Wieder eine Trendwende mit der neuen Kommunalverfassung
Mit dem gestrigen Landtagsbeschluss ist die Kommunalverfassung, früher Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) genannt, erneut verändert worden: Bislang galt die noch in der schwarz-gelben Regierungszeit geprägte Vorschrift, wonach bei der wirtschaftlichen Betätigung die privaten Unternehmen den Vorrang hatten. Kommunen konnten nur dann Betriebe gründen, wenn der öffentliche Zweck „nicht ebenso gut oder wirtschaftlich durch einen privaten Dritten“ erfüllt werden kann. Das kam seinerzeit auf Wunsch vor allem der FDP ins Gesetz. Nun dreht sich der Wind. Die kommunalen Eigenbetriebe bekommen Vorrang, und wenn ein Unternehmer meint, er könne das besser oder wirtschaftlicher erledigen, müsste er dies beweisen – was in der Regel viel zu teuer und aufwendig für ihn wäre. Das heißt: Wenn es um kommunale Gartenbaubetriebe geht, Massagestudios und Saunen neben Hallenbädern, haben es die Kommunen künftig leichter. Sie müssen private Konkurrenz weniger fürchten als bisher.
Vor der Verabschiedung des Gesetzes betonten allerdings sowohl Bernd-Carsten Hiebing (CDU) als auch Jan-Christoph Oetjen (FDP), dass einige der neuen Regeln verfassungsrechtlich bedenklich seien. Oetjen meinte, lokale Betriebe könnten künftig ihr Recht nicht mehr einklagen, obwohl sie doch bisher schon gegenüber kommunalen Unternehmen, die keine Mehrwertsteuer und keine Branchentarife zahlen, benachteiligt seien. „Verfassungswidrig“ ist aus Sicht der Opposition noch eine andere neue Regel, nämlich die Möglichkeit für Kommunen, wirtschaftlich auch auf einem Gebiet außerhalb ihrer Gemeindegrenzen tätig werden zu können – beispielsweise durch Investitionen in Windkraftanlagen. Auch die Landtagsjuristen hatten hier im Landtags-Innenausschuss einige Bedenken angemeldet. Innenminister Boris Pistorius (SPD) verteidigte ebenso wie Bernd Lynack (SPD) und Belit Onay (Grüne) die geplante Reform: Auf dem Markt von Energieversorgung und Dienstleistung seien viele Veränderungen geschehen, betonte Pistorius. Damit die Kommunen hier mithalten könnten, müssten sie im Wettbewerb gestärkt werden.
Künftig wird mit der neuen Kommunalverfassung vorgeschrieben, dass jede Kommune mit mehr als 20.000 Einwohnern eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte (die wenigstens als Halbzeitkraft arbeitet) einstellen muss. Bisher galt die Verpflichtung nur für große selbstständige, kreisfreie Städte und Landkreise. Anstelle von bisher 50 wird es künftig 130 hauptamtliche Kräfte dieser Art landesweit geben. Der CDU-Politiker Hiebing beklagte, dass die Kommunen dafür nicht die volle nötige Kostenerstattung erhielten.
Außerdem werden die Hürden für Bürgerbegehren und -entscheide abgesenkt. Bisher mussten in der ersten Stufe mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten ein Anliegen unterstützen, künftig reichen 7,5 Prozent (bei Kommunen zwischen 100.000 und 200.000 Einwohnern) und fünf Prozent (bei Kommunen mit mehr als 200.000 Einwohnern). Damit ein solcher Bürgerantrag Erfolg hat, reichen künftig die Ja-Stimmen von 20 Prozent der Wahlberechtigten (bisher 25 Prozent). Einen Kostendeckungsvorschlag müssen die Initiatoren eines solchen Vorstoßes künftig nicht mehr unterbreiten. Lob für die geringeren Hürden für die direkte Demokratie kam von SPD, Grünen und FDP. Hiebing von der CDU sagte, das schwäche die ehrenamtliche Ratsmitglieder und sei deshalb falsch. Die neue Kommunalverfassung soll nun schon in wenigen Tagen, am 1. November, zum Start der neuen Amtsperiode der Räte und Kreistage in Kraft treten. Deshalb musste Landtagspräsident Bernd Busemann die Vorlage nur wenige Minuten nach dem Beschluss im Landtag abzeichnen.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #194.