30. Juni 2025 · 
MeldungWirtschaft

IGBCE setzt auf Mitgliederbonus, Arbeitgeber drängen auf politische Entlastung

Tarifabschluss in der Kautschukbranche: Mehr Geld und ein IGBCE-Mitgliederbonus – doch Arbeitgeber warnen vor wachsenden Standortproblemen, solange politische Entlastung fehlt.

Moderate Entgeltsteigerungen, ein Bonus für IGBCE-Mitglieder und eine neue Regelung beim Zusatzurlaub – die deutsche Kautschukindustrie hat einen neuen Tarifvertrag. Doch die wirtschaftlichen Sorgen bleiben in der zu 95 Prozent von Autozulieferern geprägten Branche. Für Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes ADK, der den Abschluss mit ausgehandelt hat, ist der Tarifvertrag zwar ein Erfolg, löst aber die grundsätzlichen Probleme nicht. „Wenn die Politik nicht für eine Entlastung der Betriebe sorgt, kann selbst der moderateste Tarifabschluss auf Dauer nichts ausrichten“, sagt er. Massiv steigende Sozialversicherungsabgaben drohten jede noch so vernünftige Einigung der Tarifparteien zu unterlaufen. Schmidt: „Was nützt der beste Tarifvertrag, wenn in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in der Rentenversicherung die Sozialabgaben für die Unternehmen gleich um ein Zigfaches jeder hart erkämpften Einsparung in einem Tarifvertrag steigen?“ Die Bundesregierung dürfe keine weitere Zeit mit den dringend notwendigen Reformen der Kranken- wie auch der Rentenversicherung verlieren. Der neue Vertrag sieht für eine Laufzeit von 24 Monaten zwei Erhöhungen von zusammen 4,3 Prozent vor sowie einen Mitgliederbonus nur für IGBCE-Mitglieder in Höhe von 428 Euro pro Jahr. Für letzteres, so war aus Verhandlungskreisen zu hören, musste die Gewerkschaft ein ursprünglich bei den Arbeitnehmern verankertes Wahlrecht, selbst über sechs zusätzliche Urlaubstage oder deren Auszahlung entscheiden zu dürfen, in die Hände der Betriebsparteien zurückgeben. „Ein wichtiges Stück Entscheidungsautonomie geht zurück an die betriebliche Ebene – dorthin, wo man die tatsächliche Lage am besten beurteilen kann“, sagt Schmidt. Hintergrund sei, dass sich volle Auslastung in den Werken und individuelle Urlaubsansprüche zuletzt oft gegenseitig blockiert hätten.

Volker Schmidt sieht nach dem Tarifabschluss in der Kautschukbranche die Politik am Zug. | Foto: ADK

Den Verlauf der Gespräche bewertet Schmidt positiv. Die Verhandlungen seien sachlich und lösungsorientiert verlaufen, „ohne Bohei, ohne Lärm, streng an der Lage der Branche orientiert“, wie er betont. Doch trotz des Kompromisses bleibe die Lage für viele Betriebe angespannt. „Wir spüren einen immensen Verlagerungsdruck raus aus Deutschland“, sagt Schmidt mit Blick auf Autozulieferer, Reifenwerke und andere Unternehmen der Branche. Bei Contitech, Goodyear oder Michelin sind Werksschließungen und Verlagerungen ins Ausland längst Realität – in Einzelfällen seien gleich tausende Arbeitsplätze betroffen. Der internationale Konkurrenzdruck, gerade aus Asien, wachse weiter, je mehr sich die deutschen Standortnachteile aus hohem Strompreiskostenniveau und steigenden Lohnnebenkosten verfestigten. Umso wichtiger sei es gewesen, dass die Gewerkschaft nicht mit überzogenen Forderungen in die Gespräche gegangen sei. „In der deutschen Stahlindustrie arbeiten noch 58.000 Menschen, wir verhandeln für über 70.000 Beschäftigte bundesweit- unaufgeregt und professionell und mit wesentlich weniger öffentlichem Tamtam.“ Dass es ohne große öffentliche Provokationen und Streiks innerhalb von drei Verhandlungsrunden zu einem Kompromiss gekommen ist, macht den Abschluss für Schmidt zum Vorbild für andere Branchen.

Thomas Hofmann (ADK) und Katharina Stihler (IGBCE) haben in Hannover eine Einigung gefunden. | Foto: Tim Schaarschmidt

Auch Thomas Hofmann, Personalchef bei Pirelli und Verhandlungsführer auf der Arbeitgeberseite, betont, dass die Belastungsgrenze erreicht sei: „Mit diesem Abschluss sind wir an unsere Grenzen gegangen.“ Die Laufzeit von 24 Monaten verschaffe den Betrieben immerhin etwas Planungssicherheit. IGBCE-Verhandlungsführerin Katharina Stihler bewertet das Ergebnis als wichtiges Signal für die Belegschaften: „Unsere Mitglieder werden dadurch dauerhaft bessergestellt.“ Der Mitgliederbonus solle dabei helfen, die Tarifbindung zu sichern – gerade weil eine hohe Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern in vielen Betrieben nicht mehr selbstverständlich sei. In einem Interview mit der HAZ hatte Stihler dazu bewusst keine Zahl genannt; nach Rundblick-Informationen liegt der Organisationsgrad gerade in mittelständischen Betrieben häufig bei deutlich unter 50 Prozent. In der Chemieindustrie gibt es mit dem freien Tag bereits ein ähnliches Modell. Bei der IG Metall hingegen ist der Organisationsgrad höher, deshalb spielt ein Mitgliederbonus dort bisher keine Rolle. Für die IGBCE ist er dagegen ein klares Instrument, um Mitgliedschaft attraktiv zu halten. Stihler betont: „Ohne Mitglieder gäbe es diese Verhandlungen gar nicht.“ Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten sei „alles rausgeholt worden, was ging“.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #120.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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