Hier gibt Flieder den Ton an: Die Geburtsbadewanne, die Wände, das Tuch, an dem sich die gebärenden Frauen festklammern können, alles ist im gleichen Lila-Ton gehalten. Jeder der fünf Kreißsäle im Klinikum Osnabrück hat seine eigene Farbe – ebenso wie die Dienstkleidung der Hebammen, die sich vielleicht am ehesten als Brombeerrot beschreiben lässt. „Wir wollten eine Farbe haben, die uns von allen anderen Berufsgruppen in der Klinik unterscheidet“, sagt die Leitende Hebamme Anke Kramer. Seit über fünfzehn Jahren bieten sie und ihre Kolleginnen das Konzept Hebammenkreißsaal in der Geburtshilfe an. „Wir waren damals der erste Hebammenkreißsaal in Niedersachsen“, erzählt Kramer.

Jetzt ist diese Abteilung des Klinikums Osnabrück als fünfte Klinik Deutschlands mit dem HKS+-Zertifikat des Deutschen Hebammenverbandes ausgezeichnet worden. Im März überreichte Gesundheitsminister Andreas Philippi dem Team das Zertifikat. Den Prozess der Zertifizierung haben die Geburtshelferinnen als Bestätigung ihrer Arbeit erlebt: „Für uns hieß das: Wir haben in den vergangenen 15 Jahren qualitativ gute Arbeit geleistet. Studien zeigen, dass von Hebammen geleitete Geburten ebenso sicher sind wie ärztlich geleitete“, berichtet Kramers Stellvertreterin Anja Wille.
Ebenfalls als Bestätigung deutet das Leitungsteam das Interesse junger Kolleginnen. Während anderswo Personalmangel als Grund für die Schließung von Geburtskliniken genannt wird, gibt es in Osnabrück in dieser Hinsicht keine Not. „Hier werden seit 29 Jahren Hebammenschülerinnen ausgebildet“, erklärt Anke Kramer. 2020 haben die Hebammen ein Ziel erreicht, von dem andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen noch träumen: die Akademisierung ihrer Ausbildung. Schon während ihres Studiums arbeiten die Nachwuchskräfte gerne im Hebammenkreißsaal mit, weil sie hier die Arbeitsbedingungen vorfinden, die sie sich wünschen. „Bei jeder Geburt sind am Schluss zwei Hebammen anwesend“, erklärt Anja Wille. „Mindestens eine von ihnen muss zwei Berufsjahre Erfahrung mitbringen.“ So muss eine junge Kollegin nicht alleine Verantwortung übernehmen, sondern kann immer eine erfahrene Hebamme konsultieren. Die Eins-zu-Eins-Betreuung, die der Deutsche Hebammenverband gerade in einer Petition für jede Geburt fordert, ist im Hebammenkreißsaal also bereits erfüllt. Allerdings kommt eine Geburt hier nur für Schwangere ohne Vorerkrankungen in Frage.

Für die Hebammen bedeutet der hohe Personalschlüssel, dass sie zusätzlich vier Bereitschaftsdienste im Monat übernehmen müssen, was in ausschließlich von Ärzten geleiteten Kreißsälen oder, wie Kramer und Wille es lieber nennen, interdisziplinären Kreißsälen in der Regel nicht notwendig ist. Trotzdem sei die Arbeitszufriedenheit hoch, versichert das Leitungsteam. Gynäkologen müssen die Geburt nicht mitverfolgen. Sie werden erst gerufen, wenn sie gebraucht werden. „Gekonnte Nichtintervention“ nennt Anke Kramer die Tätigkeit, die manchmal nur darin besteht, warme Handtücher zu reichen. Ähnliches gilt für die Kinderärzte: „Wenn sie gebraucht werden, sind sie in zwanzig Sekunden da.“
„Ein Hebammenkreißsaal bietet viele Vorteile für die Hebamme – darunter die Möglichkeit, ihre Expertise und Erfahrung in einem Rahmen zu nutzen, der die natürliche Geburt unterstützt. Das bedeutet, dass Interventionen und medizinische Eingriffe reduziert werden und die Frau den Prozess selbst bestimmen kann“, erklärt Anja Wille. Das Leitungsteam ist stolz darauf, dass manche ihrer Methoden aus dem Hebammenkreißsaal mittlerweile auch in interdisziplinären Kreißsälen übernommen werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das „Bonding“: Die Haut von Mutter und Kind sollen sich sofort nach der Geburt oder nach einem Kaiserschnitt berühren, damit eine sichere Bindung wachsen kann. „Irgendwann haben wir die Kinder nicht mehr gebadet, die Nabelschnur nicht sofort durchtrennt“, erinnert sich Anke Kramer. Das Ergebnis gab ihr recht: „Die Kinder haben super Zucker, eine super Körpertemperatur.“

Wenn man den beiden Hebammen zuhört, während die Mittagssonne den idyllischen kleinen Innenhof der Station wärmt, ist es schwierig, das zusammen zu denken mit der scharfen Kritik von Frauenverbänden am Zustand der Geburtshilfe. Seit 1991 habe sich die Zahl der geburtshilflichen Abteilungen fast halbiert, schrieb der Deutsche Hebammenverband 2024. Der Berufsverband warnte vor einem „kalten Strukturwandel“, der Gebärende in akute Not bringe. Das betrifft auch das Einzugsgebiet des Klinikums Osnabrück. „Voriges Jahr wurde Melle geschlossen. Der südliche Landkreis hat gar keine Geburtshilfe mehr“, berichtet Anke Kramer. Doch mit dem Klinikum und dem Marienhospital sei die Versorgung gesichert. Zumindest Schwangere aus Niedersachsen erreichen innerhalb der vorgesehenen vierzig Fahrminuten eine Geburtsklinik in Osnabrück. Die Kapazitäten reichen aus und könnten sogar noch erweitert werden, meint Kramer. 2024 waren es 1500 Kinder, die im Klinikum Osnabrück geboren wurden, fast einhundert davon im Hebammenkreißsaal. „Mit dem Hebammenkreißsaal setzen wir ein bewusstes Zeichen für eine individuelle, respektvolle und sichere Geburtshilfe“, kommentieren die Geschäftsführer Frans Blok und Klaus Beekmann. „Auch wenn dieses Angebot mit einem hohen Aufwand verbunden ist, sehen wir darin eine erforderliche Investition in Qualität, Vertrauen und die Zukunft unserer geburtshilflichen Versorgung in der Region Osnabrück.“
Die Zertifizierung wurde möglich durch das Projekt „Bauchgefühl 2.0“ des Hebammenverbandes Niedersachsen e.V., das vom Sozialministerium mit rund 50.000 Euro gefördert wird. Eine direkte Förderung, erklärt Kramer, gebe es in Niedersachsen nicht für Hebammenkreißsäle – anders als in Nordrhein-Westfalen, wo in der Folge viele solcher Einrichtungen entstanden seien. Ziel von „Bauchgefühl 2.0“ ist, die Kaiserschnittrate zu senken. Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden, haben ein erhöhtes Risiko für Atemstörungen und eine höhere Anfälligkeit für Asthma, Allergien und Diabetes, informiert das Ministerium in einer Pressemitteilung. Mit 31,4 Prozent liege die Sectio-Rate im Land weit über dem von der WHO empfohlenen Zielwert von 15 Prozent. Zum Projekt gehören auch regelmäßige Hebammen-Sprechstunden im Klinikum. Die Geburtshelferinnen versuchen, das Selbstvertrauen der Schwangeren zu stärken, sodass sie sich eine natürliche Geburt zutrauen – oder zumindest eine gut informierte Entscheidung treffen können. „Im Kreißsaal ist es schwierig, eine Entscheidung zu revidieren“, sagt Kramer. Deswegen wollen sie auch die gynäkologischen Praxen in der Gegend dafür gewinnen, die Option „Kaiserschnitt“ nicht ohne Grund ins Spiel zu bringen.
So gelassen wie wahrscheinlich wenige Akteure in der Kliniklandschaft sehen Anke Kramer und Anja Wille der Krankenhausreform entgegen. „Wir haben die geforderte Spezialisierung schon vorgezogen“, erklärt Wille. Sie kooperieren mit dem Marienhospital, das als Level 1-Einrichtung die Hochrisiko-Geburten übernimmt, während sie als Level 3-Haus, also als Geburtsklinik mit Kinderklinik im gleichen Haus, eher die unkomplizierten Fälle abdecken. Sorgen macht den Hebammen eher etwas anderes: „Die Ampel-Regierung hatte die Förderung der natürlichen Geburt als Ziel definiert und entsprechende Projekte unterstützt. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist das leider kein Thema mehr.“