12. Okt. 2022 · 
Soziales

Warum die Wahlbeteiligung in Delmenhorst, Wilhelmshaven und Salzgitter so gering war

Am vergangenen Sonntag haben aufgerundet 3,7 Millionen Niedersachsen ihre Stimme abgegeben, um die Zusammensetzung des neuen Landtags zu bestimmen. Mehr als 6 Millionen hätten allerdings die Möglichkeit gehabt. Die Wahlbeteiligung lag in diesem Jahr bei nur 60,3 Prozent, was einer Verringerung um fast drei Prozentpunkte im Vergleich zur vorherigen Landtagswahl entspricht – und sogar noch unterhalb der Beteiligung bei der sonst eher ignorierten Europawahl 2019 liegt.

Die Mobilisierung der Wahlberechtigten war nicht überall gleich, in bestimmten Regionen gingen noch deutlich weniger Menschen zur Wahl als im Durchschnitt. Die Gruppe der Schlusslichter bei der Wählermobilisierung bilden Wolfsburg mit 55,3 Prozent, Hameln/Rinteln mit 54,9 Prozent, Salzgitter mit 54,4 Prozent, Wilhelmshaven mit 51,4 Prozent und Delmenhorst mit nur 49,6 Prozent. Dort nahmen also weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihr Stimmrecht wahr. Woran liegt das?

Foto: GettyImages/bizoo_n

Ein Abgleich mit dem jüngsten Regionalmonitoring des Landesamtes für Statistik (LSN) für das Jahr 2019 zeigt: Spitzenreiter bei der Arbeitslosenquote (ebenfalls Stand 2019) sind ähnliche Kommunen wie jene, in denen die Wahlbeteiligung gering ausfiel: Wilhelmshaven führt die Liste mit 10,9 Prozent an, gefolgt von Delmenhorst (10,1) und Salzgitter (9,2). Die Quote derjenigen, die Anspruch auf Mindestsicherung haben, liegt ebenfalls in diesen drei Städten am höchsten.

Auffällig ist außerdem, dass unter den Wahlkreisen mit äußerst geringer Wahlbeteiligung auch jene Kommunen liegen, die einen hohen Migrantenanteil haben. Laut LSN-Regionalmonitoring ist der Anteil der Personen mit Zuwanderungsgeschichte in Wolfsburg (38,3 Prozent), Salzgitter (35,7 Prozent) und Delmenhorst (33,9 Prozent) am höchsten. Warum gelingt es den Parteien nicht, diese Menschen zu erreichen und in einem höheren Maße zur Teilhabe am demokratischen Verfahren zu bewegen? Eine mögliche Ursache könnte fehlende Repräsentation in den Parteien sein, die sich dann auch auf die Zusammensetzung des Parlaments auswirkt.

Mindestens zehn Abgeordnete mit Migrationsgeschichte sitzen im Landtag

Weil der Migrationshintergrund als soziologisches Merkmal bei den Kandidaten nicht systematisch erfasst wird, gibt es über diesen Aspekt des neuen Landtags keine offiziellen Angaben. Auf Rundblick-Anfrage erklärte der Pressesprecher der SPD-Fraktion, Daniel Voigt, dass eine entsprechende Abfrage in den eigenen Reihen noch etwas Zeit brauche. Bekannt sei aber, dass Immacolata Glosemeyer in Italien geboren und Deniz Kurku türkischstämmig ist. Alptekin Kirci, dessen Vater aus der Türkei stammt und der sich sehr um die türkische Community bemüht hat, ist der Wiedereinzug in den Landtag nicht geglückt. Neu in der SPD-Fraktion ist hingegen Kirsikka Lansmann, deren Mutter aus Finnland stammt, berichtete Voigt.

Die Grünen-Landtagsfraktion hat mit Evrim Camuz (Eltern in der Türkei geboren), Djenabou Diallo-Hartmann (geboren in Guinea), Lena Nzume (in Kamerun geboren), Volker Bajus (sein Vater ist in Rumänien geboren) und Pascal Mennen (sein Vater stammt aus Kanada) drei Frauen und zwei Männer mit Migrationsgeschichte in ihren Reihen. Diallo-Hartmann und Nzume sind zudem die ersten schwarzen Deutschen im Landesparlament. In der AfD-Fraktion sitzen mindestens zwei Abgeordnete mit Migrationsvergangenheit: Die Eltern von Omid Najafi stammen aus dem Iran und Jozef Rakicky ist in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Bis Redaktionsschluss lag noch keine Antwort der CDU-Fraktion vor.

„Wir müssen zeigen: Ihr werdet gesehen, wir nehmen eure Perspektive mit.“

Lena Nzume, die in Oldenburg für die Grünen angetreten und über die Landesliste in den Landtag gewählt worden ist, teilt die Einschätzung, dass die Repräsentation bei der Wählermobilisierung eine wichtige Rolle spielt. In der Vergangenheit hatte sie sich beruflich mit Empowerment von Migranten beschäftigt und beispielsweise in der Stabsstelle Integration der Stadt Oldenburg gearbeitet. „Die Menschen werden nicht ausreichend abgeholt“, erklärt sie im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick und zeigt sich zufrieden damit, wie die Grünen darauf bereits reagiert hätten. Denn neben den drei gewählten hätten auch einige weitere Menschen mit Migrationshintergrund auf der Landesliste gestanden. „Wir müssen zeigen: Ihr werdet gesehen, wir nehmen eure Perspektive mit“, sagt Nzume.



Allgemein sei es wichtig, in die Demokratiebildung zu investieren, meint sie. Auf kommunaler Ebene könnten Integrationsbeiräte oder andere Foren die Möglichkeit eröffnen, sich zunächst niedrigschwellig einzubringen. Und dann gehe es immer auch um Vorbilder, sagt Nzume: „Man kann nicht werden, was man sich nicht vorstellen kann.“ Wie sollten nun also die Parteien darauf reagieren und sich in den nächsten fünf Jahren anders aufstellen, um mehr Wähler zur Wahl zu motivieren? Eine Quote, wie es sie vielfach schon für die Frauenförderung gibt, hält Nzume an dieser Stelle nicht für das geeignete Instrument. „Dann stellt sich ja die Frage, welche Vielfaltsdimensionen man aufgreift“, sagt sie. Das Problem lässt sich also beschreiben, eine Lösung müssen die Parteien aber für sich selbst finden.

Dieser Artikel erschien am 13.10.2022 in Ausgabe #180.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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