16. Jan. 2024 · 
Umwelt

Wie in Hannover und Brüssel an den Details der Wolfspolitik getüftelt wird

Seit Beginn des Jahres gilt nun bundesweit ein neues Regelwerk im Umgang mit auffälligen Wölfen. Die Bundesumweltministerin und die Umweltminister der Länder hatten sich dazu auf eine einheitlich neue Auslegung des Naturschutzrechts verständigt, die im „Praxisleitfaden Wolf“ niedergeschrieben wurde: Wenn ein Wolf in einer Region, in der es generell häufiger zu Nutztierrissen kommt, einen Schutzzaun überwindet und Weidetiere tötet, soll nun rascher reagiert werden können. Mit einer Ausnahmegenehmigung darf dann 21 Tage lang im Umkreis von einem Kilometer um den Tatort herum von ausgewählten Fachleuten auf sich nähernde Wölfe geschossen werden. Die Regel basiert auf der Annahme, dass die Beutegreifer zurückkommen, um liegengebliebene Kadaver aufzufressen.

Foto: AB Photography via Getty Images

Noch hat Niedersachsen aber keine Karte dieser Wolfs-Problemregionen veröffentlicht. Dies soll künftig über eine Landesverordnung geschehen, die zuvor das übliche Verfahren der Verbändebeteiligung durchlaufen muss, erläuterte Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Noch befinde man sich aber in der Abstimmung über die Kriterien mit den anderen stark betroffenen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Eine Einigung konnte im vergangenen Jahr wider Erwarten nicht mehr erzielt werden. Es wird aber davon ausgegangen, dass Meyer die entsprechende Verordnung noch im Januar vorlegen wird.

Bis dahin soll das neue Wolfs-Rechtsregime allerdings schon auf andere Weise Anwendung finden können. Bereits jetzt könnten im Einzelfall Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, bei denen auf eine Individualisierung des Einzeltiers per DNA-Probe verzichtet werden kann, teilte das Umweltministerium mit. In der entsprechenden Genehmigung würde dann auf das erhöhte Rissgeschehen in der Region hingewiesen werden – auch ohne vorherige Ausweisung dieser Region per Verordnung.

Tierschützer pochen auf Schutzstatus

Dass sich die Umweltministerien auf Bundes- und Landesebene nun darauf verständigt haben, die Wolfspolitik ganz ohne Gesetzesänderung umkehren zu wollen, irritiert die Akteure auf beiden Seiten des tiefen Grabens der wolfspolitischen Auseinandersetzungen – allerdings auf unterschiedliche Weise. Die Befürworter eines restriktiveren Vorgehens gegen Problemwölfe schlagen die Hände vorm Kopf zusammen und beklagen, dass man diesen Schritt schon längst hätte gehen können, wenn das Bundesumweltministerium nicht so lange gemauert hätte. Angesichts der nun angekündigten neuen Vorgehensweise melden Natur- und Tierschützer hingegen bereits ihre Zweifel an der Rechtsgültigkeit an. Dass es Klagen und gerichtliche Überprüfungen des neuen Kurses geben wird, davon geht auch Umweltminister Meyer fest aus.

Die wolfsfreundlichen Naturschützer pochen auf das geltende Recht, wonach der Wolf streng geschützt ist und nur in seltenen Ausnahmefällen und unter strengen Vorschriften „entnommen“, also getötet werden darf. Abschüsse sind durch internationales Recht ohnehin nur als Ultima Ratio zugelassen, wenn die Gefahr von wirtschaftlichen Schäden oder gar Angriffen auf Menschen drohen. Bevor geschossen wird, müssen alle anderen Schutzvorkehrungen ausgeschöpft sein. Diese Vorgabe wird zwar durch die neue Wolfspolitik berücksichtigt. Naturschützer verweisen allerdings etwa auf eine Literaturrecherche aus dem vergangenen Jahr, der zufolge Herdenschutzmaßnahmen deutlich besser geeignet seien, Nutztierrisse zu vermindern, als es selektive Abschüsse oder gar eine Bejagung wären. Das Problem sei vielmehr, dass der Herdenschutz häufig nicht korrekt umgesetzt werde.

Weidetiere sollen vorm Wolf geschützt werden – mit Zäunen, natürlich. Aber ab sofort auch durch einen erleichterten Abschuss. | Foto: heebyji via Getty Images

Die Argumentation der Naturschützer gerät allerdings ins Wanken, wenn sich auf internationaler Ebene die Rechtslage tatsächlich ändern sollte. Kurz vor Weihnachten hatte die EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen (CDU) eine Initiative in der Wolfspolitik angekündigt. Nach der Sichtung neuer Zahlen zur Entwicklung der Wolfspopulation, die unter anderem auch von Niedersachsen an die Brüsseler Behörde übermittelt worden waren, schlug die Kommission vor, den internationalen Schutzstatus des Wolfes abzusenken. Die Erhebung habe ergeben, dass die Wolfspopulationen in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen haben und immer größere Gebiete besiedelten, teilte die EU-Kommission mit. Die Rede ist von 20.000 Tieren mit meist wachsenden Populationen, expandierenden Streifgebieten und Rudel mit Welpen in 23 der 27 Mitgliedstaaten. Deshalb, so der Vorschlag, sollte der Schutzstatus von „streng geschützt“ auf „geschützt“ geändert werden, was sogar eine Bejagung der Tiere erlauben könnte.

Noch vor der EU muss der Europarat entscheiden

Was zunächst nach einem simplen Schritt klingt, ist tatsächlich ein komplizierteres Verfahren. Der Kommissionsvorschlag richtet sich einstweilen an die EU-Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union. Diese wiederum könnten eine Änderung des Berner Übereinkommens anstrengen. Dieses internationale Naturschutzabkommen ist Anfang der 1980er Jahre in Kraft getreten, es handelt sich dabei um einen zwischenstaatlichen Vertrag des Europarats. Dieser darf nicht mit dem Rat der Europäischen Union oder dem Europäischen Rat, den Gremien der EU-Mitgliedstaaten, verwechselt werden. Dem Europarat mit Sitz in Straßburg gehören nach dem Ausschluss Russlands noch insgesamt 46 Staaten an. Der Zusammenschluss beschäftigt sich mit Fragen der Demokratie und Menschenrechte sowie der Terrorbekämpfung, aber auch mit Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik. Beim Naturschutz zielt der Europarat mit dem Berner Übereinkommen darauf ab, jene Pflanzen und Tiere zu schützen, für deren Erhalt mehrere Staaten zusammenarbeiten müssen – was für den Wolf entsprechend gilt.

Daran muss sich auch die EU halten: Der Europarat hat in der Bern-Konvention den strengen Schutz des Wolfes festgeschrieben. | Foto: ollo via Getty Images

Das weitere Verfahren zur Änderung des Schutzstatus sieht nun so aus: Stimmen die EU-Mitgliedstaaten dem Vorschlag der EU-Kommission zu, reicht diese den Antrag im Namen der EU an den Ständigen Ausschuss des Berner Übereinkommens weiter. Wird der Vorschlag dort dann angenommen, kann die EU wiederum ihre eigenen Naturschutzregeln in der Habitat-Richtlinie anpassen und den Wolf vom vierten in den fünften Anhang verschieben. In der Folge müssten dann die Mitgliedstaaten ihre nationalen Naturschutzgesetze entsprechend anpassen. Wird die Zustimmung auf der höheren Ebene aber verweigert, kann auch die EU ihre Richtlinie, die nicht mehr ist als eine Umsetzung des Berner Übereinkommens, nicht ändern. Andernfalls würde die EU vertragsbrüchig.

Noch vor wenigen Monaten hielten vier Experten, die einen Kommentar zum Tierschutzgesetz verfasst haben, eine solche Kursänderung auf internationaler und EU-Ebene für nicht wahrscheinlich und warfen der Kommissionspräsidentin gar vor, ihr Ansinnen „allenfalls populistisch, nicht aber wissenschaftlich“ zu begründen. Das Juristen-Autorenteam Almuth Hirt, Christoph Maisack, Johanna Moritz und Barbara Felde stützte ihre Argumentation in einer Stellungnahme zu den zunächst noch vage von der EU-Kommission angedeuteten Plänen zu einer möglichen Absenkung des Schutzstatus des Wolfes auch auf vorherige Entscheidungen. So habe der Ständige Ausschuss der Berner Konvention erst im November 2022 einen entsprechenden Antrag der Schweiz mit 24 zu 6 Stimmen abgelehnt. Auch die EU habe sich damals dagegen ausgesprochen, den Schutz des Wolfes zu verringern. Begründet worden sei diese Entscheidung damals im Wesentlichen damit, „dass der Wolf in sechs von sieben biographischen Regionen der EU immer noch einen ungünstig-unzureichenden Erhaltungszustand aufweist und die Art nach wie vor erheblichen Bedrohungen und Belastungen ausgesetzt ist unter anderem durch eine hohe von Menschen verursachte Mortalität insbesondere durch Wilderei.“

Im kommenden Jahr wird Deutschland turnusmäßig den nächsten Bericht zum Zustand der schützenswerten Arten gemäß Habitat-Richtlinie an die EU-Kommission senden. Dort hat man sich ja aber bereits zwischenzeitig ein neues Bild der Lage gemacht.

Dieser Artikel erschien am 17.1.2024 in Ausgabe #008.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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