Wie queere Menschen in Hannover von Hass und Diskriminierung betroffen sind
Als es im vergangenen Jahr rund um den Christopher Street Day (CSD) in Hannover und später auch in anderen Städten zu Attacken auf queere Menschen kam, hatte man dieses Problem im Landeskriminalamt längst auf dem Zettel. Zumindest in der Forschungsabteilung der Polizeibehörde beschäftigte man sich zu diesem Zeitpunkt bereits intensiv mit einem Phänomen, das allgemein als „Hasskriminalität“ und von Fachleuten als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet wird. Gemeint sind damit nicht ausschließlich queere Menschen, sondern all jene, die aufgrund bestimmter identitätsstiftender und in der Regel unveränderbarer Merkmale drangsaliert wurden. Diese sogenannte „Vorurteilskriminalität“ hat aus Sicht der Polizeibehörde besonders schwerwiegende Folgen, weil sie unberechenbar und willkürlich auftritt und sich mittelfristig auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge auswirken kann. Schon 2021 hat das Team rund um Alexander Gluba aus dem „Dezernat Forschung, Prävention, Jugend“ damit begonnen, eine größere Studie zu diesem Themenkomplex zu konzipieren. Befragt wurden per Online-Fragebogen insgesamt 7411 Hannoveraner, wobei man zunächst 50.000 Bewohner der Stadt zufällig ausgewählt und per Post angeschrieben und anschließend die interessierten Sondergruppen gesondert zur Teilnahme aufgefordert hat. „Oversampling“ nennen das die Wissenschaftler und verweisen darauf, dass die Ergebnisse deshalb nicht repräsentativ seien, aber einen Vergleich zwischen Betroffenengruppen ermöglichten.

Vor ein paar Monaten veröffentlichten die Wissenschaftler schließlich das mehr als 100-Seiten-starke Werk unter dem Titel „Hass in der Stadt“ (hier herunterladen), das in Kooperation mit der Polizeiakademie Niedersachsen und parallel dazu auch von den Kollegen in Hamburg erarbeitet worden ist. Die öffentliche Resonanz blieb allerdings gering, wie Gluba am vergangenen Dienstagabend einräumte. Auch deshalb veranstaltet das LKA nun eine Vortragsreihe, in der einzelne Aspekte der Studienergebnisse mit den betroffenen Personengruppen diskutiert werden sollen. Den Anfang machten in dieser Woche die queeren Menschen, die in besonderem Maße über Diskriminierung geklagt haben. Es folgen im November migrantische Gruppen, im Dezember die Amts- und Mandatsträger der Region und im Januar die jüdische Community.
Insgesamt hat die Befragung eine überdurchschnittliche Betroffenheit von queeren Menschen zu Tage gefördert. „Von allen untersuchten Gruppen berichten Menschen mit einer queeren Geschlechtsidentität am häufigsten von vorurteilsmotivierten Taten und Diskriminierungen“, fasst Studienleiter Lukas Boll die Ergebnisse zusammen. Mehr als drei Viertel der Befragten mit queerer Geschlechtsidentität gaben an, in ihrem Leben bereits einmal diskriminiert worden zu sein, bei den nicht-heterosexuellen Menschen waren es fast 56 Prozent. Fast 84 Prozent der Befragten mit queerer Geschlechtsidentität haben zudem konkret angegeben, bereits einmal aufgrund dieses konkreten Merkmals benachteiligt, beleidigt oder drangsaliert worden zu sein. Bei jenen, die sich als „nicht-heterosexuell“ einordneten, waren es 74 Prozent. Genau zwischen diesen beiden Werten liegen die Quoten der jüdischen (80 Prozent) und der muslimischen (76 Prozent) Menschen. Besonders selten fühlten sich Menschen mit einer politisch rechten Gesinnung aufgrund ebenjener Gesinnung (42 Prozent) sowie alte Menschen über 80 Jahre aufgrund ihres Alters (21 Prozent) schlecht behandelt. Laut Angaben der Betroffenen wurden die queeren Menschen überdurchschnittlich häufig wegen ihrer sexuellen Orientierung (60 Prozent), ihrer Kleidung (32 Prozent), ihrer politischen Einstellung sowie ihrer geschlechtlichen Identität (beides je 20 Prozent) vorurteilsbehaftet angegriffen.
„Von allen untersuchten Gruppen berichten queere Menschen mit einer queeren Geschlechtsidentität am häufigsten von vorurteilsmotivierten Taten und Diskriminierungen.“
Im Vergleich zur gesamten Stichprobe haben sich die befragten queeren Menschen überproportional häufig beim Sport und im Gesundheitswesen schon einmal diskriminiert gefühlt. Insgesamt kaum es zu derartigen Situationen aber am häufigsten im schulischen oder universitären Kontext – was in der Erhebung nicht weiter unterschieden wird – gefolgt von Clubs und Bars und dem öffentlichen Personenverkehr. Nach dem Ort der Tat gefragt, gaben besonders viele betroffene queere Menschen an, in einer Bildungseinrichtung diskriminiert worden zu sein. Weil dabei auf das gesamte Leben der Befragten zurückgeblickt wird, kann angenommen werden, dass damit in vielen Fällen die Schule gemeint war. Aber auch öffentliche Verkehrsmittel, der Arbeitsplatz, die eigene Nachbarschaft, das Internet und sogar das eigene Zuhause werden als Tatorte benannt. Die Täter ordneten die Befragten vor allem dem Schul- und Hochschulkontext zu – was die These vom Mobbing während der Schulzeit stärken könnte. Häufig kamen die Täter aber auch aus dem Bekanntenkreis. Im Vergleich zur Gesamtstichprobe sortieren die queeren Menschen ihre Täter häufiger extremistischen religiösen oder rechtsextremen Gruppierungen zu. Seltener als in der Gesamtstichprobe zählen sie die Täter zum eigenen Kollegium. Das Umfeld habe meist wenig hilfreich reagiert: Über 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Dritte einfach weggesehen hätten – da weicht die Gesamtstichprobe allerdings kaum von ab. Fast nie wird die Polizei oder andere Hilfe geholt.
All diese Erfahrungen haben negative Auswirkungen auf das Verhalten der Betroffenen: Wer von vorurteilsmotivierter Kriminalität betroffen war, erwartet häufiger, wieder ähnliche Erfahrungen machen zu müssen. Das sogenannte raumbezogene Unsicherheitsgefühl wird größer, wie die Studie des Landeskriminalamtes noch einmal bestätigt. Auch sinkt das Vertrauen in die Institutionen: Laut LKA-Studie vertrauen die befragten queeren Menschen Polizei, Gerichten, der Bundesregierung, der Stadtverwaltung Hannover und den Medien deutlich weniger als es die gesamte Stichprobe tut. Aus den schlechten Erfahrungen folgt zudem eine Vermeidungsstrategie: Mehr als fünfzehn Prozent derjenigen, die schon einmal eine vorurteilsmotivierte Diskriminierungserfahrung gemacht haben, spielen mehr oder weniger konkret mit dem Gedanken, ihren Wohnort zu wechseln, weil sie sich nicht sicher fühlen. Bei den Nichtbetroffenen liegt dieser Wert bei zwei Prozent. Zu den Vermeidungsstrategien gehört es zudem auch, die eigene Identität an bestimmten Orten oder in bestimmten Situationen zu verschleiern oder bewusst nicht zu thematisieren. Queere Menschen gaben überdurchschnittlich häufig an, dies im religiösen oder familiären Umfeld, beim Sport und in der Schule zu tun. Am häufigsten aber versteckten sie ihre Identität in öffentlichen Verkehrsmitteln, an öffentlichen Orten.
Was folgt daraus? Die Studienautoren halten sich zurück mit konkreten Ratschlägen an die Politik. Alexander Gluba, der Sachgebietsleiter „Kriminologische Forschung“ im Landeskriminalamt, ruft die Betroffenen mit Nachdruck dazu auf, Vorfälle auch anzuzeigen, um das Dunkelfeld aufzuhellen. Nur 20 Prozent der Betroffenen hätten in der Befragung angegeben, die Tat zur Anzeige gebracht zu haben. Begründet werde dies damit, dass man sich nicht sicher sei, ob es sich tatsächlich um eine Straftat handelte oder ob sie schwerwiegend genug gewesen ist. „Manche wollten den Vorfall auch einfach vergessen“, berichtet der Soziologe Boll. „Die Studie zeigt erneut, dass queere Menschen überdurchschnittlich von Hasskriminalität betroffen sind, sie die erlebten Taten aber seltener anzeigen. Sicherlich auch eine Folge des geringeren Vertrauens von queeren Personen in Polizei und Justiz, wie die Ergebnisse zeigen“, erklärte Nico Kerski vom Queeren Netzwerk Niedersachsen (QNN) auf Rundblick-Anfrage nach Vorstellung der Studienergebnisse. „Unsere Forderung wird daher von der Studie gestützt, dass es neben staatlichem Handeln auch eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Seite braucht, um das Dunkelfeld zu erhellen und die Anzeigebereitschaft in queeren Communities zu erhöhen.“
Dieser Artikel erschien am 17.10.2024 in der Ausgabe #181.
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