28. Sept. 2022 · Wirtschaft

Was die Aufsplittung der Preiszonen für Vorteile brächte – und was dagegen spricht

Die norddeutschen Flächenländer wollen sich von Bayern abspalten – zumindest beim Strompreis. Denn anders als in Schweden und Norwegen gibt es in der Bundesrepublik nur eine einheitliche Stromhandelszone, in der überall derselbe Großhandelspreis gilt. Von dieser Regelung profitieren vor allem die südlichen Bundesländer, die dadurch günstigen Windstrom aus dem Norden einkaufen können, ohne dafür Extra-Transportkosten zu zahlen. Bislang hat auch die niedersächsische Landesregierung damit kein Problem gehabt, doch seit der Energiekrise hat in der SPD offenbar ein Umdenken stattgefunden.

Die Kritik am deutschen Stromnetz wird immer lauter. Aus den norddeutschen Bundesländern häufen sich die Rufe nach einer eigenen Strompreiszone. | Foto: GettyImages/Shilh

Sowohl Ministerpräsident Stephan Weil als auch Umweltminister Olaf Lies haben sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass für Windkraftländer niedrigere Strompreise gelten sollen. „Ob das über das Strommarktdesign, die Netzentgelte oder Anpassungen bei den Strommarktzonen geregelt wird, ist dabei für mich nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass wir hier schnell vorankommen“, schrieb Lies bei Twitter.

Zuvor hatten sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) für eine neue Strompreiszone stark gemacht und dadurch einen Streit mit Bayern provoziert. „Fast in allen Lebensbereichen sind Preise dort niedriger, wo ein Produkt in großer Menge erzeugt wird. Beim Strom ist es oft umgekehrt. Das sollte korrigiert werden“, argumentierte Goldschmidt. Der Vorzug einer Aufteilung in mehrere Zonen wäre zudem, dass jede Zone für sich eine intakte Stromversorgung sicherstellen müsste – der Zwang zum Bau von Stromautobahnen von Nord- nach Süddeutschland wäre also weniger stark.

Als es im November 2017 zum bisher letzten Mal darum ging, die einheitliche Strompreiszone innerhalb Deutschlands gesetzlich festzuschreiben, war das Stimmungsbild freilich ein anderes. „Man muss sich klarmachen: Die eine Preiszone in Deutschland für alle Stromtarife sichert eine einheitliche Sozialpolitik, eine einheitliche Industriepolitik, eine einheitliche Wirtschaftspolitik, eine einheitliche Politik überhaupt“, argumentierte der damalige Energiewendeminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, vor der Abstimmung im Bundesrat.

Und auch das zu diesem Zeitpunkt noch von Stefan Wenzel (Grüne) geführte niedersächsische Umweltministerium äußerte sich ähnlich. „Die niedersächsische Landesregierung hat die zentrale Bedeutung der einheitlichen Strompreiszone stets betont“, hieß es damals in einer fachlichen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf. „Gerade für ein auf erneuerbare Energien basierendes Stromversorgungssystem“ sei ein großes Marktgebiet von Vorteil. Zudem argumentierte das Ministerium, dass eine Aufsplittung der Strompreiszone dem „Leitbild eines europäischen Binnenmarkts für Strom diametral“ widerspreche. Dass die Nordzone von einem „Market Splitting“ durch niedrigere Großhandelspreise für Strom profitieren würde, war auch damals kein Geheimnis. Es überwog im Norden aber offenbar die Angst vor gebremsten Kraftwerksinvestitionen, die eine unabhängige Energie-Expertenkommission im Auftrag der Bundesregierung für den Fall der Aufsplittung vorhergesagt hatte.

FDP-Landtagsfraktionschef Stefan Birkner erinnerte dieser Tage an einen Antrag seiner Partei zur Verbesserung der Energieversorgungssicherheit im November 2018. Darin schlugen die Liberalen auch die „vorübergehende Einführung einer ‚Strompreiszone Küste‘“ vor. „Unterschiedliche Strompreiszonen wären ein Anreiz, um in Zeiten des Überschusses günstigen Strom zu nutzen. Der Überschuss aus Windenergie an der Küste würde dann zu niedrigen Börsenpreisen für Küstenstrom führen. Energie wird damit dort verbraucht, wo sie produziert wird“, hieß es in der ursprünglichen Antragsbegründung. Der Antrag wurde jedoch von CDU und SPD in den Landtagsberatungen stark verändert und die betreffende Passage herausgestrichen, sodass die FDP bei der Abstimmung im November 2020 ihre eigene Initiative nicht mehr wiedererkannte.

Der CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann bestätigte kürzlich das Nein zu unterschiedlichen Strompreiszonen. „Ein solcher Vorschlag spaltet und schadet unter anderem auch Volkswagen“, lautete ein Zitat: „Denn wenn die Zulieferer aus Süddeutschland nicht mehr liefern können, weil bei ihnen die Energiepreise noch stärker steigen als bei uns, stehen bei VW die Bänder still.“ Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich zur Aufteilung der Strompreiszone gestern skeptisch: „Ich weiß, dass sich die EU-Kommission das wünscht. Doch dann wären einige Regionen in Deutschland schlechter gestellt als andere. Das überzeugt mich nicht. Richtig bleibt aber auch: Wir wären in einer günstigeren Situation, wenn der Bau von Stromleitungen in den Süden nicht durch erhebliche Widerstände aus dem Süden verzögert worden wäre.“

Dass eine Strompreiszone-Süd, die wohl aus Bayern und Baden-Württemberg bestehen würde, höhere Börsenpreise hätte, ist unstrittig. Das hängt mit dem europäischen Strommarktdesign (Merit-Order-Prinzip) zusammen: Je mehr Gas- und Kohlekraftwerke in einer Stromhandelszone genutzt werden müssen, umso höher ist der Großhandelspreis. Welche riesigen Preisdifferenzen dabei entstehen können, wurde gestern in Norwegen deutlich: In Süd-Norwegen kostete die Megawattstunde auf dem Spotmarkt zeitweise zehnmal mehr als in der nördlichsten Stromhandelszone des Landes (siehe Grafik). So extreme Preisunterschiede sind für Deutschland zwar nicht zu erwarten. Die Ifo-Studie „Szenarien für die bayerische Stromversorgung bis 2040“ aus dem März 2020 kommt aber zu dem Ergebnis, dass Preisunterschiede von mindestens 10 bis 20 Euro pro Megawattstunde wahrscheinlich wären. stunde wahrscheinlich wären.

Die Grafik zeigt die verschiedenen Stromhandelszonen und die Preise pro Megawattstunde, die am Mittwochmittag auf der Strombörse Epex Spot dort gehandelt wurden. | Screenshot


Klar ist auch, dass eine Aufteilung in mehrere Stromzonen die Gesamtkosten für das Stromnetz senken würden. Das hängt mit den sogenannten Netzengpässen zusammen, die in größeren Stromhandelszonen häufiger auftreten als in kleinen. „Durch einen Neuzuschnitt, zum Beispiel eine Teilung der deutschen Stromgebotszone, würden strukturelle Netzengpässe bereits beim Stromhandel und damit bei der Einsatzplanung berücksichtigt“, heißt es dazu in der Leopoldina-Studie von Oktober 2020.

Woran liegt das? „Bei Handelsgeschäften innerhalb dieser Gebotszone wird von unbegrenzten Transportkapazitäten ausgegangen“, erklären die Wissenschaftler. „Betreiber planen auf Basis der Handelsgeschäfte den Einsatz ihrer Kraftwerke und Anlagen (Dispatch). Einsatzentscheidungen werden also ohne Berücksichtigung der verfügbaren Netzkapazität getroffen.“ Zudem müssten auch Kapazitäten für den grenzüberschreitenden Stromhandel bereitgestellt werden. Das alles führt zu Engpässen und zu einem aufwendigen Engpassmanagement. Laut Bundesnetzagentur lagen die Kosten dafür im Jahr 2021 bei rund 2,3 Milliarden Euro und damit fast doppelt so hoch wie noch 2019 (1,2 Milliarden Euro).

Vor allem das sogenannte „Redispatch“ wird immer kostspieliger. „Redispatch“ findet immer dann statt, wenn Strommengen eingekauft werden, die zwar theoretisch verfügbar sind, aber wegen mangelnder Transportkapazitäten gar nicht durchs Netz transportiert werden können. Das kommt häufig dann vor, wenn Industriebetriebe aus dem Süden günstigen Windstrom aus Norddeutschland kaufen. „Um die Netze nicht zu überlasten, wird der Stromtransport dann nur ‚simuliert‘. Im Norden werden Windräder abgeschaltet und im Süden liefern die Kraftwerke den benötigten Strom“, erläutert das Bundeswirtschaftsministerium den Ablauf. Die zusätzlichen Kosten, die dadurch entstehen, werden auf die Netzentgelte umgelegt, die die Verbraucher zahlen. „Nehmen Redispatch-Maßnahmen nicht überhand, sind sie dennoch günstiger als die Teilung in zusätzliche Gebotszonen“, argumentiert das Ministerium. Gemäß den Zahlen der Bundesnetzagentur ist ersteres aber inzwischen der Fall. Umfang und Kosten der betreffenden Maßnahmen kletterten 2021 auf Rekordniveau (siehe Grafik).

Die Kosten für Engpassmanagement im deutschen Stromnetz werden immer größer. | Quelle: BdEW


Grundlegende Kritik am deutschen Strommarktdesign übt auch der Linke-Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert, der seine Partei seit 2014 im Beirat der Bundesnetzagentur vertritt. „Man tut so, als könnte man Strom ohne Verlust hin- und herschieben. Das ist irre“, sagt der energiepolitische Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Tatsächlich gingen jedes Mal, wenn beispielsweise BMW für sein Werk im niederbayrischen Dingolfing günstigen Windstrom aus Schleswig-Holstein bestellt, große Mengen an Strom durch Netzverluste verloren. „Und das zahlt die Allgemeinheit über die Netzentgelte“, ärgert sich Lenkert. Die Bundesnetzagentur bezifferte die Netzverluste für das Jahr 2020 auf 27,2 Terawattstunden. Das sind etwa fünf Prozent der gesamten deutschen Stromproduktion.

Lenkert fordert vom Bund eine unabhängige Studie darüber, welche konkreten volkswirtschaftlichen Auswirkungen eine Aufteilung der Stromhandelszone hätte. „Diese Abwägung ist in Deutschland nie gemacht worden“, sagt Lenkert. Außerdem plädiert er dafür, das Stromnetz als kritische Infrastruktur in den Staatsbesitz zu überführen. Mit der Übernahme des Energieunternehmens Uniper durch den Bund dürfe nicht Schluss sein, auch die vier Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet BW müssten unter staatliche Kontrolle.

„Eine Trennung in zwei Strompreiszonen ist nötig“,
sagt der Linke-Energiepolitiker Ralph Lenkert. | Foto: Link

Die Aufteilung der Bundesrepublik in mehrere Strompreiszonen ist übrigens keine Neuerfindung aus Norddeutschland. Dänemark, Schweden und Norwegen hatten sich schon 2016 bei der EU-Kommission über die überfüllten deutschen Stromnetze beklagt, die den Durchfluss des skandinavischen Ökostroms in Richtung Süden verhindern.

Nach Einschätzung des Würzburger Juristen Markus Kahles, Projektleiter bei der Stiftung Umweltenergierecht, ist die Beschwerde berechtigt. „Entgegen des im Rahmen der Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung aufgestellten Grundsatzes, dass Stromgebotszonen keine strukturellen Engpässe beinhalten dürfen, enthält die deutsche Gebotszone einen strukturellen Nord-Süd-Engpass“, erläutert Kahles in einem Hintergrundpapier. Sollte es der Bundesrepublik nicht gelingen, den „Aktionsplan Gebotszone“ umzusetzen, könnte die EU-Kommission die deutsche Stromhandelszone auch gegen den Willen ihres Mitgliedstaates aufteilen.

Die EU-Agentur für Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) hat bereits verschiedene Optionen vorgeschlagen, nach denen Deutschland in zwei bis fünf Gebotszonen unterteilt werden könnte. Auf Druck von ACER war 2018 auch schon die gemeinsame deutsch-österreichische Stromhandelszone aufgelöst worden, nachdem sich Polen und Tschechien bei der EU beschwert hatten. Seitdem hat Österreich eine eigene Handelszone, Deutschland ist aber weiterhin in einem Verbund mit Luxemburg.

Dieser Artikel erschien am 29.9.2022 in Ausgabe #171.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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