Es erinnert an einen Gladiatorenkampf in einer Arena, und das ist wahrscheinlich kein Zufall. Frauen sitzen lässig auf den Treppenstufen, ein Getränk oder eine pinkfarbene Give-Away-Tüte neben sich. Unten, am Fuß der Treppe, machen sich die Gladiatoren für ihren Auftritt bereit. Hundert Sekunden haben die Arbeitgeber Zeit, sich den Absolventinnen und Fachkräften zu präsentieren. Die Moderatorin hält warnend eine Hupe in die Höhe. Nicht nötig, sie einzusetzen. Alle halten sich an die Zeitvorgabe. Es beginnt mit einem stockend vom Smartphone abgelesenen Text. Eine Recruiterin winkt aufgeregt mit einem Plüschtier, während sie ihren Pitch abspult. Größere Arbeitgeber treten souveräner auf. Sie haben ihre PR-Abteilungen mit perfekten Inszenierungen beauftragt, spielen in hundert Sekunden eine Nachrichtensendung oder eine Quizshow vor. Der Landmaschinen-Hersteller Claas wirbt mit einem Karrieretag speziell für junge Frauen und einem internen Frauennetzwerk. Die Bundeswehr präsentiert sich als familienfreundlicher Arbeitgeber. Am Ende regnet es Glitzerkonfetti.

Auf der „Femworx“, dem Karrierekongress für Frauen innerhalb der Hannover-Messe, wird sehr deutlich, was es heißt, im Jahr 2024 eine gesuchte Fachfrau in der Technologie-Branche zu sein. Führungskräfte erzählen bei Smalltalk und Verzehr „veganer Hühnchen“ von freien Stellen in ihrem Team, fragen nach Visitenkarten. Junge Frauen plaudern über Beförderungen, die ihnen angeboten wurden, ohne dass sie danach gefragt haben. Ihr Lebenspartner, erzählt eine nachdenklich, habe zu ihr gesagt: „Jetzt erlebst du, was Männern die ganze Zeit passiert.“
Brauchen Frauen in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt noch Ratschläge? Messe-Chef Jochen Köckler hat trotzdem einen für sie. „Seien Sie mutig“, ruft er den Teilnehmerinnen zu und zitiert einen Wikinger-Karriereratgeber: „Erfolg ist freiwillig“. Wikinger liegen im Trend – und zudem ist Norwegen das Partnerland der Messe. Tonja Joseph, eine junge Robotik-Expertin und Produktentwicklerin bei dem mittelständischen Unternehmen Inventas in Norwegen, tritt nicht auf wie eine Wikingerin. Offen und nachdenklich berichtet sie davon, wie es ist als einzige Frau in einem rein männlichen Team. Ihre Kollegen seien nett und respektvoll, sagt sie. Aber etwas anderes ist es, wenn sie vor männerdominierten Runden spricht, die sie noch nicht kennen. Auch in Norwegen gibt es noch Luft nach oben in Sachen Gleichstellung. Mentoring-Programme für Frauen und Schutzkonzepte gegen Übergriffe und Diskriminierung müssten auch auf mittelständische Unternehmen ausgeweitet werden, fordert Joseph.

Wenn es auch mit den Ratschlägen so eine Sache ist – Ermutigung hält die „Femworx“ in jedem Fall für Frauen bereit. Und vielleicht ist es das, was sie am meisten gebrauchen können. Die Redner auf der großen Bühne werden mit Einpeitscher-Musik begrüßt. Dazu taucht die Lichtorgel sie wie Popstars in bunte Farben. Eine der so Gefeierten ist Yvonne Groth, die mit dem Engineer Woman Award ausgezeichnet wird. Ihre Jubel-Geste ist dezent. Ein bisschen scheint sie zu staunen, als sie ihre beruflichen und ehrenamtlichen Verdienste von der Laudatorin hört. „Selber sieht man gar nicht, was man alles schafft“, antwortet Groth mit entwaffnender Ehrlichkeit. Dieser Bescheidenheit von Frauen, fordert die stellvertretende Ministerpräsidentin Julia Hamburg in ihrem Grußwort, müssten Stellenausschreibungen Rechnung tragen. Um weibliche Fachkräfte anzusprechen, sollte in der Stellenanzeige stehen: „Von den zwanzig genannten Kompetenzen genügen sechs.“ „So, wie es tatsächlich auch gemeint ist“, ergänzt Hamburg.
Jutta Horstmann, CEO bei dem Software-Unternehmen Mailvelope GmbH, fällt mit ihrem Workshop aus dem Rahmen. Ganz unbescheiden fordert sie eine „feministische Transformation“: „Change the system, not the women“. In ihrem Unternehmen sei sie dabei, das Projekt umzusetzen. Dass der Begriff „feministisch“ provoziert, ist ihr bewusst: „Es könnte eine gute Taktik sein, ein anderes Wort zu wählen.“ Eine feministische Organisation, wie sie ihr vorschwebt, ist frei von Angst. Mindestens die Hälfte der Führungspositionen ist weiblich besetzt. Es gibt keine „Hinterzimmer-Runden“ und keine Gehaltsverhandlungen. Alle werden nach einer mathematischen Formel bezahlt, in die verschiedene, transparente Kriterien einfließen. Ein „feministisches“ Unternehmen unterstütze Eltern dabei, Sorgearbeit gerecht zu teilen, statt die Partner seiner Angestellten auszunutzen, die ihnen zu Hause unbezahlt den Rücken freihalten. Nicht alle ihrer männlichen Mitarbeiter haben diese Transformation mitgemacht, räumt Horstmann ein. „Diejenigen, die geblieben sind, taten das, weil sie die Vorteile sahen: Für sich als Väter oder für ihre Kolleginnen.“ Auch konservative Väter, meint Horstmann, wünschen sich für ihre Töchter eine Arbeitswelt, in der Frauen gleichgestellt sind.

Ein Beispiel dafür, wie ein weiblicher Führungsstil in einem traditionellen Unternehmen aussehen kann, steuert Sandra Lorenz bei. Die 55-Jährige hat sich bei der „Dirk Rossmann GmbH“ von der Einkäuferin in die Geschäftsleitung hochgearbeitet. Sie ist heute Chefin von 140 Beschäftigten und verantwortlich für die Eigenmarken der Drogeriekette. Bei Rossmann liege der Frauenanteil in manchen Abteilungen bei neunzig Prozent, erzählt sie. Die Führungsetage sei trotzdem nur zu einem Viertel weiblich besetzt. Ihren Stil beschreibt Lorenz, ohne dafür einen gegenderten Begriff zu wählen, als „empathische Führung“. „Mein Team hat die Begriffe ,Kaminabend‘ und ,Führungsreise‘ zu Unworten erklärt“, erzählt sie lachend. „Raoul Roßmann fragte mich, wieviel Zeit ich eigentlich noch mit Führung verbringen will.“ Aber sie ließ sich nicht beirren darin, das Miteinander im Team zu ihrer Kernaufgabe als Führungskraft zu machen. Dazu gehört, meistens erreichbar zu sein, im Chat auch mal Fotos ihrer Katzen zu posten und Notizen über ihre direkten Mitarbeiter zu pflegen: Wie heißen die Kinder? Ist kürzlich jemand in der Familie gestorben? Ihr Fazit: „Jetzt läuft der Laden.“

„Sichtbarkeit“, erklärt Sandra Lorenz, „ist meine Königsdisziplin“. Das Thema zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Kongress. Optisch, loben die Rednerinnen von der Bühne aus ihr Publikum, sei das schon gelungen: „Hier ist alles so schön bunt.“ Während überall auf der Hannover-Messe Dunkelblau, Schwarz und Beige vorherrschen, zeigen die Teilnehmerinnen der „Femworx“ mit farbenfrohen Outfits ihre Individualität. Die Herausforderung für Frauen in der Wirtschaft, darauf läuft es immer wieder hinaus, bestehe jetzt noch darin, mit ihren Stärken und Arbeitsschwerpunkten sichtbar zu werden. Oder, wie Sandra Lorenz sagt: „Ich litt jahrelang unter dem Fleißige-Bienchen-Syndrom.“ Schließlich aber habe sie das gelernt, was sie heute weitergeben will: „Wähle deinen Kanal und zeige dich mit deinen Themen.“