Der aktuelle Attentismus, also das abwartende Verhalten, könnte für die Wirtschaft in den kommenden Jahren noch zum Problem werden. Die Corona-Krise bringe „die Gefahr des Attentismus für die wirtschaftliche Entwicklung“ hervor, schreibt das Institut IW Consult, das für den Verband Niedersachsenmetall ein Regionalprofil für die Stadt Hildesheim erarbeitet hat.

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Die Daten wurden zusammen mit einer Niedersachsen-Befragung von Unternehmern von März bis Mai erhoben – also mitten in der Hochphase der Corona-Pandemie. Am Montagabend wurde die Studie der Öffentlichkeit vorgestellt. Für das derzeitige Abwarten der Unternehmen, wenn es um Investitionen geht, gibt es verständliche Gründe. Der Corona-Einbruch war hart, die derzeitige Lage ist durchwachsen, die Entwicklung in den kommenden Monaten eher unklar. In Hildesheim hat Corona vor allem das verarbeitende Gewerbe getroffen, hier gingen besonders viele Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit. Aber auch dem Handel und den Dienstleistungsbetrieben hat die Corona-Krise hart zugesetzt.


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Dennoch sprechen die Wirtschaftsexperten vom IW nur von einem „Wachstums-Dip“. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass bereits im Jahr 2022 das Vorkrisenniveau wieder überschritten wird“, schreiben sie in der Studie. Das bedeutet aber auch, dass die Wirtschaft in der derzeitigen Phase der Unsicherheit die Hände nicht in den Schoß legen darf. „Hildesheim muss heute die Weichen stellen, um sich in Zukunft noch stärker positionieren zu können“, schreiben die Wirtschaftsexperten vom IW und benennen drei Handlungsfelder, die ihrer Meinung nach jetzt angegangen werden müssen.

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Weiterbildung für die digitale Transformation

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssten gezielter und wirkungsvoller sowohl mit Weiterbildungsangeboten als auch mit beratenden Leistungen unterstützt werden. „Die Gefahr besteht sonst, mindestens ein Viertel der Unternehmen auf dem Pfad in die digitale Zukunft zu verlieren“, heißt es in der Studie.

Dabei gibt es für die Unternehmen gleich eine doppelte Herausforderung: Zum einen gibt es einen großen Weiterbildungsbedarf bei den Beschäftigten, zum anderen wird aber nach dem „Wachstums-Dip“ voraussichtlich sehr schnell wieder die Fachkräftelücke deutlich werden. Hildesheim sei zumindest mit dem Informatik-Schwerpunkt an der Universität vergleichsweise gut positioniert, stellten die Experten fest. Positiv ist, dass die breite Mehrheit der Unternehmer die Digitalisierung positiv sieht. Mehr als 82 Prozent der Unternehmen in Hildesheim verbinden mit den Digitalisierung eher Chancen.

Mehr Bildung und Forschung

Hildesheim habe bei der schulischen Bildung „aufgrund der bistümlichen Prägung“ eine sehr leistungsfähige Infrastruktur, dennoch würden nicht alle Schüler erreicht. Die Schulabbrecherquote liege bei 6,3 Prozent. Zu hoch, finden die Wirtschaftsexperten und plädieren für spezialisierte Aus- und Weiterbildungsprogramme. Derzeit sei die Zahl der  Weiterbildungsorganisationen in Hildesheim unterdurchschnittlich, dasselbe gelte bei den Forschungsinstituten.

Michael Hüther vom IW übergab in Hildesheim die Studie an Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann – Foto: 3QM

Mit einem Wert 29,0 je eine Million Einwohner liege die Region im Vergleich schlechter als der städtische Durchschnitt, heißt es. Zudem bestehe „keine optimale Synchronität zwischen dem Hochschulangebot und den Unternehmen“. Die Abwanderung von 25- bis 30-Jährigen sei überdurchschnittlich groß.

Nach Meinung des IW Consult könnte das auch mit der Wohnattraktivität zusammenhängen, die gestärkt werden sollte. Derzeit sei die infrastrukturelle Ausstattung im Bereich Digitales, Gesundheit, Nahversorgung und Nahverkehr im Vergleich zu städtischen Regionen unterdurchschnittlich.

Mehr Chancen für Start-ups

„Das Startup-Ökosystem in Niedersachsen ist unterentwickelt“, urteilen die Experten hart. Es werde vergleichsweise wenig gegründet, und die entstehenden Gründungen würden unterdurchschnittlich unterstützt. Dabei könnten gerade kleine und mittlere Unternehmen durch Kooperationen wichtige Impulse erhalten.

Hier sehen die Macher der Studie Chancen für die Stadt Hildesheim, schließlich bewerteten die Unternehmen den Standort überdurchschnittlich gut hinsichtlich des Startup-Umfelds und die Informatik-Studenten vor Ort böten Potenzial für digitale Gründungen. Die IW-Fachleute schlagen vor, dafür attraktive Räume in der Stadt zu bauen, Startups finanziell zu unterstützten und auch Universitätsausgründungen zu fördern.

Das alles mitten in der Krise? IW Consult erinnert auch daran, dass Hildesheim vor der Corona-Zeit zehn gute Jahre hinter sich hatte, in denen die Stadt vom Aufschwung in Deutschland profitiert habe. Die Kaufkraft je Einwohner seit 2010 um 21,5 Prozent gewachsen, die Beschäftigung um fast 14 Prozent. Insgesamt war das durchschnittliche Wachstum in ganz Niedersachsen zwar noch stärker, allerdings ging in Hildesheim die Arbeitslosigkeit stärker zurück.

Wie es in den nächsten zehn Jahren weitergeht, haben Unternehmen und die Stadt auch selbst in der Hand, die Studie weist dabei den Weg.

Martin Brüning