5. Nov. 2021 · 
Gesundheit

Sozialausschuss: Zahlen die Kassen für Covid-Rehabilitation?

Zwei wichtige Fragen sind ungeklärt, es liegen bisher nur Schätzungen vor. Mediziner und Kassenexperten gehen davon aus, dass derzeit bundesweit zwischen 400.000 und 500.000 Menschen unter Symptomen leiden, die als „Long Covid“ oder „Post-Covid“ beschrieben werden – also Nachwirkungen einer Covid-19-Erkrankung sind. Was aber damit genau gemeint ist und wie diese Erkrankung beschrieben werden kann, bleibt in vielen Teilen auch noch rätselhaft.

Foto: Hispanolistic (Gettyimages)

Dies sind auch Gründe dafür, warum das Gesundheitssystem noch nicht auf diese Fälle eingestellt ist. Der Landtag hatte schon vor Monaten die Krankenkassen aufgefordert, mit den Reha-Kliniken Versorgungsverträge abzuschließen und damit für eine angemessene Behandlung die Grundlage zu schaffen – auch finanziell. In einer Anhörung des Sozialausschusses sagte jetzt Sabine Nowack-Schwonbeck von der AOK Niedersachsen: „Wir haben schon interdisziplinäre Netzwerke der Uni-Kliniken, das ist gut. Wir brauchen Forschungsgelder und Forschungen, wenn wir über die Anpassung oder Nachbesserung des Vergütungssystems reden wollen. Das kann dann aber auch in Monaten geschehen und muss sich nicht über Jahre hinziehen.“ Hanno Kummer vom Verband der Ersatzkassen (VdEK) erklärte, es seien „zusätzliche Erkenntnisse nötig“, wenn man Versorgungsverträge schließen will.

Bundesweit leiden rund 250.000 Menschen am Erschöpfungssyndrom ME/CFS

In der Anhörung hatten zunächst die Mediziner das Wort, mehrere von ihnen schilderten ihre Erlebnisse mit Long-Covid-Fällen. Prof. Christoph Gutenbrunner von der Medizinischen Hochschule Hannover berichtete von drei unterschiedlichen Gruppen. Es gebe Patienten, die nach einer schweren Lungenerkrankung dauerhafte Schädigungen der Lunge erlitten haben. Davon zu unterscheiden seien Patienten, die unter dauernder Schlaflosigkeit, Antriebsarmut, mentaler Müdigkeit und Gedächtnisverlusten leiden. Die dritte Gruppe seien Menschen, die schon eine Vorerkrankung hatten, die durch Covid-19 verstärkt wurde und heftige Schmerzen die Folge seien. Oft spielten auch psychosomatische Beschwerden eine Rolle, und nicht selten dauerten ambulante Therapien über mehrere Stunden.

"Rehasport ist eine gute Möglichkeit, um Long-Covid-Patienten wieder zurück ins Leben zu helfen."

Oberärztin Claudia Eller

Die Auswahl der richtigen Reha-Schritte stelle die Ärzte oft vor Probleme, und auch in der Ambulanz müsse der rehabilitative Teil hoch sein. Prof. Carmen Scheibenbogen von der Charité in Berlin berichtete vom Erschöpfungssyndrom ME/CFS, das vor allem junge Menschen und Frauen betreffe und an dem bundesweit 250.000 Menschen litten – diese Krankheit werde von starker Erschöpfung bei leichter Anstrengung begleitet. Sie meine, dass eine Folge von Long Covid die Zunahme dieser Erkrankungen sei. Lange sei ME/CFS auch von Ärzten unterschätzt und als „Burnout-Syndrom“ verniedlicht worden. Die Behandlung erfordere eine relativ teure Diagnostik und viele Spezial-Ambulanzen. Der Landtag will die Erforschung von ME/CFS demnächst intensivieren.

Reha-Schritte und fehlende Vorgaben stellen Ärzte oft vor Probleme

Die Chefärztin der Deister-Weser-Kliniken, Sigrid Krause, sprach von einer Umfrage bei den bundesweit 1500 Long-Covid-Patienten in den Krankenhäusern des MediCin-Konzerns. Zu Beginn der Rehabilitation hätten zwei Drittel von ihnen gemeint, dauerhaft nicht mehr arbeiten zu können – anschließend habe das nur noch auf ein Drittel zugetroffen. Ihr Kollege Bernd Mössinger beklagt, dass Regeln für die Anerkennung von Schwerbehinderung oder Erwerbsunfähigkeit als Folge einer nicht heilbaren Long-Covid-Erkrankung immer noch nicht vorhanden seien. Kornelia Winnicka von der Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (DRV) verwies auf Reha-Kliniken im Oberharz, in Bad Rothenfelde und in Bad Schwalbach (Hessen), sowie andere Vertragskliniken, die bereits Long-Covid-Patienten im Auftrag der niedersächsischen Rentenversicherungsträger behandelten. Da es noch keine Vorgaben gebe, hätten die DRV-Kliniken die Patienten zunächst in bestehende Konzepte eingebunden. Psychologische Beratung gehöre auf jeden Fall dazu.

Claudia Ellert aus Wetzlar, Ärztin und Sprecherin einer Initiative „Long-Covid“, nannte als aktuelle Probleme die langen Wartezeiten auf einen Reha-Platz, die oft mit der Diagnose überforderten ersten ärztlichen Anlaufstellen und auch mögliche falsche Therapien. Viele Betroffene würden sich gar nicht krank melden. Aber wenn sie nicht auf die Erkrankung reagierten und beispielsweise betriebliche Ruhepausen missachteten, drohe bei ihnen die Krankheit chronisch zu werden. „Davor müssen wir uns schützen“, sagte Ellert.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #198.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Arbeitgeberforum 2025 im Schloss Herrenhausen
Künstliche Intelligenz als neuer Kollege: Warum jeder Mitarbeiter jetzt führen lernen muss
15. Mai 2025 · Christian Wilhelm Link4min
Christian Dürr | Foto: FDP
Der Niedersachse Christian Dürr führt die Liberalen
19. Mai 2025 · Niklas Kleinwächter1min
Innenministerin Daniela Behrens und Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejrilstellen den Verfassungsschutzbericht für 2023 vor.  | Foto: Kleinwächter
Sind Klima-Aktivisten keine Verfassungsfeinde? Grüne preschen mit Reformvorschlag vor
18. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min