22. Nov. 2023 · 
Umwelt

Industrie und Öko-Energiebranche fordern klare Ansagen an die Kommunen

„Das ist kein Schneckentempo mehr, aber vom Turbo sind wir noch weit entfernt“: Nach einem Jahr rot-grüner Landesregierung in Hannover fällt die Zwischenbilanz von Bärbel Heidebroek, Vorsitzende des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE), durchwachsen aus.

LEE-Vorsitzende Bärbel Heidebroek und UVN-Hauptgeschäftsführer Volker Müller ziehen eine Halbzeitbilanz für die Energiepolitik der Landesregierung. | Foto: Link

Zwar wurden in diesem Jahr bereits 102 Windräder mit einer Leistung von knapp 500 Megawatt neu gebaut. „So gut war Niedersachsen noch nie. Aber es ist nur ein Drittel von dem, was man wollte“, stellte Heidebroek am Mittwoch in Hannover fest. Beim Ausbau der Solarenergie gehe der Trend ebenfalls in die richtige Richtung. Da die installierte Leistung von derzeit sechs Megawatt bis 2035 auf 60 Megawatt gesteigert werden soll, sei man jedoch auch hier von den selbst gesetzten Zielen noch weit entfernt. „Der Wille, Erneuerbare Energien verstärkt auszubauen, ist da. Es tut sich auch einiges. Aber wir haben noch eine ganze Menge an Problemen, die nicht gelöst sind“, bestätigt Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN). Die größte Herausforderung sieht er in der Beseitigung von Engpässen im Stromnetz, die immer massivere Eingriffe der Netzbetreiber – wie etwa die Abriegelung von Windkraftanlagen – erforderlich machen.

Schuld ist die "Akzeptanzabgabe"

„Statt teurem Redispatch in Milliardenhöhe muss Deutschland ganz im Sinne des Kanzler-Zitats einfacher werden und diesen Strom nutzen statt abzuregeln“, fordert Müller. Helfen würde dabei die verstärkte Direktbelieferung der Industrie mit grünem Strom durch sogenannte „Power Purchase Agreements“ (PPA), die durch das neue niedersächsische Beteiligungsgesetz für Wind- und Solarenergie jedoch schlechter gestellt werden sollen als die Direkteinspeisung ins Netz. Schuld daran ist die geplante „Akzeptanzabgabe“ von 0,2 Cent pro Kilowattstunde. Dese soll auch bei einer Direktbelieferung der Industrie vor Ort anfallen, obwohl aus Sicht der LEE-Vorsitzenden die Stromversorgung der regionalen Wirtschaftskraft genügend Akzeptanz für Windräder oder PV-Anlagen schafft. 

„Die wechselnden Regierungen haben uns immer erzählt, wir müssen im Markt ankommen. Jetzt haben wir da ein zartes Pflänzchen, das aber mit Kosten belastet wird“, ärgert sich Heidebroek. Für Solarenergie-Projekte drängt sie ebenfalls auf eine Befreiung von der Akzeptanzabgabe, weil hier die Gewinnmarge deutlich niedriger sei als bei Windkraftanlagen. „Das könnte viele Projekte kaputt machen“, warnt die Windkraft-Unternehmerin aus dem Landkreis Helmstedt. Der UVN-Hauptgeschäftsführer appelliert an die Landespolitik, die Energiekosten zu senken und nicht weiter anzuheben. „Da, wo Energie verfügbar und bezahlbar ist, wird die Industrie sich die Standorte genau anschauen und über eine Ansiedlung nachdenken. Das ist die große Chance für Niedersachsen“, so Müller.

Christian Meyer spricht beim LEE-Branchentag in Hannover. | Foto: Link

Sehr deutlich fällt auch die Kritik an der Umsetzung von bundesgesetzlichen Regelungen in Niedersachsen aus. Laut der EU-Notfallverordnung erlischt zwar beim Bau eines Windenergieprojekts in einem Vorranggebiet die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Auf kommunaler Ebene werde dies von vielen Behörden – offenbar aus Unkenntnis – jedoch ignoriert, berichtet Heidebroek. „Wir merken, dass es da eine große Unsicherheit gibt“, sagt die LEE-Vorsitzende und fordert eine schriftliche Dienstanweisung aus Hannover: „Das Land muss seinen nachgeordneten Behörden ganz klar den Auftrag geben, das geltende Recht jetzt umzusetzen.“

Warum braucht ein Landkreis zehn Monate und ein anderer 30?

„Wir werden die EU-Notfallverordnung konsequent umsetzen“, versprach Umweltminister Christian Meyer in seiner Rede auf dem gestrigen LEE-Branchentag. Der Grünen-Politiker sieht jedoch auch das Problem, dass so manche Verwaltung in Niedersachsen nicht auf dem aktuellen Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung arbeitet. „Niedersachsen hat das Erneuerbaren-freundlichste Denkmalschutzgesetz. Das ist aber noch nicht bei jeder Behörde angekommen“, sagte Meyer. Bei den Landesbehörden will der Umweltminister darauf drängen, dass Projekte für die Bewältigung der Klimakrise vorrangig behandelt werden. Für die Kommunen bringt er die Einführung einer Berichtspflicht ins Spiel. „Wir wollen herausfinden, warum ein Landkreis für eine Genehmigung zehn Monaten benötigt und der andere 30 Monate braucht. Da wollen wir dann unterstützen und hilfreich zur Seite stehen“, so Meyer. Gegenüber den Vertretern der Ökoenergie-Branche kündigte er an, bei der Energiewende künftig noch mehr Tempo zu machen. „Die Zeit wartet nicht, die Klimakrise ist real. Wir haben das heißeste Jahr, mit den höchsten Temperaturen. Jedes Windrad führt dazu, dass wir unsere Deiche einen Millimeter weniger anheben müssen“, sagte Meyer und gab für die Behörden in Niedersachsen folgendes Ziel aus: „Ein Windrad muss in durchschnittlich einem Jahr genehmigt werden, nicht in 22 Monaten wie es derzeit der Fall ist.“

Dieser Artikel erschien am 23.11.2023 in Ausgabe #204.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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