Jörg Mielke | Foto: Klaus Wallbaum

Ende Juni, kurz vor dem Start der Sommerpause, ging eine große Erleichterung durch die Staatskanzlei in Hannover: Die Staatsanwaltschaft Hannover stellte nach vierwöchiger Prüfung das Ermittlungsverfahren wegen Untreue ein – und damit schien sich nun der Untersuchungsausschuss zur Büroleiter-Affäre von Ministerpräsident Stephan Weil erledigt zu haben. Strafrechtlich sei nichts dran an den Vorwürfen, meinten die Ermittler. Ob alles rechtlich einwandfrei gelaufen war bei der Einstellung und Höherstufung von Aynur C., das wollte die Justizbehörde nicht bewerten. Nur für eine Anklage wäre der Vorsatz wohl „nicht nachweisbar gewesen“. Für Weil schien die Affäre damit überstanden zu sein.

Im Rechtsausschuss wurde über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft berichtet. | Foto: Wallbaum

Heute, sechs Wochen später, stellt sich dieser Fall ganz anders dar. An der Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft Hannover hier gearbeitet hat, gibt es mehrere Kritikpunkte. Es gab auch Beschwerden gegen die Verfahrenseinstellung, daher überprüft den Fall jetzt Generalstaatsanwältin Katrin Ballnus in Celle. Im Rechtsausschuss des Landtags berichteten am Mittwoch Ilva Gelmke, Leiterin des Referats Korruption im Justizministerium, und Abteilungsleiter Thomas Hackner über das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft – allerdings ohne selbst zuvor deren Akten gelesen zu haben. Die von der CDU verlangte Unterrichtung brachte Widersprüche zutage. Hackner meinte, die Staatsanwaltschaft habe in ihrem Vorgehen „einen großen Beurteilungsspielraum“. Das klang wie eine leichte Distanzierung.

Diese Merkwürdigkeiten gab es in dem Ermittlungsverfahren:

Keine Protokolle und Zeugenvernehmungen: Wie Gelmke berichtete, ist ihr nicht bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Zeugen vernommen oder die Protokolle des Untersuchungsausschusses eingesehen hätte. Dies wäre nach Ansicht der CDU-Politiker Carina Hermann und Jens Nacke aber nötig gewesen, um den Sachverhalt gründlich zu prüfen. Zwar habe die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass etwa bei der Zuordnung der hohen Erfahrungsstufe IV für C. die nötige genaue Prüfung in der Staatskanzlei wohl unterlassen worden war. „Aber eine ungenaue oder fehlerhafte Prüfung allein begründet noch keine Strafbarkeit“, hat die Staatsanwaltschaft laut Gelmke dazu vermerkt. Näher nachgegangen ist die Anklagebehörde dieser Teilfrage dann offenbar aber nicht.

Aussage zur Rechtmäßigkeit der Rückwirkung: C. war am 21. November 2023 mit der AT-Zulage bedacht worden – jedoch rückwirkend zum 1. August 2023. Das bedeutet zwischen August und November mindestens vier Monate lang eine Mehrzahlung von monatlich 1900 Euro, also insgesamt 8000 Euro. In einer internen Mail hatte Staatskanzleichef Jörg Mielke am 14. November 2023 gegenüber seinem Abteilungsleiter Kolja Baxmann behauptet, die Zustimmung des Finanzministeriums zur Rückwirkung – die laut Baxmann nötig war – liege vor. Nun berichtete Gelmke, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung über die Einstellung der Ermittlungen von der These ausgegangen sei, es habe diese Zustimmung des Finanzministeriums tatsächlich gegeben. Im Rechtsausschuss betont nun Nacke, diese Aussage sei falsch. Denn im Untersuchungsausschuss hätten mehrere Zeugen bestritten, jemals eine solche Zustimmung zur Rückwirkung erteilt zu haben: Finanz-Staatssekretärin Sabine Tegtmeyer-Dette am 2. Mai 2024, Referatsleiterin Corinna Kuhny am gleichen Tag, Finanzminister Gerald Heere am 30. Mai 2024. Vermutlich aber sind diese Aussagen von der Staatsanwaltschaft gar nicht gewürdigt worden, obwohl sie zentral für die Klärung der Frage sind, ob Mielke bewusst falsche Tatsachen behauptet haben könnte.

Generalstaatsanwältin Katrin Ballnus (zweite von rechts) hat nun über eine Beschwerde zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden. | Foto: Wallbaum

Die Vorschrift in der Aktenordnung: Ein Vorermittlungsverfahren wegen der Büroleiter-Affäre war schon im März gestartet worden, im Mai wurde daraus dann ein förmliches Ermittlungsverfahren – jedoch „gegen Unbekannt“. Als es Ende Juni eingestellt wurde, hatte es immer noch den Titel „gegen Unbekannt“. Aus dem Bericht von Gelmke geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft zunächst den objektiven Tatbestand der Untreue prüfte. Dann sei man aber zu dem Schluss gekommen, dass der subjektive Tatbestand (also die Frage, ob eine bestimmte Person vorsätzlich gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat) wohl nicht nachgewiesen werden könne. Folglich wurde daraufhin das Verfahren eingestellt. Hermann und Nacke erklärten, diese Vorgehensweise sei nicht nur merkwürdig, sondern rechtswidrig. In Paragraph 41 der „Aktenordnung“, eines Landesgesetzes für die Justiz, heißt es: Ein „gegen Unbekannt“ gerichtetes Verfahren muss einer konkreten Person zugeordnet werden, soweit ein Tatverdächtiger „namentlich bekannt oder anderweitig identifiziert ist“. Das zielt auf Mielke, der in den Vernehmungen des Untersuchungsausschusses eindeutig als treibende Kraft hinter C.s Aufwertung erkennbar wurde. Die Staatsanwaltschaft argumentiert offenbar, soweit man Gelmkes Bericht versteht, so: Ein objektiver Tatverdacht liegt nicht vor, da es kein bewusst pflichtwidriges Verhalten einzelner gibt, das man nachweisen könnte. Dabei wird Mielkes höchst fragwürdige Aussage zur Rückwirkung, die er in der Mail gegenüber Baxmann getätigt hat, vermutlich gar nicht oder nicht ausreichend bewertet. Hätte man diese Mail als wichtig eingestuft, so wäre wohl die Ausweitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Chef der Staatskanzlei eine laut Aktenordnung nötige Folge gewesen. Oder wollte man gerade das vermeiden, um die politischen Folgen in Grenzen zu halten? Abteilungsleiter Hackner kommentierte das Vorgehen im Rechtsausschuss mit den Worten: „Diese Entscheidung hätte die Staatsanwaltschaft auch anders treffen können.“

Die CDU will nun die Akten der Staatsanwaltschaft zu diesem Ermittlungsverfahren sehen – und sich selbst ein Bild über die Abläufe in der Anklagebehörde verschaffen. Rot-Grün sieht das als völlig übertrieben an. SPD-Justizsprecher Jan Schröder sagte: „Das Misstrauen der CDU-Fraktion gegen die eigene Justiz ist schon bemerkenswert. Die Staatsanwaltschaft ist nun wahrlich keine politische Behörde.“ Volker Bajus (Grüne) sagte: „Die Art und Weise, wie die CDU jetzt Zweifel an der Arbeit der Staatsanwaltschaft sät, zeugt von einem gestörten Verhältnis zum Rechtsstaat.“