Der Bau neuer Windräder scheitert vielerorts am Widerstand der Anwohner. Nach dem Vorbild von Mecklenburg-Vorpommern will Niedersachsen die Akzeptanz für Wind- und Solarparks nun dadurch steigern, dass die Bürger vor Ort am Bau neuer Anlagen mitverdienen können – und zwar gesetzlich vorgeschrieben. Doch das „Gesetz über die finanzielle Beteiligung am Ausbau erneuerbarer Energien in Niedersachsen“ (NEEBetG) droht nach Einschätzung von Experten mit überfrachteten Vorschriften zu einem Bürokratiemonster zu werden, das seinem Namen alle Ehre macht. „Das Ganze ist viel zu komplex und viel zu bürokratisch. Es wird den Ausbau verlangsamen und verteuern“, warnt Bärbel Heidebroek, Vorsitzende des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE).
Bärbel Heidebroek und ihr Ehemann Alexander leiten die Landwind-Gruppe, zu der auch die Genossenschaft Landenergie Bürger gehört - Foto: Link
Die niedersächsische Pflicht zur Bürgerbeteiligung an neuen Windparks soll deutlich über das hinausgehen, was die Bundesregierung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen hat. Aus der freiwilligen Abgabe an die Bürger oder Kommunen von bis zu 0,2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) will die rot-grüne Landesregierung eine Pflichtabgabe von genau 0,2 Cent pro kWh machen. Ein durchschnittliches Windrad mit 6 Megawatt würde einer Gemeinde damit zwischen 20.000 Euro bis 35.000 Euro jährlich einbringen – sofern es denn gebaut wird. Denn das Beteiligungsgesetz macht aus Sicht der Windkraftbranche zu viele und teilweise auch zu praxisferne Vorschriften.
„Wir glauben nicht, dass es Akzeptanz schafft, wenn Leute, die viel Geld haben, in Windkraft investieren können.“
Das niedersächsische Ziel, pro Jahr zwischen 200 bis 300 neue Windräder zu bauen, sei mit dem Gesetz in seiner geplanten Form nicht umsetzbar. Vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen würden vor „nicht umsetzbare Herausforderungen“ gestellt, meint Heidebroek.
Folgende Probleme sieht der Branchenverband LEE mit dem Beteiligungsgesetz:
Falscher Ansatz: „Wir glauben nicht, dass es Akzeptanz schafft, wenn Leute, die viel Geld haben, in Windkraft investieren können“, sagt Heidebroek. Auf genau diesen Ansatz konzentriert sich jedoch das niedersächsische Beteiligungsgesetz, das die Ausgabe von „Sparprodukten“ oder Gesellschaftsanteilen an die Bürger vor Ort umständlich regelt. Zur Erfüllung dieses Ziels ist laut der LEE-Chefin die Akzeptanzabgabe von 0,2 Cent/kWh jedoch schon völlig ausreichend. „So kommt das Geld auch denen zugute, die sich nie beteiligt hätten oder die Projekte sogar ablehnen.“ Dass die Kommunen die Akzeptanzabgabe laut Gesetz nicht für Pflichtleistungen (also zum Beispiel für Kindergärten) einsetzen dürfen, stößt dagegen auf Unverständnis. Es sei überhaupt unnötig, den Städten und Gemeinden so viele Vorgaben zu machen. „Es ist besser, wenn man den Kommunen vertraut“, sagt Heidebroek.
Hohe Hürden für kleine Projekte: Laut Gesetzentwurf soll die Bürgerbeteiligung schon für Windräder und Photovoltaik-Anlagen mit einer installierten Leistung von nur einem Megawatt gelten. „Das ist nicht praktikabel und wird Projekte unmöglich machen“, lautet der LEE-Einwand. Zudem halten die Energieexperten die Gleichsetzung von Wind- und Solarprojekten für kritisch, weil PV-Anlagen in Norddeutschland bei gleicher installierter Leistung effektiv viel weniger Strom erzeugen können. „Wir gehen von circa 25 Prozent eines Windprojektes aus.“ Immerhin: Bürgergesellschaften und Energieprojekte, die weitgehend zur Eigenversorgung dienen, sind von der Abgabe ausgenommen.
Im Windpark Gevesleben entstehen mehrere Windkraftanlagen mit mehr als 160 Metern Masthöhe - Foto: Link
Details zu kompliziert: Bei einem Eigenkapital von durchschnittlich 5 Millionen Euro für einen mittelgroßen Windpark müssten laut Gesetzentwurf mindestens 500.000 Euro (10 Prozent) über Sparbriefe an Bürger vor Ort ausgegeben werden. Gleichzeitig darf ein Sparbrief aber nicht mehr als 500 Euro wert sein. Aus Sicht der Windkraftbranche wäre dies „ein kleinteiliges Geschäft für die Bank, das aufwändig abzuarbeiten wäre“.
Beteiligungsgesellschaften sind aus Sicht des LEE zwar grundsätzlich eine gute Idee – aber nur auf freiwilliger Basis. Ab einer bestimmten Anzahl von Gesellschaftern müssen Windparkprojekte nämlich einen Verkaufsprospekt erstellen, ein Vorgang, den die Branchenexperten als einen hoch komplexen Vorgang beschreiben. Laut Gesetzentwurf muss bei jedem Projekt zwangsläufig ein öffentlich bestellter Wirtschaftsprüfer als Gutachter eingebunden werden. Aus Sicht des LEE ist das allerdings unnötig. Fixbeträge je nach Windrad-Modell und Referenzzinssätze würden bei gleichem Ergebnis zu deutlich niedrigeren Kosten und viel weniger Aufwand führen.
Industrie muss doppelt zahlen: Für Industrieunternehmen werden sogenannte Power Purchase Agreements (PPA) immer wichtiger. Das bedeutet, dass Unternehmen ihren Öko-Strom direkt vom nahegelegenen Erzeuger kaufen, wobei es sich in der Regel um Windparks handelt. Auch diese Windparks müssten in Niedersachsen künftig die Akzeptanzabgabe von 0,2 Cent/kWh an die Kommunen zahlen. „Dadurch wird die dezentrale Energieversorgung konterkariert“, kritisiert Heidebroek. (cwl)
Dieser Artikel erschien am 28.9.2023 in Ausgabe #168.