15. Mai 2025 · 
MeldungWirtschaft

Künstliche Intelligenz als neuer Kollege: Warum jeder Mitarbeiter jetzt führen lernen muss

Dominic von Proeck stellt seine digitalen Kollegen vor. | Foto: Axel Herzig

„Wir müssen alle anfangen, Führungskräfte zu werden – egal, wo wir im Unternehmen sitzen“: Für Dominic von Proeck ist das die zentrale Lehre aus dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine in der Arbeitswelt. Der KI-Vordenker und Mitgründer von „Leaders of AI“ berichtete beim Arbeitgeberforum von Niedersachsen-Metall in Hannover, dass in seinem Unternehmen inzwischen 32 digitale Kollegen aktiv sind: „Fred“ schreibt Vertriebsantworten, „Lea“ sichert internes Wissen, „Helga“ rekrutiert neue KI-Assistenten. „Leaders of AI“ unterstützt Unternehmen bei der praxisnahen Integration von KI in Kommunikation, Wissensmanagement und Kundenkontakt. „Sie müssen KI wie einen neuen Mitarbeiter verstehen: voller neuer Ideen – aber er kennt Ihr Unternehmen noch nicht besonders gut“, erklärte von Proeck den rund 400 Unternehmern und Managern im Schloss Herrenhausen.

Ein aktuelles Studienergebnis der Harvard Kennedy School, auf das er sich bezog, lautet: „Wer Menschen gut führt, führt KI gut.“ Und manchmal, so von Proeck augenzwinkernd, könnten sich Menschen von ihren digitalen Kollegen sogar etwas abschauen: „Die sind so nett, präzise und wertschätzend – da können wir uns alle eine Scheibe von abschneiden“, sagt er über den protokollierten Umgangston im KI-Team. Wie das in der Praxis aussieht, zeigte er am Beispiel seiner Öffentlichkeitsarbeit. „Relevante Inhalte und die spannenden Anekdoten kommen von mir, aber das Schreiben habe ich ausgelagert.“ Die Themen wählt weiterhin der Mensch – synthetische Testleser prüfen vorab die Texte, die Veröffentlichung verantwortet jedoch immer ein Mensch. „Nichts verlässt das Unternehmen, ohne dass wir genau drüber geschaut haben.“ Für von Proeck ist KI kein Selbstläufer, sondern ein lernender Kollege – der geführt, gefordert und verstanden werden muss.

Intensiv im Austausch: Volker Schmidt (Mitte) und Steffen Krach. | Foto: Axel Herzig

Hannovers Regionspräsident Steffen Krach sieht in der Künstlichen Intelligenz einen strategischen Hebel – insbesondere für die Modernisierung der Verwaltung. „Öffentliche Verwaltung ist nicht zwingend dafür bekannt, dass wir bei solchen Themen vorangehen“, räumte der SPD-Politiker ein. Ein Beispiel lieferte er gleich mit: Als er den KI-Einsatz in der Ausländerbehörde der Region Hannover anstoßen wollte, stapelten sich die Bedenken. „Ich habe Vermerke über Vermerke bekommen, warum das alles nicht geht.“ Das Problem sei nicht nur die Haltung, sondern auch die Struktur. „Der Föderalismus steht uns bei der Nutzung der KI ein Stückweit im Wege.“ So arbeite die Region mit völlig anderer Software als das Rathaus – obwohl es nur 300 Meter entfernt liege. Krach plädierte für mehr zentrale Verantwortung bei digitalen Infrastrukturen – als Angebot, nicht als Zwang. „Mit den Digitalisierungsprojekten sind wir teilweise überfordert. Und wenn es von der Bundesregierung da irgendwelche Angebote gibt, bin ich der Erste, der sagt: das geben wir ab.“

Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall, betonte, wie eng wirtschaftliche Belastungen, Personalknappheit und technologischer Wandel inzwischen zusammenhängen. „Die Personalkosten gehen durch die Decke und eine Ursache dafür ist der Krankenstand in den Unternehmen. Das ist längst zu einem Standortnachteil für Deutschland geworden.“ Verschärft werde die Lage durch den demografischen Wandel. „In den nächsten zehn Jahren wird das Erwerbspersonenpotenzial um 18 Millionen Personen abnehmen, es kommen nur elf Millionen Personen nach. Das werden Sie mit Zuwanderung allein nicht lösen.“ Besonders mit Blick auf das altersbedingte Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge seien Unternehmen gefordert, Wissen zu sichern und neue Mitarbeitende schneller und gezielter zu qualifizieren. Schmidt forderte: „Wir müssen uns dringend damit beschäftigen, welche Funktion KI übernehmen kann, um dem Fachkräftemangel in den Unternehmen entgegenzuwirken.“

Erfolgreich mit ihrem KI-Startup: Charlotte Rothert aus Osnabrück. | Foto: Axel Herzig

Charlotte Rothert, Gründerin des Osnabrücker Startups Doinstruct, hat ein KI-basiertes Schulungssystem entwickelt – für Zielgruppen, die im Arbeitsalltag oft übersehen werden. „20 Prozent der Mitarbeiter haben einen Desktop-Arbeitsplatz und das Privileg, eine E-Mail-Adresse zu haben. Wie wollen Sie den Rest erreichen?“ Ein weiteres Problem: Rund 40 Prozent der Belegschaft sind sprachlich nur schwer zu erreichen. Die Lösung: automatisch generierte Schulungsvideos, die direkt aus betrieblichen Daten entstehen und per QR-Code, SMS oder Push-Nachricht aufs Smartphone geschickt werden – verständlich, praxisnah und in 25 Sprachen. „Wir haben ein Netflix für Pflichttrainings gebaut.“ Die Ergebnisse: 52 Prozent geringere Schulungskosten, 60 Prozent bessere Verständnisrate, 60 Prozent weniger Arbeitsunfälle. „Wir schulen inzwischen sogar Ämter.“ In der Regel kommen die Kunden jedoch aus der Industrie oder dem technischen Dienstleistungsbereich. Doinstruct hat inzwischen rund 300 Kunden, schult bis zu 250.000 Mitarbeitende im Jahr und ist in acht Ländern aktiv. Der Erfolg sorgt nun auch für Bewegung beim Standort: „Wir gehen nach Berlin, weil man dort internationale Firmen aus dem Tech-Sektor besser bedient“, sagt Rothert. Parallel bereitet das Unternehmen den Markteintritt in den USA vor.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #091.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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