In manchen Fällen braucht es keine neuen Gesetze, um die Handlungsmöglichkeiten zu verändern. Dann reicht es schon vollkommen aus, dass sich die verantwortlichen Stellen auf eine andere Auslegung der längst geltenden Vorschriften verständigen. Zu einer solchen Verständigung ist es auf der vergangenen Umweltministerkonferenz gekommen, bei der sich die Fachminister der Länder gemeinsam mit dem Bund darauf geeinigt haben, im Umgang mit dem Wolf die Gangart zu verschärfen. Zeitnah soll also der Abschuss von Problemwölfen schneller und einfacher vonstattengehen.

Die Rahmenbedingungen dafür hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zuvor auf Druck aus Niedersachsen formuliert. Im „Praxisleitfaden Wolf“ ist die neue Vorgehensweise nun für alle Behörden festgeschrieben worden. So soll in Regionen, in denen Wölfe generell ein Problem darstellen, im Fall eines neuen Wolfsangriffs auf Nutztiere unverzüglich der Abschuss erlaubt werden. Voraussetzung ist, dass der Wolf zuvor den zumutbaren Herdenschutz überwunden hat. Eine genetische Überprüfung muss es nicht mehr geben. Die Ausnahme soll für 21 Tage in einem Umkreis von einem Kilometer rund um den Tatort gelten. So sieht die bekannte Beschlusslage aus – aber wie setzen die Länder diese nun konkret um?
Als erstes müssen von den zuständigen Behörden nun jene Regionen bestimmt werden, in denen der Wolf als allgemeines Problem angesehen wird. Wie genau die Länder dabei aber vorgehen, steht noch nicht in jedem Detail fest. Im Anschluss an die Umweltministerkonferenz hat sich eine Arbeitsgruppe aus mehreren vom Wolf besonders betroffenen Ländern gebildet, um ein möglichst einheitliches Vorgehen zu vereinbaren. Niedersachsen sei gebeten worden, an dieser Stelle nicht vorzupreschen, berichtete Umweltminister Christian Meyer (Grüne) im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Er drückte seine Erwartung aus, dass eine Einigung noch vor Weihnachten erzielt und die Umsetzung in Niedersachsen dann in den ersten Januarwochen geschehen könne.
Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick skizzierte der Umweltminister außerdem, welches Vorgehen aus seiner Sicht nun zielführend wäre. Im Ministerium betrachte man gerade die Nutztier-Rissstatistik für die vergangenen sechs Monate und suche nach Häufungen, um daraus Cluster bilden zu können. Betrachtet werden dabei ausschließlich solche Vorkommnisse, bei denen der zumutbare Herdenschutz überwunden wurde. Dass Schafhalter ordentliche Zäune bauen, wird deshalb noch einmal wichtiger – und wird im neuen Haushalt mit rund 7,5 Millionen Euro gefördert. Ab welcher Anzahl von Nutztierrissen in welchem räumlichen Zusammenhang nun von einer relevanten Häufung gesprochen werden kann, werde derzeit noch abgestimmt, erläuterte Meyer. Ungeklärt sei zudem noch die Frage, ob beispielsweise ein Herdenschutzzaun, der die Anforderungen des Grundschutzes deutlich überragt, anders zu werten sei als die Basisausstattung. Meyer zeigt sich offen dafür, einen solchen Fall in der Risikobewertung doppelt zu gewichten.
Der Beschluss der Umweltministerkonferenz gibt den Ländern drei unterschiedliche Kriterien zur Hand, anhand derer sie eine Problemregion abgrenzen können: entweder nach Vorkommen von Wolfsrudeln, anhand topografischer Gegebenheiten oder entlang der Grenzen von Landkreisen oder Gemeinden. Niedersachsens Umweltminister erläuterte im Rundblick-Gespräch, dass er eine Abgrenzung auf Gemeindeebene bevorzuge, weil damit zum einen klare Zuständigkeiten geschaffen werden, zeitgleich aber ungleiche Verteilungen innerhalb eines flächenmäßig großen Landkreises keine Unwuchten auslösen. Meyer favorisiert zudem, jedes Cluster einzeln auszuweisen und keine Gebietskulisse für ganz Niedersachsen zu erstellen. Dieses Vorgehen würde die Praktikabilität erhöhen und trüge dem Umstand Rechnung, dass sich der Status der einzelnen Problemregionen zu unterschiedlichen Zeiten verändern könnten. Welche Gültigkeitsdauer eine Allgemeinverfügung haben soll, konnte Meyer noch nicht abschließend beantworten. Da eine Betrachtung der vergangenen sechs Monate als Referenzraum herangezogen werden soll, wäre es allerdings plausibel, dass eine Region ihren Status wieder verliert, sobald die summierte Zahl der Nutztierrisse der vergangenen sechs Monate unter die vereinbarte Grenze fällt.

Ist eine Problemregion erst einmal bestimmt, gilt für diese ein beschleunigtes Verfahren. Kommt es zu einem Nutztierriss, wird wie bereits jetzt schon üblich zunächst ein Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer oder unterstützend vom Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) den Riss begutachten. Wird dabei der Wolf als anzunehmender Verursacher ermittelt, gilt von diesem Zeitpunkt an die Abschussgenehmigung für 21 Tage in einem Radius von einem Kilometer. Die Erlaubnis zum Schießen erhält dann aber nicht automatisch der jeweilige Revierinhaber oder gar der betroffene Landwirt, erläuterte Meyer. Vielmehr werde man wie bisher auf einen Pool registrierter sachkundiger Jäger zurückgreifen. Die einzelnen Freigaben werde man erst im Nachhinein bekanntgeben und dadurch überprüfbar machen – auch zum Schutz der Jäger.
Für Umweltminister Meyer ist das geeinte Vorgehen ein Schritt in die richtige Richtung. Zudem habe man sich die Kriterien von der EU-Kommission absegnen lassen. Diese hat mit Schreiben vom 28. November, das dem Politikjournal Rundblick vorliegt, dem Bundesumweltministerium bescheinigt, einen „wissenschaftlich fundierten, verhältnismäßigen und wirksamen Ansatz“ entwickelt zu haben. Gerichtliche Überprüfungen sind allerdings trotzdem zu erwarten. Was das Urteil der EU-Kommission betrifft, ist Meyer allerdings besonders aufmerksam. Dass nämlich seitens der Brüsseler Behörde bereits ein sogenanntes Pilotverfahren gegen Deutschland wegen der Wolfspolitik – insbesondere in Niedersachsen – initiiert wurde, treibt Meyer noch immer um. Zum aktuellen Stand dieses Verfahrens gibt die EU-Kommission auf Rundblick-Anfrage keine weiteren Informationen heraus. Das hängt allerdings damit zusammen, dass es sich beim Pilotverfahren um ein inoffizielles Instrument handelt, das in der Regel dann zum Einsatz kommt, „wenn es die Rechtsbefolgung voraussichtlich zügiger gewährleistet als ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren“, erläutert die Kommission.

Vielleicht spielt das aber schon bald keine Rolle mehr, denn die EU-Kommission ist gerade dabei, ihre Wolfspolitik insgesamt zu überdenken. Im September rief die EU-Behörde zur Sammlung neuer Daten zum Wolf auf. Niedersachsen habe sich an dieser Erhebung beteiligt und 50 Rudel, drei Paare und ein Einzeltier gemeldet, geschätzt also 400 bis 600 Wölfe, erklärte Umweltminister Meyer gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Derzeit würden die eingegangenen Informationen ausgewertet und in Rücksprache mit den Mitgliedstaaten auf Plausibilität überprüft, teilt die Kommission mit. Bis Ende des Jahres wolle man auf Grundlage der neuen Informationen darüber befinden, wo nachjustiert werden muss.
Bei Gesprächen mit Agrarpolitikern aus Niedersachsen erklärte kürzlich der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken aus Osnabrück, dass bei der Neubewertung nicht nur der Schutzstatus des Wolfes, sondern auch die übrigen Mechanismen der Habitat-Richtlinie in den Blick genommen werden. Dabei gehe es also auch etwa um die Frage, in welchem Intervall die Mitgliedstaaten Meldung über den „günstigen Erhaltungszustand“ der gelisteten Tier- und Pflanzenarten machten. Umweltminister Meyer berichtet, dass sich die Umweltministerkonferenz auf eine Festlegung nationaler Referenzwerte zum günstigen Erhaltungszustand nicht habe einigen können, weil Bayern nicht mitziehen wollte. Der Beschlussentwurf sah vor, dass für die „biogeographischen Regionen“, in denen der Wolf leben kann, Untergrenzen definiert werden. Für die in Niedersachsen schwerpunktmäßig relevante atlantische Region sind dabei 44 Rudel und ein Lebensraum von 22.840 Quadratkilometern vorgeschlagen worden, für die kontinentale Region 232 Rudel und 166.600 Quadratkilometer. Der Norden hätte nach dieser Berechnung sein Soll also schon längst erfüllt, der Süden allerdings noch nicht.

Ob diese Meldungen zeitnah eine aktive Bejagung des Wolfes erlauben würden, bleibt abzuwarten. Eine weitere mögliche Verhandlungssache zwischen der EU und Deutschland könnte Tiemo Wölken zufolge allerdings die Frage sein, ob es generell nationale Abschussquoten für den Wolf geben könnte. Frankreich beispielsweise habe in Gesprächen mit der Brüsseler Behörde eine Einigung in dieser Angelegenheit erzielt, weshalb dort inzwischen insgesamt rund 2000 Wölfe geschossen worden seien. Allerdings bleibt für die EU einstweilen der Nationalstaat der entscheidende Ansprechpartner. Noch zumindest müssten solche Gespräche von der Bundesregierung ausgehen, in diesem Fall also von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Ziel solcher Gespräche könnte dann aber auch sein, eine Regionalisierung bei der Betrachtung des Wolfsproblems auch aus EU-Perspektive durchzubringen.