenträgern deswegen eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung noch vor der Antragstellung. „Gerade bei Infrastrukturprojekten muss frühzeitig mit den betroffenen Bürgern in Kontakt getreten werden – das bringt den Erfolg“, unterstreicht auch Konfliktberaterin Stamm.
Dieser Artikel erschien am 25.03.2024 in der Ausgabe #056.
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