Zu wenig Kinderschutz? Kritik an fehlender Kontrolle der kommerziellen Anbieter
Kinderschutz in Niedersachsen benötigt vor allem eines: Eine bessere Finanzierung. Darin waren sich die zahlreichen Experten einig, die zu einer Anhörung in den Sozialausschuss des Landtages geladen waren. „Wenn Sie in dem Bereich etwas erreichen wollen, ist es immer eine Ressourcenfrage“, brachte es Frederick Groeger-Roth vom Landespräventionsrat auf den Punkt. Seit einiger Zeit arbeitet ein Interministerieller Arbeitskreis (IMAK) an einem Entwurf für ein Kinderschutzgesetz und einer nicht-gesetzlichen Strategie. Der Kinderschutzbund und andere Verbände kritisieren, dass ihre Expertise hier nicht einbezogen werde (das Politikjournal Rundblick berichtete). Jetzt haben die Landtagsfraktionen sowohl von Rot-Grün als auch der CDU jeweils einen Entschließungsantrag zum Kinderschutz eingebracht. Die Verbände befürchten, dass demnächst ein Gesetz auf sie zukommt, das ihnen strenge Pflichten auferlegt, aber nicht die nötigen Ressourcen bereitstellt, um diese Pflichten zu erfüllen.

„Wir unterstützen den Ansatz von Rot-Grün, nur Träger zu fördern, die ein Schutzkonzept erstellt haben“, sagte Nils Lüking vom Landesjugendring. Jedoch seien ehrenamtliche Gruppenleiter im Jugendalter nicht ohne Hilfe in der Lage, ein solches Schutzkonzept zu erstellen. In Hannover, berichtete Lüking, warte eine Jugendgruppe derzeit ein halbes Jahr auf einen Beratungstermin bei einer Fachstelle. Dann dauere es mindestens ein bis zwei Jahre, bis das Schutzkonzept erstellt und abgestimmt sei. „Ein institutionelles Schutzkonzept ist der Goldstandard“, pflichtete ihm Julius Peschel von der Sportjugend bei. Wenn Vereine sich fragen, ob das nicht zu aufwändig sei, dann rate der Landessportbund ihnen, sich diese Mühe zu machen. Der Dachverband hat außerdem in Eigeninitiative eine „Clearingstelle“ eingerichtet: eine Art Hotline, an die sich Betroffene oder andere Vereinsmitglieder wenden können, die einen Missbrauchsfall vermuten. Zusätzlich gibt es ein Netzwerk von 31 Ansprechpartnern im Land, so dass im Bedarfsfall immer ein Experte der Clearingstelle im Tandem mit einem geschulten Freiwilligen vor Ort helfen kann. 2024, berichtete Peschel im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick, gab es 40 Beratungsfälle. Allerdings ist die Hotline nur an zwei Tagen pro Woche besetzt. Wenn ein Fall zum Beispiel am Wochenende auftaucht, ist nicht sofort Hilfe zur Stelle. „Wir sind bereit, uns von der Clearingstelle zu trennen“, sagte Marco Lutz vom Landessportbund. Er würde es sogar begrüßen, wenn das Land das Angebot weiterführen würde, weil dann eine Unabhängigkeit von Vereinsinteressen gewährleistet sei. In den Kirchen, ergänzte Lüking, werden angesichts des gesellschaftlichen Drucks jetzt schon „enorme Ressourcen“ in den Kinderschutz investiert. Dies sei aber nicht übertragbar auf kleine Vereine, die solche Ressourcen nicht haben.
Die Experten empfahlen der Politik, den Blick auch auf kommerzielle Anbieter zu richten: etwa Veranstalter von Ferienfreizeiten, Fahrschulen, Nachhilfe-Institute, private Musikschulen und Agenturen, die Babysitter vermitteln. Lüking wies auf eine Recherche des NDR hin, nach der von Teamern bei Ferienfreizeiten selten ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt worden sei. Auch Schulungen habe es kaum gegeben. Neben Schutzkonzept- und Führungszeugnis-Pflicht für kommerzielle Anbieter sei es nötig, unabhängige Ansprechpartner zu benennen, an die sich Jugendliche nach einem negativen Erlebnis in der Fahrstunde oder beim Musikunterricht wenden können. Kommerzielle Anbieter, darauf wies Frederick Groeger-Roth hin, werden auch für Präventionskurse gebucht, etwa Kampfsport- oder Selbstverteidigungslehrer. „Hier fehlt eine Überprüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen“, kritisierte der Experte. Anbieter von pädagogisch fundierten Präventionskursen hingegen hätten es schwer. In vielen Kommunen, berichtete Antje Möllmann vom Kinderschutzbund, sei Prävention die „Kür“, für die immer weniger Mittel übrig seien. Der Verein „Sichtbar“ bekommt vom Land eine Vollzeitstelle für Präventionskurse in der Stadt Braunschweig finanziert. Um die Nachfrage zu bedienen, seien mindestens vier Stellen nötig, schätzt Ann-Kristin Hartz. Dass die Prävention wirke, merkt die Psychologin daran, dass häufig nach einem Kurs konkrete Fälle aus der Einrichtung an sie herangetragen werden: „Die Not der Kinder wird eher erkannt.“ Immer wieder tauchten drei Forderungen in den Stellungnahmen der Experten auf: Angebote barrierefrei zugänglich machen, Kinder und Jugendliche in die Beratungen einbeziehen und die Stimmen von Betroffenen anhören.
Dieser Artikel erschien am 11.02.2025 in der Ausgabe #027.
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