20. Nov. 2023 · Inneres

Rauschgiftdelikte vorn: Wo die Organisierte Kriminalität in Niedersachsen auffällig ist

Innenministerin Daniela Behrens und Justizministerin Kathrin Wahlmann haben am Montag das aktuelle Lagebild der „Organisierten Kriminalität“ (OK) in Niedersachsen vorgestellt – mit Bezug auf die Zahlen zum Jahr 2022. Drogenhandel, Menschenhandel und Waffenhandel prägen diese Formen der kriminellen Organisationen, die über ausgeprägte Netzwerke verfügen und auf effektives Vorgehen angelegt sind.

Kathrin Wahlmann (Mitte, links) und Daniela Behrens (Mitte, rechts) stellen das Lagebild „Organisierte Kriminalität“ vor. | Foto: Wallbaum

Von der „OK“ ist die sogenannte „Clan-Kriminalität“ zu unterscheiden, die vor allem auf familiären Strukturen beruht und sich häufig auch offen gegen die staatlichen Organe wendet. Bei der „OK“ sei alles darauf ausgerichtet, die Aktivitäten zu verschleiern und möglichst nicht aufzufallen. Daher sei auch eine wirksame Überwachung der Tätergruppen notwendig, betonten die beiden Ministerinnen. Behrens sagte, die Vorratsdatenspeicherung bei der Erforschung von Handy- und Computer-Kontakten sei auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Anliegen – „sowohl der Bundesgerichtshof wie der Europäische Gerichtshof zeigen Möglichkeiten auf, wie die Speicherung rechtskonform laufen kann“.

Quelle: MI

Allerdings stehen in der Bundesregierung das Innen- und das Justizministerium gegeneinander, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) befürwortet anstelle der Speicherung das Quick-Freeze-Verfahren, also eine eilige Sicherung nur bei einem Verdachtsfall. „Dazu müsste die Polizei aber hellseherisch vorgehen“, sagt Behrens und hält diesen Weg nicht für richtig. Wahlmann meint hingegen, das Quick-Freeze-Verfahren sei schnell umsetzbar. „Vielleicht sollten wir das erst einmal einführen und dann im nächsten Schritt überlegen, wie man eine verfassungskonforme Vorratsdatenspeicherung hinbekommt.“

Die Polizei hat 2022 in Niedersachsen 68 Ermittlungsverfahren wegen „OK“ geführt, hinzu kommen zwölf vom Zoll und fünf von der Bundespolizei, die Bezug zu Niedersachsen haben. 47 dieser 68 Verfahren drehen sich um Rauschgifthandel oder -schmuggel. Im Jahr zuvor hatte es allein beim Land 78 Verfahren gegeben, also zehn mehr. Bei den Nationalitäten der insgesamt 684 Tatverdächtigen des Jahres 2022 fällt auf, dass 47 Prozent eine deutsche Staatsbürgerschaft haben, elf Prozent eine türkische, je sechs Prozent eine russische und albanische, fünf Prozent eine polnische und drei Prozent eine syrische. Speziell nach Migrationshintergrund wurde nicht gefragt.

Quelle: MI

Nach den Worten von Landespolizeipräsident Axel Brockmann und Thomas Hackner vom Justizministerium spielt die „kryptierte Kommunikation“, also die Verschlüsselung, eine außergewöhnlich große Rolle. Wie Wahlmann erklärt, sollen die Staatsanwaltschaften verstärkt werden, unter anderem auch mit weiteren IT-Spezialisten, die in Verden und Osnabrück tätig werden und die Staatsanwälte von technischen Aufgaben entlasten sollen. Vor zweieinhalb Jahren gelang es den Ermittlern, verschlüsselte Gespräche der Messenger-Dienste EncroChat, SkyECC und Anom zu knacken. Das brachte Ermittlungsverfahren in Schwung, wobei laut Hackner noch unsicher ist, ob die Erkenntnisse vor Gericht verwendet werden dürfen. Mehrere Verfassungsbeschwerden seien dazu noch anhängig.

Mit Blick auf den enormen Anteil von Rauschgiftdelikten bei der „OK“ sind die beiden Ministerinnen mit der Frage konfrontiert worden, ob nicht die auf Bundesebene geplante Legalisierung von Rauschgift, zumindest bei Cannabis, einen Einfluss auf den illegalen Handel haben könnte. Man könnte ja hoffen, bei Wegfall der Strafbarkeit von Drogenbesitz auch die Illegalität auszudünnen. Behrens und Wahlmann widersprachen. „Ich erwarte nicht, dass wir mit der Ausweitung der Legalisierung weniger Probleme mit der Rauschgiftkriminalität haben werden“, sagte die Innenministerin.

Die Justizministerin ergänzte, sie teile nicht die Illusion mancher, dass der Cannabis-Konsum gerade für Kinder und Jugendliche ungefährlich sein könne. Debattiert werde daher auf Bundesebene auch über mehr Schutzvorkehrungen. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung sei noch in der Diskussion bezüglich von Detailregeln, die eine Verbesserung der Strafverfolgung beim Handel mit größeren Rauschgiftmengen zum Ziel haben. Hierzu lägen bisher aber noch keine Ergebnisse vor. Auch Wahlmann ist wie Behrens der Meinung, dass die Schritte zur Cannabis-Freigabe vermutlich keinen dämpfenden Effekt auf die Rauschgiftkriminalität haben werden.


Dieser Artikel erschien am 21.11.2023 in Ausgabe #202.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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