(rb) Das Gesundheitswesen hält für Patient/ innen und Ärzteschaft wieder einmal ein Bürokratiemonster parat, das die erhoffte Wirkung kaum entfalten dürfte. So wenig wie die mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbundene – inzwischen längst wieder abgeschaffte – Praxisgebühr die Patientenströme nachhaltig steuern konnte, wird das „Versorgungsstärkungsgesetz“ dafür sorgen können, dass Patient/innen schneller an einen Termin beim Facharzt kommen. Zumindest hat das neue Verfahren mit freier Arztwahl nichts mehr zu tun, denn die „TerminServiceStelle“ (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), die am 25. Januar an den Start geht, kann dreierlei nicht: Sie kann keine Wunsch-Termine beim jeweiligen Wunsch-Arzt in der gewünschten Region vermitteln. Wenn die Dinge so funktionieren, wie sie die KVN vorbereitet hat, kann die gesetzliche Vorgabe, innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin zu vermitteln, in der Regel aber wohl erfüllt werden.
Das Verfahren sieht vor, dass Patienten, die nicht monatelang auf einen Facharzttermin warten wollen, sich bei ihrem Hausarzt eine Überweisung holen, die mit einem speziellen Zahlencode versehen ist, der zur Terminbuchung berechtigt. Damit wendet man sich entweder telefonisch (0511-56999793) oder ab April auch online (www.meinfacharzttermin.de) an die TSS, die dafür sorgt, dass innerhalb einer Woche ein Facharzttermin vereinbart wird, der binnen vier Wochen auch stattfindet. Ohne Überweisung geht es nur zum Augen- und zum Frauenarzt. Ausgenommen von der Vermittlung per TSS sind Termine bei Zahnärzten und Kieferorthopäden, bei Psychotherapeuten sowie Haus- und Jugendärzten. In Kauf genommen werden muss dabei allerdings, dass eine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einer halben Stunde, bei speziellen Fachärzten wie Radiologen auch von einer Stunde zumutbar ist.
Die KVN begleitet die Neuregelung insgesamt sehr kritisch („Wir haben das nicht bestellt“). Als zentralen Konstruktionsfehler betrachtet der KVN-Vorstandsvorsitzende Mark Barjenbruch, dass der Gesetzgeber eine medizinische Dringlichkeit für einen kurzfristigen Arzttermin gar nicht berücksichtigt hat. Zwar wurden von der Vermittlung Früherkennungs- und Routineuntersuchungen sowie Bagatellerkrankungen ausgenommen, soweit den Patient/ innen eine längere Wartezeit zuzumuten ist, ohne dass sich dadurch ihr Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert. Barjenbruch hält das gesamte Verfahren für völlig überflüssig und spricht von „reiner Symbolpolitik“. Sein Vorstandskollege, der Hausarzt Dr. Jörg Berling, verweist auf die gute bisherige Praxis, nach der bei wirklich dringend notwendigen Facharztuntersuchungen die erforderlichen Termine mit Hilfe des jeweiligen Hausarztes problemlos auch kurzfristig, zur Not noch am selben Tag, zu bekommen sind. An diesem Vorgehen werde die Mehrzahl der Hausärzte auch weiter festhalten. Die KVN empfiehlt den Versicherten ohnehin, sich nicht gleich an die TSS zu wenden, sondern sich erst einmal selbst um einen Termin bei dem Facharzt ihrer Wahl zu bemühen. Am Ende sei die zentrale Frage zu beantworten, wie vielen Versicherten es wirklich egal ist, zu welchem Arzt sie gehen.
Das Gesetz verpflichtet jeden der 6000 niedersächsischen Fachärzte, pro Quartal 26 freie Termine an die TSS zu melden. Die Behandlung dieser Patient/innen gehen nicht zu Lasten des ärztlichen Budgets, aber zu Lasten der Gesamtheit der Ärzte. Dafür müssten nach ersten Berechnungen der KVN rund 1,5 Millionen Euro pro Quartal umgeschichtet werden. Sie geht bei rund 14,5 Millionen Behandlungsfällen im Quartal in Niedersachsen von knapp fünf Millionen relevanten Überweisungsfällen aus. Vermutet wird eine Quote von drei Prozent, die den Terminservice in Anspruch nehmen werden. Bei einer Spanne von 500 bis 3000 Anrufen pro Tag sollen zwischen fünf und bis zu 40 Mitarbeiter/innen in der TSS erreichbar sein. Die KVN geht zunächst von Kosten für diese Einrichtung in Höhe von jährlich einer Million Euro aus. azDieser Artikel erschien in Ausgabe #10.