Wie der Kirchentag Mut-Botschaften in Zeiten der Krise aussenden will
Gut anderthalb Jahre vor dem christlichen Großevent in Niedersachsens Landeshauptstadt haben die Planungen für den Kirchentag 2025 an Kontur gewonnen. Zunächst hat am zurückliegenden Wochenende Anja Siegesmund (Grüne), die bis Anfang des Jahres noch Umweltministerin in Thüringen gewesen ist, das Amt der Kirchentagspräsidentin von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) übernommen. Und seit Montag ist nun auch offiziell das Motto der Veranstaltung bekannt: Mit dem Dreiklang „mutig – stark – beherzt“, abgeleitet aus dem ersten Korintherbrief, wird der Kirchentag überschrieben sein. In voller Länge lautet der Bibelvers, auf den Bezug genommen wird, folgendermaßen: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“
Das Motto, mit dem ab sofort für den Kirchentag geworben wird, stellt gewissermaßen die Essenz dieses Spruches dar. Im Rundblick-Podcast sagt Siegesmund dazu: „Es geht darum, mutig zu sein. Wir wollen in Hannover Mut-Botschafter zu diesem Glaubensfest einladen.“ Neben dem Mut gehe es aber auch ums Herz, denn „Herz und Mut werden in der Bibel oft sehr ähnlich verwandt. Unsere Losung verbindet beides sehr eng.“
Für Siegesmund ist die Losung also „eine absolute Mut-Botschaft“, die ermahnt, „angesichts der Krisen den Mut nicht zu verlieren.“ Und Krisen gibt es ja wahrlich zuhauf, die Kirchentagspräsidentin spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von „Stapelkrisen“, aufgrund derer die Menschen beunruhigt und erschöpft seien. Beispielhaft zählt sie auf, wie ihre Kinder fragten, wann das endlich aufhöre mit dem Terror der Hamas, und ob sie genug für den Klimaschutz täten. Andere fragten, wie das in Thüringen ausgehen werde mit der Landtagswahl oder wie es weitergehen könne in den Kirchengemeinden, wenn sich so viele hier nicht mehr zuhause fühlten. Auch wenn noch niemand sagen kann, welchen Herausforderungen sich die Welt im Mai 2025 wird stellen müssen, so ist die Botschaft des Kirchentags schon jetzt: Zuversicht.
Die aktuelle weltpolitische Lage spiegelt sich dabei schon jetzt in den Vorbereitungen der Veranstaltung wider. So nahm auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) bei der Vorstellung der Kirchentagslosung in der Ratsstube des Neuen Rathauses Bezug auf die Krisen dieser Zeit – angefangen bei der Corona-Pandemie, über den Ukraine-Krieg, das daraus folgende Flüchtlingsaufkommen und den Terror der Hamas vor wenigen Wochen. Insbesondere die religiöse Dimension des neu entfachten Nahost-Konflikts treibt den Oberbürgermeister spürbar um. „Hannover ist eine Stadt der religiösen Vielfalt“, sagte er und verwies etwa auf das deutschlandweit einmalige „Haus der Religionen“ sowie auf den symbolischen Schulterschluss der jüdischen und der palästinensischen Gemeinden kürzlich an ebenjener Stelle, an der am Montagmittag die Kirchentagslosung bekanntgegeben wurde. Hannover sei eine bunte Stadtgesellschaft, sagte Onay, und die Diskussionen darüber seien da. Der Kirchentag könne „eine gute Plattform und Ankerpunkt“ für ebendiese Diskussionen sein.
„Wir erleben gerade wieder, dass Religion missbraucht wird. Wir wollen Religion aber als Lösung anbieten.“
„Wir erleben gerade wieder, dass Religion missbraucht wird. Wir wollen Religion aber als Lösung anbieten“, erklärte Kristin Jahn, die Generalsekretärin des Kirchentags, der seine Zentrale in Fulda hat, aber ab dem kommenden Jahr auch eine Geschäftsstelle in Hannover beziehen wird. Der Kirchentag zeichne sich unter anderem dadurch aus, dass es lebhafte Debatten gebe, bei denen sich die Teilnehmer in ihrer Verschiedenheit aushalten müssten und niemals die Würde des anderen absprechen, sagte Jahn. Beim Kirchentag gebe es eine respektvolle Debatte, wo sonst inzwischen vielfach Sprachlosigkeit herrsche.
Der Kirchentag soll also ein Ort der Debatte werden. Im Rundblick-Podcast begründet die Kirchentagspräsidentin die Rolle der Laienbewegung mit der Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa: „Es geht darum, Ort der Begegnung zu sein“, führt sie aus. „Es geht darum, dass Menschen aufhören – nicht aufhören im Sinne von Stopp, sondern im Sinne von Aufmerksamkeit; darauf zu hören, was das Gegenüber sagt. Könnte der womöglich sogar recht haben? Das Gesagte auf sich wirken zu lassen, selber zu hinterfragen, neue Position entwickeln.“ Der Kirchentag biete sich auch deshalb dafür an, weil es kein durchgeplantes, komplett orchestriertes Event sei. „Die Bewegung trifft sich, da entsteht etwas Neues“, beschreibt die frühere Politikerin das Besondere des Kirchentags. Das Rezept sei: Nächstenliebe, Respekt, Gemeinsamkeit – und ganz viel Spontaneität. „Das Ganze lebt von denen, die sich in die Debatte einbringen. Das ist ausdrücklich erlaubt!“
„Du musst die Kirchensteuer nicht zahlen, du bist trotzdem willkommen.“
Die Krisen existieren derweil nicht nur außerhalb der Kirchen, die auf sie schauen und Trost spenden wollen. Inzwischen sind die Kirchen selbst von Krisen befallen, verlieren an Relevanz, Vertrauen und Mitgliedern. Kann der Kirchentag also auch so etwas wie ein Vorbild sein für die Kirche von morgen: Kirche als Event, als Resonanzraum, als politische Veranstaltung? Dass immer mehr Menschen die Kirchen verlassen, das besorge sie zutiefst, erklärt Siegesmund, die sich selbst erst 1999 im Erwachsenenalter hat taufen lassen. Gleichzeitig spricht sie eine Einladung an all jene aus, die mit ihrer Kirche hadern. „Haben sie schlussgemacht mit Jesus und den Glauben an der Garderobe abgegeben? Oder hadern sie mit der Institution Kirche – mit nicht aufgearbeiteten Missbrauchsskandalen, mit der Frage der Finanzierung bestimmter Liegenschaften, mit anderen Dingen, die für sie die Institution Kirche, in einer Zeit, in der es Vertrauen und Authentizität in so hohem Maße braucht, nicht mehr ausstrahlt?“
Es ändert sich etwas im Verhältnis von Bewegung und Kirche. Im Podcast-Gespräch verweist Siegesmund an dieser Stelle auf einen Reformbeschluss, den der Kirchentag erst am Wochenende gefasst habe. Dabei werde „deutlich gemacht, dass wir die natürliche Abgrenzung zur verfassten Kirche nicht mehr so stark hervorheben wollen, sondern gemeinsam als Christen in Verbundenheit enger daran arbeiten wollen, die christliche Botschaft in den Vordergrund zu stellen.“ Es sei an der Zeit, Abgrenzungsrituale, die die Laienbewegung geprägt hatten, ad acta zu legen. Ihre Einladung weitet sie noch aus und sagt: „Du musst die Kirchensteuer nicht zahlen, du bist trotzdem willkommen. Und auch an jene aus anderen Religionen: Du bist willkommen beim Kirchentag!“
Dieser Artikel erschien am 24.10.2023 in der Ausgabe #184.
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