Herlinde Koelbl ist bekannt für ihre großformatigen Bildbände, gerne mit Langzeitbetrachtungen von führenden Politikern der Bundesrepublik. Doch diesmal kommt es anders: Im kompakten Softcover betrachtet die Fotojournalistin den aktuell beliebtesten Politiker Deutschlands weniger durch die Linse. Vielmehr leuchtet sie den SPD-Mann in einer Reihe Interviews aus, die mal mehr, mal weniger tiefe Einblicke geben. „Boris Pistorius. Aufbruch. Im Gespräch mit Herlinde Koelbl“ heißt das 152-Seiten umfassende Interviewbuch. Anfang des Jahres, rechtzeitig zum Bundestagswahlkampf, ist es bei Knesebeck erschienen.

Was aber will es sein? In einer Sonderfolge vom Rundblick-Podcast „Niedersachsen im Blick“ diskutiere ich mit meinem Kollegen Tomas Lada über das kleine rote Büchlein, in dem Koelbl das Objekt ihrer Betrachtung vielleicht ein bisschen zu gut findet. Durch spannende Fotografien auf hochwertigem Papier besticht dieses Werk jedenfalls nicht, sind wir uns einig. Fotografisch wirklich spannend erscheinen vielleicht die Nahaufnahmen von Pistorius‘ Händen und seinem Gesicht – oder die Uhr, die bei den Gesprächen des Ministers anzeigt, dass die Zeit für Plaudereien knapp bemessen ist. Statt eines Coffeetable-Books, das einfach nur gut aussehen will, handelt es sich bei diesem Buch vielleicht eher um ein Manifest der Zeitenwende. Denn die Gespräche zur Politik des Verteidigungsministers nehmen viel Raum darin ein. Gerahmt werden die neun Interviews – acht mit Boris Pistorius, das neunte mit seiner Frau Julia – von Beiträgen der militär-historisch bewanderten Weltdeuter Herfried Münkler und Claudia Major. Beide erklären auf ihre Art, was sich sicherheitspolitisch gerade ändert unter der Ägide des aktuellen Verteidigungsministers.
Möchte man aber mehr über den Menschen Boris Pistorius erfahren, ist es wohl vor allem das erste Interview, das wirklich aufschlussreich ist. Unter der Überschrift „Frühe Prägungen“ erzählt Pistorius über seine Kindheit und wie seine Eltern ihn politisch beeinflusst haben. Das abschließende Interview mit seiner Ehepartnerin wirkt im Gegensatz zum Einstieg eher kühl-distanziert – was verständlich, aber schade ist. Zu empfehlen ist das Buch deshalb eher für Militär-Nerds, weniger aber für echte Politiknerds.