Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) hat am 1. Januar den Vorsitz der Justizministerkonferenz übernommen und verbindet mit diesem Amt große Ziele. In der Runde der Justizminister der Länder sowie des Bundes will Wahlmann das Strafrecht einer Generalüberholung unterziehen und dabei „Unwuchten beim Strafrahmen“, die sich im Laufe der Zeit entwickelt hätten, wieder ausgleichen. Als Beispiel nannte sie, dass Totschlag mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren sanktioniert werde, der bewaffnete Handel mit Betäubungsmitteln aber auch.

Kathrin Wahlmann | Foto: MJ

„Das ist absolut unverhältnismäßig“, erklärte die ehemalige Richterin am Montagabend im Gespräch mit Journalisten in Hannover. Dabei wolle sie nicht pauschal davon sprechen, dass die Strafen in Deutschland zu streng oder zu lax seien. Das eine Strafmaß sei zu hoch, das andere zu niedrig, sagte Wahlmann. Dadurch stimme das Strafmaß zwar im Mittel, im Einzelfall löse es aber mitunter Unverständnis aus. Einen konkreten Plan, an welcher Stelle das Strafmaß gesenkt und wo es angehoben werden soll, hat die Justizministerin noch nicht parat. Exemplarisch führte sie jedoch aus, dass ihrer Auffassung nach Körperverletzung und Straftaten gegen die körperliche Selbstbestimmung unterbewertet seien, Drogen- und Vermögensdelikte hingegen überbewertet.

Bewältigt werden soll diese Mammutaufgabe in einem längerfristigen Verfahren. „Wir müssen da mit ganz vielen Leuten mit Sachverstand im Ganzen drüber schauen und einen Ausgleich schaffen.“ Wahlmann möchte die Öffentlichkeit, die ihr der Vorsitz in diesem Jahr bietet, dazu nutzen, dieses Anliegen zunächst einmal anzustoßen. Die Justizminister werden sich ein erstes Mal am 5. und 6. Juni in Hannover-Herrenhausen treffen, ein zweites Mal dann am 28. November in Niedersachsens Landesvertretung in Berlin. Das Gremium hat keine Entscheidungskompetenz, sondern formuliert Empfehlungen an die Bundesregierung.

Im Herbst 2023 hat die Justizministerkonferenz in Berlin getagt. 2024 hat Niedersachsen den Vorsitz. | Foto: www.jens-jeske.de

Dabei gilt kein Einstimmigkeitsprinzip, was angesichts der parteipolitischen Vielfalt innerhalb der Runde sinnvoll erscheint: Derzeit gehören vier Justizminister den Grünen an und drei der SPD, ein Linker ist dabei sowie ein FDP-Politiker. Insgesamt sechs Justizminister fahren auf dem Ticket der Unionsparteien. Einen Beleg dafür, dass die Beschlüsse der „Jumiko“, wie die Konferenz im Politikslang genannt wird, auch konkrete Auswirkungen haben kann, sieht Wahlmann etwa in der Initiative der Bundesregierung zur „Mitmutterschaft“, die Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kürzlich vorgelegt hat. Dieses Anliegen gehe auf eine Jumiko-Initiative Niedersachsens zurück.

Kinderpornografie: Wahlmann setzt sich außerdem dafür ein, dass die Weitergabe von Verdachtsfällen im Bereich der Kinderpornografie nicht bereits als solche geahndet wird. Konkret geht es um solche Fälle, in denen beispielsweise in Chatgruppen von Schulklassen kinderpornografisches Material kursiert und Eltern oder Lehrer dieses weiterleiten, um auf den Fall hinzuweisen. Dies soll vom „Verbrechen“ zum „Vergehen“ heruntergestuft werden. An dieses Thema habe man sich lange nicht herangetraut, weil dadurch leicht ein falscher Eindruck entstehen könnte, erläuterte die Strafrechtlerin Wahlmann und stellte klar: „Ich will Kinderpornografie auf jeden Fall bestrafen – aber die Fälle, in denen nur gewarnt werden soll, nicht.“ Buschmann hat dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt.

Catcalling: Die Ministerin wirbt dafür, das sogenannte „Catcalling“ strafbar zu machen. Dabei handelt es sich um Fälle, die beim Hinterherpfeifen beginnen und bis zu verbaler sexueller Belästigung führen können. Niedersachsens Justizministerin möchte dazu eine Initiative der SPD-Bundestagsfraktion wieder aufgreifen, die in den Ampel-Verhandlungen festzustecken scheint. Anlass war ein Fall aus dem Jahr 2017, bei dem ein 65-jähriger Mann eine Elfjährige aufgefordert haben soll, ihm zu folgen, damit er ihr in den Schritt fassen könne – allerdings mit anderen Worten. Der Bundesgerichtshof hatte damals geurteilt, dass dies nicht strafbar sei. „Das geht nicht, es ist so erniedrigend. Das ist eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss“, kommentiert Wahlmann.

Asylverfahren: Niedersachsens Justizministerium strebt eine Beschleunigung von Asylverfahren an. Analog zum Vorgehen in Rheinland-Pfalz sollen dazu bestimmte Fälle ähnlichen Typs künftig an einem Gericht gebündelt behandelt werden. Wahlmann nannte beispielhaft Asylverfahren mit Bezug zu Kolumbien. Durch eine Konzentration auf die Bedingungen in einem bestimmten Herkunftsland sollen die Gerichte die entsprechende Expertise aufbauen und zügiger entscheiden können. Zudem bereite die Landesregierung eine Bundesratsinitiative vor, um die Verwaltungsgerichtsordnung zu ändern. Künftig solle es den Gerichten erleichtert werden, Leitentscheidungen herbeizuführen, um die Verfahrensdauer bei späteren ähnlich gelagerten Fällen zu verkürzen. Am Oberverwaltungsgericht sollen außerdem Einzelrichter Anträge bearbeiten können, die aktuell noch einen gesamten Senat beschäftigen.