23. Sept. 2023 · 
Landwirtschaft

Wieso die Landesregierung das Mufflon in Niedersachsen bereits aufgegeben hat

Unternimmt das Land genug, um das Mufflon vor dem Wolf zu schützen? Eine Frage, die zunächst humoristisch klingen mag, ist ein ernst gemeintes und ernstzunehmendes Anliegen der CDU-Landtagsfraktion. Ob es den Abgeordneten dabei vorrangig um den Schutz der Wildschafe geht, oder doch eher um einen weiteren Hebel, den man gegen die Ausbreitung des Wolfes anlegen könnte, sei dahingestellt. Sicher ist: Das Mufflon zieht gegen den Wolf den Kürzeren – und das lässt sich auch bereits nachweisen.

Drei Mufflons schauen genau in die Kamera. Im flachen Gelände sind die Fluchttiere tendenziell im Nachteil – gegen Fotografen und auch gegen den Wolf. | Foto: GettyImages/János Németh

In einer Sitzung des Agrarausschusses des niedersächsischen Landtags legte ein Mitarbeiter des zuständigen Ministeriums dar, dass sich die Mufflon-Vorkommen überall dort aufzulösen scheinen, wo sich entweder Wolf oder Luchs ausbreiten. Da es aktuell noch kein echtes Mufflon-Monitoring gibt und voraussichtlich auch nie geben wird, bediente sich der Mitarbeiter aus dem Jagd-Referat des Agrarministeriums zweier Behelfsgrößen, um halbwegs verlässliche Aussagen treffen zu können. Zum einen wurden die Hegegemeinschaften um Zahlen zur Bestandsgröße gebeten. Aus neun Hegegemeinschaften wurde ein erheblicher Rückgang vermeldet, wenn nicht sogar ein Erlöschen des Mufflon-Aufkommens. Letzteres gilt für die Hegeringe und -gemeinschaften Göhrde, Gartow-Lüchow, Hils und Duinger Wald. Zusammengenommen lebten dort früher mehr als 400 Wildschafe.

Die größten Muffelwild-Vorkommen sind im Süden von Niedersachsen. Die Hotspots für Mufflons befinden sich in den Gemeinden Obernkirchen, Auetal, Diekholzen, Lutter am Barenberge und Moringen. Die nördlichsten Reviere wurden bei Sögel, Soltau und Dannenberg entdeckt. | Quelle: Wildtiererfassung Niedersachsen (WTE)

Die Hegegemeinschaften Hildesheimer Wald, Hainberg und Ostlutter vermeldeten einen deutlichen Rückgang. Allein die Hegegemeinschaft Ahlsberg meldete damals wie heute 50 Tiere in ihrem Bestand. Als zweite Vergleichsgröße zieht der Ministeriumsmitarbeiter Zahlen zur Jagdstrecke heran, die die Landesjägerschaft herausgibt und aus denen hervorgeht, dass zuletzt nur noch in den Landkreisen Northeim, Goslar, Hildesheim, Hameln, Schaumburg, Nienburg, Heidekreis und in der Region Hannover Muffelwild von Jägern geschossen wurde. Auf der Website des Wildtier-Management Niedersachsen steht dazu: „Das Muffelwild kommt in Niedersachsen nur noch in etwa 14 Landkreisen vor, mit den Hauptvorkommen in den Landkreisen Schaumburg und Northeim sowie der Region Hannover.“

In Niedersachsen vom Wolf bedroht: Das Muffelwild. | Foto: GettyImages/lenawurm

Es sieht also schlecht aus für die Schafe mit dem kurzen braunen Fell und den markant nach oben gebogenen Hörnern. Und dass es so schlecht für sie aussieht, hat auch etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun. Vor gut 200 Jahren haben die ersten Mufflons deutschen Boden betreten, in Niedersachsen wurden im Jahr 1903 die ersten acht Widder und neun Schafe aus Sardinien in einem Gehege in Göhrde (Kreis Lüchow-Dannenberg) angesiedelt. Ein paar Jahre später ließ man das Gatter offen und die Tiere frei. Etwa zur selben Zeit, zwischen 1906 und 1910 setzte man zudem Muffelwild im Ostharz aus. Die Ansiedelung geschah jeweils zu Jagdzwecken.

Doch die Tiere, die neben Sardinien auch auf Korsika heimisch waren, sind für das norddeutsche Flachland nicht geeignet. Ihr Fluchtinstinkt ist auf felsigen Inseln ausgeprägt worden und steckt noch heute den Wildschafen in den Genen: Droht Gefahr, laufen sie zwar zunächst weg. Doch nach kurzer Strecke bleiben sie stehen und schauen nach, ob sie schon weit genug gelaufen sind. Weil sie früher auf Felsen klettern konnten, verschaffte ihnen das in der Regel einen Vorteil. Doch jetzt packt sie der Beutegreifer, sobald sie sich umdrehen. Im Flachland können die Mufflons nur überleben, wenn es um sie herum keine natürlichen Feinde gibt – was seit der Rückkehr der Wölfe und der Wiederansiedelung der Luchse vielerorts nicht mehr der Fall ist.

Auf zwei Kuriositäten wies der Ministeriumsmitarbeiter während seiner Unterrichtung vor dem Agrarausschuss des Landtags in diesem Zusammenhang noch hin: Sowohl in der Gemeinde Bomlitz (Heidekreis) als auch im Flecken Liebenau (Kreis Nienburg/Weser) gebe es aufgrund besonderer Begebenheiten eine Koexistenz von Wolf und Mufflon. So sei in Bomlitz eine alte Industrieanlage gesprengt aber nie komplett abgetragen worden. Auf und in den Trümmern der Anlage finden nun offenbar Mufflons eine Umgebung vor, die an die Felsen von Sardinien erinnern mag und entsprechenden Schutz bietet.

In Liebenau habe es sich ergeben, dass eine Mufflonherde auf dem Gelände einer Industrieverwertungsanlage eingegattert wurde und dort nun ein sicheres, wenn auch einsames Leben verbringt. Den Mufflons im Mauerpark des Wisentgeheges in Springe (Region Hannover) gehe es derweil aus anderen Gründen nicht gut. Der Wolf bedrohe die Herde dort zwar nicht, wohl aber Virenbefall. Aufgrund der sogenannten Moderhinke mussten dort Tiere geschossen werden – ein Vorgang, der wohl nicht selten ist in Niedersachsen und die Zukunft des Muffelwildes zusätzlich bedroht.

„Das Muffelwild hat keine Chance"

„Das Muffelwild hat keine Chance“, bilanzierte der Jagdexperte aus dem Agrarministerium. Zwar könne man dem Vorschlag der CDU-Landtagsfraktion folgen und regionale Managementpläne erarbeiten lassen. Allein: Ohne eine Begrenzung der Ausbreitung des Wolfes würden diese rein gar nichts bewirken. „Die Pläne helfen nicht weiter, wenn sich der Wolf weiter ausbreitet“, sagte er. Zudem seien die Tiere in freier Wildbahn aufgrund ihrer Sprungkraft vom Menschen kaum einzufangen. Derweil geht der Ministeriumsmitarbeiter davon aus, dass nach dem Muffelwild das Damwild an der Reihe sein könnte. Denn der Wolf habe gelernt, dass er wehrlose, aber große Tiere jagen sollte, damit für ihn Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Birkwild etwa, berichtete der Jagdfachmann, interessiere den zurückgekehrten Beutegreifer reichlich wenig.

Was also kann die Politik nun tun? Im Agrarausschuss des niedersächsischen Landtags fühlten sich die Abgeordneten von SPD und Grünen zunächst erst einmal gar nicht mehr zuständig für das Thema, nachdem eine Begrenzung der Wolfsausbreitung als einzig gangbare Option dargestellt wurde. Wenn es um Artenerhalt gehe, sei das Umweltressort zuständig, sagte Christoph Willeke von der SPD und Pascal Leddin von den Grünen verwies auf den Kurs der Regierung, den Fokus auf die Weidetiere zu halten – das Mufflon sei schließlich nicht heimisch. Eine Expertenanhörung, die sich die CDU-Fraktion gewünscht hatte, lehnte die rot-grüne Ausschussmehrheit sodann auch ab.

Hat ein Herz fürs Muffelwild: Marco Mohrmann. | Foto: CDU

Bei der CDU-Landtagsfraktion löste diese Argumentation Kopfschütteln aus. Deren agrarpolitischer Sprecher Marco Mohrmann erinnerte daran, dass das Mufflon inzwischen eine heimische Art geworden sei, schließlich lebe es seit mehr als 100 Jahren in Niedersachsen. Tatsächlich führt das Bundesjagdgesetz das Muffelwild als Tierart, die dem Jagdrecht unterliegt – und gemäß dem darin enthaltenen Hegeauftrag von den Jägern zugleich gejagt und gehegt werden muss.


Link zum Podcast "Pro und Contra: Was bringt Onays Verkehrswende?"

Konkret heißt es dort allerdings: „Die Hege hat zum Ziel die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen.“ Trifft das auf das Mufflon zu? Da das Mufflon als ursprünglich nicht heimische Wildart nicht zum niedersächsischen Lebensraum passe, seine Fluchtinstinkte hier nicht verfingen und sich die Moderhinke wohl auch wegen der Bodenbeschaffenheit rasanter ausbreite als auf sandigen oder felsigen Böden, hat zumindest Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) die Tiere bereits abgeschrieben. Auf Rundblick-Nachfrage erläuterte sie, dass „eine Reduktion des Bestandes durch den Wolf leider unabwendbar“ sei.

Dieser Artikel erschien am 22.9.2023 in Ausgabe #164.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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