Im niedersächsischen Landtag hat am Dienstag die Haushaltsdebatte begonnen. Schon am Tag vorher hatte Ministerpräsident Stephan Weil in einer Regierungserklärung seine Linie skizziert. Darin drückte er eine dringende Erwartung an die Bundesregierung aus: „Wir brauchen schnell Klarheit über die Ko-Finanzierung des Bundes für wichtige Vorhaben“, betonte der SPD-Politiker.

Hinter den Kulissen allerdings wird bei diesem Thema reichlich Widersprüchlichkeit deutlich. Sollten sich Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner in Berlin einigen, so könnte das zum einen Einsparungen im Bundesetat bedeuten, zum anderen die Anwendung einer „Notfall-Erklärung“ für die Jahre 2023 und 2024, bezogen auf die notwendigen Bundesausgaben zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Das könnte sich so auswirken, dass die nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht mehr vollziehbaren Ausgaben von 30 Milliarden Euro wieder möglich werden.
Doch dieser Doppelweg von Einsparungen und Notfall-Klausel ist juristisch höchst riskant – denn laut dem Karlsruher Richterspruch muss ein Notfall akut sein und den Staat vor plötzliche Herausforderungen stellen. Dass dies noch 2024 mit Hinweis auf den Anfang 2022 begonnenen Ukraine-Krieg möglich ist, scheint wohl fraglich. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat schon angedeutet, gegen ein solches Vorgehen der Ampel-Regierung erneut klagen zu wollen. Die „Notfall-Erklärung“ könnte sich also als sehr brüchiges Fundament erweisen. Diese Skepsis gegenüber der „Notfall-Erklärung“ klang auch in Weils Regierungserklärung an, in auffälligem Kontrast übrigens zum Beschluss des SPD-Bundesparteitags, der die Notfall-Klausel ausdrücklich für 2023 und 2024 empfohlen hatte.
Der Ministerpräsident trug nun wenige Tage später im Landtag eine andere Variante vor und machte keinen Hehl daraus, dass er diesen Weg für den besseren hält: eine Änderung der Vorschriften zur Schuldenbremse im Grundgesetz. Nach Weils Worten sollten Investitionen vom Kreditaufnahmeverbot ausgenommen werden. Dabei war dem Regierungschef wohl bewusst, dass die „Notlagen-Erklärung“ zwar von der Ampel-Mehrheit im Bundestag allein beschlossen werden könnte, also keiner Zweidrittelmehrheit und damit nicht der Unterstützung der CDU/CSU bedarf. Aber nur mit der „Notfall-Erklärung“ wären die Vorschriften der Schuldenbremse noch die gleichen wie bisher, die von Weil angestrebte Abschaffung des Kreditaufnahmeverbots für Investitionen wäre so nicht zu erreichen. Die Chance für das Ziel von Weil gäbe es wohl nur, wenn wenigstens die SPD zur Lösung der aktuellen Krise mit der CDU/CSU kooperieren würde – zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes.
Zugespitzt könnte man formulieren: Eine mögliche Einigung der Ampel-Koalition in der Haushaltskrise könnte die von Weil und anderen deutschen Ministerpräsidenten erhoffte Reform der Schuldenbremse-Regeln im Grundgesetz hinauszögern. Nur: Würde sich die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag als Mehrheitsbeschaffer für eine Verfassungsreform hergeben, ohne selbst Anspruch auf eine Beteiligung in der Bundesregierung zu erheben? Welcher Druck kommt hinter den Kulissen von den CDU-geführten Landesregierungen auf die Parteifreunde im Bundestag, sich einer Ergänzung des Grundgesetzes zu öffnen? Auch aus anderen Bundesländern kommt der Wunsch, dass eine solche Reform den Ländern eine höhere Schuldenaufnahme ermöglichen soll. Dieser scheint bei einigen CDU-Politikern ausgeprägter zu sein als bei der Führung der Bundes-FDP.
Keine Lehrer, kein Ganztag, keine Noten
Generaldebatte im Landtag: Am Dienstag gab es eine Generaldebatte zum Haushalt 2024. CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner nutzte die Chance zu einer Abrechnung mit Rot-Grün. Drei Minister ging er direkt an: Kultusministerin Julia Hamburg habe es bisher nicht geschafft, über flexiblere Regeln mehr Lehrer in die Schulen zu bringen, auch Pensionäre und Quereinsteiger nicht. In den Kindergärten komme es nicht zu flexibleren Vorgaben zur Betreuung, da Rot-Grün einen entsprechenden CDU-Antrag im Kultusausschuss aufhalte. Dazu gehöre Hamburgs Vorstoß zur Abschaffung von Noten. „Das passt: Keine Lehrer, kein Ganztag, keine Noten – damit nicht auffällt, welchen Leistungsstand unsere Kinder haben.“ Wirtschaftsminister Olaf Lies habe bei der Breitbandförderung keine klare Linie und Sozialminister Andreas Philippi vereinfache die Pflegefachkraftausbildung nicht. Außerdem fehle eine Verwaltungsreform – „die kann nur klappen ohne mehr Behörden, mehr Räte und mehr Stellen“.
SPD-Fraktionschef Grant Hendrik Tonne wies Lechners Angriffe zurück und meinte, die CDU habe keinerlei Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Im Übrigen schaffe das Land eine bessere Besoldung der Lehrer, mehr Investitionen für Kliniken und die Stärkung des Wohnungsbaus über eine eigene Landesgesellschaft. Grünen-Fraktionschef Detlev Schulz-Hendel meinte, der Haushalt zeige „vorsichtige Finanzierungen und mutige Schritte für die Zukunft“. Die Höherbesoldung für die Lehrer auf A13 sei Ausdruck einer bildungspolitischen Notwendigkeit.
Sie zeigen das Gesicht des Antidemokraten.
Eklat um AfD-Sprecher: Der AfD-Fraktionsvorsitzende Stefan Marzischewski hielt eine Rede voller Vorwürfe an die Politiker der anderen Parteien, SPD, CDU und Grüne wollten „das Land abschaffen“, die Höherbesoldung für Lehrer sei ein „Schweigegeld“ für die Fehler in der Bildungspolitik. Die CDU sei für Gruppenvergewaltigungen verantwortlich. In einer Zwischenfrage hakte Innenministerin Daniela Behrens nach und wollte wissen, woher Marzischewski seine Behauptungen über die angeblich hohe Kriminalität nehme. Darauf sagte Marzischewski: „Diese Daten kennt doch jeder.“ Doris Schröder-Köpf (SPD) verlangte eine Entschuldigung des AfD-Fraktionschefs für seine Behauptungen, dieser lehnte das aber ab. Ulf Thiele (CDU) sagte: „Sie haben die Maske abgenommen und zeigen das Gesicht des Antidemokraten.“ (kw)