Über ein halbes Jahr ist es her, dass Porsche-Chef Oliver Blume den Volkswagen-Konzern von Herbert Diess übernommen hat. Jetzt setzt der gebürtige Braunschweiger ein erstes klares Ausrufezeichen: Blume will den niedersächsischen Automobilhersteller noch mehr zum „Global Player“ machen und viel stärker als bisher auf Elektromobilität und Digitalisierung ausrichten.

Von den 180 Milliarden Euro, die Volkswagen bis 2027 investieren will, sollen mehr als zwei Drittel in die Elektromobilität und die Softwareentwicklung gesteckt werden. Der Anteil an den Gesamtinvestitionen steigt von 56 auf 68 Prozent. Von der neuen Wachstumsstrategie des Konzerns werden insbesondere die Regionen Nordamerika und China profitieren. In seiner „In China für China“-Strategie stärkt Volkswagen nicht nur die Produktion in Ostasien, sondern auch Forschung und Entwicklung vor Ort. Die VW-Software-Schmiede Cariad hat ihre eigene China-Division gegründet. Auch die Ankündigung für eine neue Batteriezellfabrik in Kanada und ein neues Fahrzeugwerk in den USA lässt aufhorchen.
„Die industriellen Rahmenbedingungen und die Energiepreise spielen eine wichtige Rolle. Und das muss man heute eindeutig so sagen: Da sind wir in Europa nicht wettbewerbsfähig im Vergleich zu anderen Regionen“, betonte Blume gestern vor Journalisten. Er beteuerte zwar das „klare Commitment“ zum Bau von weiteren Batteriefabriken in Europa. Was die Automobilproduktion betrifft, sei in der alten Welt aber Transformation statt Wachstum geplant. „Werden wir in Europa Kapazitäten dazu bauen? Das wird nicht der Fall sein“, stellte VW-Finanzchef Arno Antlitz klar. Die Frage, ob das Trinity-Werk in Wolfsburg-Warmenau gebaut wird, klammerte er dabei allerdings aus. „Das ist noch nicht entschieden“, sagte Antlitz.
„Der Trend zu höherwertigen und besser ausgestatteten Fahrzeugen aus dem Vorjahr hat sich fortgesetzt."
Arno Antlitz, Volkswagen Finanzchef
Die Neufokussierung auf Elektromobilität präsentierte Blume mit einer gehörigen Prise Optimismus. Beim Anteil der batterieelektrischen Fahrzeuge (BEV) sprach der VW-Chef zwar von einem neuen „Rekordwert“. Dieser liegt allerdings nur bei 7 Prozent. Mit 572.000 verkauften batterieelektrischen Fahrzeugen bleibt VW im globalen Vergleich weiterhin auf Platz 3 hinter dem chinesischen Weltmarktführer BYD und dem US-Konkurrenten Tesla. Mit der Einführung mehrerer neuer Modelle in diesem Jahr – darunter der ID.3 und der Audi Q8 e-tron – will Volkswagen den BEV-Anteil auf 10 Prozent steigern. Der aktuelle Auftragsbestand rechtfertigt diese Hoffnung. Von den 1,8 Millionen Fahrzeugen, die allein in Westeuropa bereits geordert wurden, hat jedes sechste Auto einen reinen Elektroantrieb. Bis 2025 soll es jedes fünfte sein. Dabei stelle Blume klar: „Das Hochlaufen der Elektromobilität und E-Fuels stehen in überhaupt keinem Widerspruch. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen.“ Synthetische Kraftstoffe seien zwar ohne Frage ineffizienter als ein Batterieantrieb. Dennoch haben E-Fuels aus sonnenreichen Ländern für Blume durchaus ihre Berechtigung, denn auch nach dem Verbrenner-Aus in Europa werde es weltweit noch 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor geben, die klimafreundlicher betrieben werden müssten.

Die Gesamtzahl der Autoverkäufe ging bei Volkswagen etwas zurück. Vor allem anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Mikrochips und Elektrobauteilen hätten dafür gesorgt, dass die Wolfsburger weltweit nur noch 8,3 Millionen Fahrzeuge ausliefern konnten und damit 600.000 Stück weniger als noch 2021. Trotzdem steigerte der VW-Konzern seinen Gewinn nach Steuern auf 15,8 Milliarden Euro (plus 2,6 Prozent). „Der Trend zu höherwertigen und besser ausgestatteten Fahrzeugen aus dem Vorjahr hat sich fortgesetzt“, berichtete Antlitz. Durch das Streichen von Händlerrabatten und höhere Stückpreise steigerte der Konzern nicht nur bei seinen Premiumherstellern Ducati, Bentley, Lamborghini und Audi den Gewinn (plus 29 Prozent), sondern auch bei seinen margenstarken Marken VW, Skoda und Seat (plus 12 Prozent). Porsche legte ebenfalls um 28 Prozent zu. Die Stilllegung des Russland-Geschäfts trübte das operative Konzernergebnis dagegen um 2 Milliarden Euro, der Porsche-Börsengang habe Kosten von 600 Millionen Euro verursacht, so der CFO.

Für das Geschäftsjahr 2023 erwartet Antlitz wieder eine bessere Verfügbarkeit von Halbleitern und anderen Vorprodukten. Dadurch werde der Fahrzeugabsatz um rund eine Million steigen, der Umsatz um 10 bis 15 Prozent zulegen. Auf einen möglichen Börsengang von Lamborghini angesprochen, winkte Blume zunächst ab. Auch andere Konzernmarken hätten zwar das Potenzial für einen Börsengang, wenn sie entsprechend entwickelt werden. Eine solche Entscheidung werde man aber nur treffen „wenn’s nötig ist“ – abhängig von den Liquiditätsmitteln und den Investitionsbedarfen. „Der Porsche-Börsengang gibt uns finanziell Kraft in Form von Liquidität. Dadurch sind wir in der Lage massiv in Zukunftstechnologie zu investieren“, sagte Blume. Der Großteil der Einnahmen (9,1 Milliarden Euro) soll für die Entwicklung neuer Technologien verwendet werden – insbesondere für die neue Elektroauto-Plattform „SSP“, die für alle Marken eine einheitliche Software Architektur schaffen soll. Blume kündigte zudem an, dass sich Volkswagen den beiden Technologie-Giganten Google und Apple öffnen wird. „Unsere Kunden erwarten, dass sie in ihrem Fahrzeug dasselbe Betriebssystem haben wie auf ihren Mobilgeräten“, so der VW-Chef.
